Auch wenn ein Pflegeheim Lagerungsmaßnahmen sofort oder alsbald mit Beginn der Bettlägerigkeit des Patienten ergreift, kann das Entstehen eines Dekubitus in bestimmten Fällen nicht mit Sicherheit vermieden werden, so dass dem Pflegeheim im Ergebnis kein Pflegefehler vorgeworfen werden kann. Bei bestimmten Patienten, wie zB. solchen mit schwerer Demenz, ist ein Dekubitus nämlich oft nicht vermeidbar (OLG Hamm, Urteil vom 09.09.2015 - 3 U 60/14).

Das OLG Hamm hat die Abweisung einer Klage eines Hinterbliebenen eines Dekubitus-Patienten mit folgenden Gründen bestätigt:

Schon in erster Instanz hat der Sachverständige ... dargelegt, dass auch dann, wenn Lagerungsmaßnahmen sofort mit Beginn der Bettlägerigkeit ergriffen worden wären, das Entstehen eines Dekubitus nicht mit Sicherheit hätte vermieden werden können. Der Sachverständige hat darauf verwiesen, dass sich das Entstehen eines Dekubitus auch durch eine ordnungsgemäße Lagerung nicht stets vermeiden lasse; dies gelte zumindest für bestimmte Patientengruppen, insbesondere für Patienten mit schwerer Demenz. Eine solche hat beim Patienten unstreitig vorgelegen.

Diese Ausführungen des Sachverständigen stehen im Einklang mit neueren medizinischen Publikationen. So wird beispielsweise in dem vom Senat recherchierten Aufsatz von Anders et. alt., "Dekubitalgeschwüre - Pathophysiologie und Primärprävention", Dtsch Arztbl. Int 2010; 107(21): 371-82 ausgeführt: "Allerdings gilt Dekubitus nicht mehr in allen Fällen als vermeidbar oder heilbar, wenn Durchblutungsstörungen die Anfälligkeit erhöhen oder kognitive Einschränkungen die Umsetzung der Prophylaxe erschweren." Dementsprechend wird auch in der Rechtsprechung und Literatur das Auftreten eines Dekubitus nicht dem Bereich zugeordnet, der vom Pflegeheim oder Krankenhaus voll beherrscht werden kann (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.6.2004 -15 U 160/03- zitiert nach juris Rn. 48; OLG Braunschweig, NJW-RR 2009, 1109; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl., Rn. D 235 ff; Großkopf in Wenzel, Der Arzthaftungsprozess, Kap. 2 Rn. 1987.).

An dieser Einschätzung hat der Sachverständige auch im Senatstermin festgehalten und ausgeführt, dass es nicht hinreichend sicher sei, dass es im Falle rechtzeitiger Lagerungsmaßnahmen beim bettlägerigen Patienten im Verlauf des 26. und 27.02.2011 nicht zur Entstehung des Dekubitus gekommen wäre. Zur Begründung dieser Beurteilung hat sich der Sachverständige erneut darauf berufen, dass es bei derart fortgeschrittenen Erkrankungen, wie sie beim Patienten vorgelegen haben, ausgesprochen schwierig ist, einen Dekubitus zu verhindern, und auf die zahlreichen beim Patienten gegebenen Risikofaktoren verwiesen, namentlich das Prostatakarzinom und die Demenz. Gerade demente Patienten, so der Sachverständige, tolerieren Lagerungsmaßnahmen häufig nicht. Als Bestätigung dieser Einschätzung hat es der Sachverständige zudem angesehen, dass sich selbst im Rahmen der stationären Behandlung im E-Krankenhaus E2 trotz der dort vorhandenen besseren personellen Ausstattung und besseren Überwachung des Patienten eine weitere Nekrose gebildet hat.

Anmerkung:

Wehrt sich ein Patient fortwährend gegen Lagerungswechsel, so muss das Pflegeheim für einen so entstandenen Dekubitus nicht einstehen. Insofern ist dem OLG Hamm zuzustimmen.  

Allerdings: Im vorliegenden Fall lagen zwischen dem Eintreten des Dekubitusrisikos nach Bettlägerigkeit und dem ersten Auftreten des Druckgeschwürs (Dekubitus) nur wenige Stunden. Der Patient litt an Demenz vom Alzheimertyp mit aggressiven Verhaltenszügen. Der ansonsten recht aktive Patient war laut Sachverhaltsangaben aber unmittelbar vor dem Auftreten des Dekubitus "schlapp" und schlief viel. Insofern ist es ohne Relevanz, ob er ansonsten renitent war und Lagerungswechsel nicht tolerierte. In der Zeit, in der der Dekubitus entstand, war er jedenfalls schlapp und konnte sich Pflegemaßnahmen bzw. Lagerungsmaßnahmen so oder so nicht entziehen. Hier hat es sich das OLG Hamm also etwas zu leicht gemacht. Jedenfalls in dieser konkreten Situation ist es auszuschließen, dass der Dekubitus wegen Verweigerung von Pflegemaßnahmen entstanden ist. 

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Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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