Verbrüht sich ein demenzkranker Heimbewohner mit Tee aus einer Kanne, mit der er im Aufenthaltsraum alleine gelassen wurde, so haftet ihm das Heim auf Schadensersatz (OLG Schleswig, Urteil v. 31.05.2013 - 4 U 85/12.

In einer Pflegeeinrichtung mit großenteils demenzerkrankten Heimbewohnern ist dem Personal nicht abzuverlangen, ständig Aufsicht über diese zu führen. Dies widerspräche dem Postulat des § 11 Abs. 2 HeimG, wonach Selbstständigkeit und Selbstverantwortung der Heimbewohner zu wahren und zu fördern ist.
Es stellt aber eine Verletzung der Obliegenheitspflicht dar, wenn die Heimbewohner in einem Aufenthaltsraum mit mit heißem Tee gefüllten Thermoskannen allein gelassen werden. So wäre es ohne weiteres möglich gewesen, das hier dann eingetretene Schadensereignis, die erheblichen Verbrühungen einer Bewohnerin, abzuwenden, wenn die Kannen vom Personal beim Verlassen des Raumes mitgenommen worden wären.

Geklagt hatte eine Versicherung, die die Behandlungskosten des Heimbewohners, die durch die massiven Verfrühungen an den Oberschenkeln entstanden waren, bezahlt hatte und diese nun von dem Pflegeheim zurück haben wollte.

Das OLG Schleswig führt aus:
Unstreitig aber wurde heißer Tee in Thermoskannen in den Aufenthaltsraum verbracht, und die dortigen Bewohner wurden dann allein gelassen. Von diesem Sachverhalt ist also auszugehen. Danach lag aber eine Pflichtverletzung des Personals der Beklagten vor, wenn heißer Tee in Thermoskannen unbeaufsichtigt in einem Raum mit pflegebedürftigen Heimbewohnern, auch Demenzerkrankten, gelassen wird, selbst dann, wenn die Versicherte selbst aufgrund ihrer Behinderung nicht die Möglichkeit hatte, die auf der Fensterbank abgestellten Thermoskannen zu erreichen. Es war für das Pflegepersonal vorhersehbar, dass sich ein in diesem Aufenthaltsraum befindlicher anderer Bewohner einer Thermoskanne bemächtigt oder aber ein weiterer Bewohner, der - aufgrund der vorgetragenen Örtlichkeiten - ohne Weiteres hier hätte vorbeikommen können, um dann der Versicherten Tee einzuschenken, den sie beim Ansetzen zum Trinken verschüttet, oder aber es bei einem Verschütten durch diesen weiteren Bewohner zu erheblichen Verbrühungen kommen kann.

Die Annahme der Pflichtverletzung beruht auf Folgendem: Gegenüber Heimbewohnern hat der Betreiber Leistungen nach dem anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse zu erbringen, und ihn trifft darüber hinaus eine Obhutspflicht insbesondere im Zusammenhang mit übernommenen Pflegeaufgaben (OLG Düsseldorf NJW-RR 2012, 716; PfR 2009, 568). Eine Pflichtverletzung ist (jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des „voll beherrschbaren Risikobereichs“) dann anzunehmen, wenn sich der schädigende Vorfall in einer konkreten Gefahrensituation ereignet hat, der eine gesteigerte Obhutspflicht auslöste, wie z.B. bei einem Sturz bei begleitetem Gang zur Toilette. Dann muss sich das Heim entlasten.

Eine Pflichtverletzung ist demgegenüber zu verneinen, wenn keine Anhaltspunkte für ein bevorstehendes Unfallgeschehen bestanden, etwa weil die Thermoskannen für die Heimbewohner unerreichbar gestanden hätten. Dies war hier aber nicht der Fall. Im Gegenteil war voraussehbar, dass eine der Thermoskannen ergriffen und der Versicherten dann eingeschenkt wird. Das Personal hätte dies bei Anwesenheit im Raum verhindern können und im Rahmen ihrer Aufsichtspflicht auch müssen.

Jedoch ist der Beklagten im Rahmen der oben dargestellten Obhutspflichten nicht abzuverlangen, ständige Aufsicht zu führen. Dies widerspräche dem Postulat des § 11 Abs. 2 HeimG, nämlich dass Selbstständigkeit und Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern und dass Heimbewohner vor unzumutbarer Beeinträchtigung zu schützen sind. Schließlich muss eine Betreuung mit einem vernünftigen und finanziell tragbaren Aufwand überhaupt realisierbar sein (OLG Düsseldorf NJW-RR 2010, 1533).

Vorliegend wäre es der Beklagten aber ohne finanziell erheblichen, unzumutbaren Aufwand ohne weiteres möglich gewesen, das vorhersehbare Schadensgeschehen abzuwenden. So hätte es ausgereicht, dass das Personal bei Verlassen des Aufenthaltsraumes diese Thermoskannen schlicht mitnimmt, um damit eine Gefahr abzuwenden, der die Versicherte ansonsten ausgeliefert gewesen wäre (so auch das Amtsgericht Reinbek in dem Urteil vom 01.08.2012 - 12 C 13/12 - und im Hinweisbeschluss des Landgericht Lübeck vom 21.11.2012 - 1 S 112/12 - in dem Schadensersatzverfahren der Tochter der Versicherten gegen die Beklagte, Bl. 235, 249 d.A.).

Anmerkung:

Von einem Pflegeheim kann nicht verlangt werden, dass sich das Pflegepersonal ständig in der Nähe des Heimbewohners aufhält. Dies wäre personaltechnisch nicht zu bewerkstelligen und würde die Pflegeheime überfordern. Befinden sich allerdings gefährliche Gegenstände in der Reichweite des Heimbewohners, so ist eine Aufsicht erforderlich. Muss die Aufsicht den Raum verlassen, so muss sie die gefährlichen Gegenstände mitnehmen. Andernfalls macht sich das Heim schadensersatzpflichtig.

Der beste Schutz für Heimbewohner ist - Kontrolle. Besuchen die Angehörigen den Heimbewohner häufig, schauen nach dem rechten und stellen ab und an kritischen Nachfragen, so ist dies der beste Schutz für den Heimbewohner vor Dehydrierung, Wundliegen, Stürze, Schläge und Beschimpfungen, zu denen es in deutschen Pflegeheimen auf Grund der sehr angespannten Personalsituation und der damit einhergehenden Überlastung des Pflegepersonals immer wieder kommt.

Wenn Sie als Angehöriger einen solchen Missstand entdecken, sprechen Sie es direkt gegenüber dem Personal an. Anschließend schicken Sie eine E-mail an das Pflegeheim, in dem Sie den Inhalt des Gespräches und den Namen des Gesprächspartners wiederholen und um Mitteilung bitten, falls Sie den Inhalt des Gespräches falsch verstanden haben sollten. Fordern Sie eine Empfangsbestätigung an (kann man bei den Einstellungen des E-mail-Programms aktivieren). Das hilft und ermöglicht Ihnen im Streitfall zudem den Nachweis von Pfleggefehlern erheblich.

Zum Thema:

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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