Ein Patient kann von einem Krankenhaus 20.000 Euro Schmerzensgeld und Ersatz künftiger Schäden verlangen, nachdem er im Krankenhaus ohne ausreichende Aufklärung und ohne ausreichende Indikation nach der neueren Methode des Bandscheibenersatzes operiert wurde (OLG Hamm, Urteil vom 29.9.2014 - 3 U 54/14).

Der Fall:

Der 1965 geborene Kläger ließ 1989 im Segment LW5/S1 und 2002 im Segment LW 4/5 jeweils linksseitig Eingriffe wegen Bandscheibenvorfällen durchführen. Nach den Operationen zeigte sich eine zügige Verbesserung der Rücken- und Beinschmerzen.

Nachdem es in den Folgejahren erneut zu einer stetigen Beschwerdezunahme in Bezug auf Rücken- und Beinschmerzen kam, stellte sich der Kläger im Laufe des Jahres 2006 bei verschiedenen Behandlern vor. Diese gelangten jeweils zu dem Ergebnis, dass kein Anlass für eine operative Intervention bestehe, sondern es empfehlenswert sei, die konservative Therapie fortzusetzen. Nachdem der Kläger am 16.12.2006 den stationären Aufenthalt im Katholischen Krankenhaus K, in dem er konservativ behandelt worden war, gegen ärztlichen Rat abgebrochen hatte, trat er noch am selben Tag einen ersten stationären Aufenthalt im Haus der Beklagten an. Auf der Grundlage der im Zuge dieses Aufenthalts erhobenen Befunde und durchgeführten Therapien (analgetischantiphlogistische Medikation sowie Reischauer-Blockade links) wurde mit dem Kläger für den 05.01.2007 die Wiedervorstellung zur Implantation einer Bandscheibenersatzprothese vereinbart.

Absprachegemäß erfolgte im Zuge eines weiteren stationären Aufenthaltes im Haus der Beklagten am 05.01.2007 die Implantation einer Bandscheibenersatzprothese LW 4/5 links. Am Tag zuvor hatte der Kläger eine entsprechende Einverständniserklärung unterzeichnet.

In der Folgezeit kam es zu 4 weiteren stationären Aufenthalten im Haus der Beklagten, in deren Zuge die konservative Therapie fortgeführt wurde und am 17.04.2007 die Dekompression LW5/S1 links erfolgte.

Mit Schreiben vom 03.11.2010 hat der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung zum 24.11.2010 unter anderem zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 20.000,00 € aufgefordert. Dies lehnte die Beklagte ab.

Die Entscheidung:

Das OLG Hamm gab der Klage des Patienten statt.

Die Beklagte klärte den Kläger nicht ausreichend darüber auf, dass die operative Bandscheibenprothese eine Neulandmethode darstellt und diese - in Anbetracht der Vorbelastungen des Klägers (Narbenbildungen im Spinalkanal) - deutlich geringere Erfolgschancen bot als die erprobte Behandlungsmethode der Bandscheibenfusion. Denn der Kläger litt laut Sachverständigen unter einem Facettengelenksyndrom gleich in mehreren Gelenken, die durch eine einzelne Bandscheibenprothese nicht erfolgreich behandelt werden konnte. Daher bot die Behandlung durch Bandscheibenprothese nur eine "ungewisse Erfolgsprognose" laut Sachverständigem.

Gegen diesen Aufklärungsfehler greift der Einwand der hypothetischen Einwilligung (also dass der Patient sich auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung für die OP entschieden hätte) nicht ein. Denn der Kläger hat für das Gericht nachvollziehbar dargelegt, dass er durch die Operation eine dauerhafte Lösung suchte. Die Erfolgsprognose war hier aber gerade ungewiss. 

Die Aufklärung über die Behandlungsalternativen (Fortsetzung der konservativen Therapie) war ebenfalls fehlerhaft. Dies wirkt sich aber nicht zu Lasten der Beklagten aus. Denn es gab keinen Entscheidungskonflikt des klagenden Patienten. Der Kläger hat nämlich zuvor von drei Ärzten geraten bekommen, die konservative Therapie fortzusetzen und sich gleichwohl für eine operative Behandlung entscheiden. Daher ist davon auszugehen, dass er sich auch dann für die operative Behandlung entschieden hätte, wenn er über die Möglichkeit der Fortsetzung der konservativen Therapie ordnungsgemäß aufgeklärt worden wäre. Insofern greift der von der Beklagten erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung ein.

Das OLG Hamm stellte auch noch einen einfachen Behandlungsfehler fest (vor Beginn der Behandlung hätte die Beklagte eine Testinfiltration durchführen lassen müssen um zu prüfen, ob die noch neuartige Bandscheibenprothese bei dem Kläger überhaupt durchführbar sei). In Anbetracht des bereits festgestellten Aufklärungsfehlers kam es darauf aber nicht mehr an.

Das OLG Hamm sah ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro als angemessen an, weil

  • die Operation überflüssig war,
  • der Heilungsprozess beeinträchtigt wurde,
  • sich durch die Operation das Beschwerdebild des Klägers manifestierte,
  • daher eine konservative Therapie weniger aussichtsreich ist
  • und eine mögliche Folgeoperation erschwert wurde.     

Das OLG Hamm ließ die Revision zum BGH nicht zu.

Zum Thema:

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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