Auch wenn der Arzt den Patienten vorab schriftlich darauf hinweist, dass die geplante Behandlungsmethode von der Schulmedizin abgelehnt wird und nicht dem Begriff der medizinisch notwendigen Heilbehandlungsmaßnahmen im Sinne der Schulmedizin entspricht, ist er im Übrigen doch zur ordnungsgemäßen Behandlung auf Grundlage der allgemeinen medizinischen Standards (insbes. vollständige Befunderhebung, umfassende - gegebenfalls interdisziplinäre Behandlung, ausreichende Abklärung des Beschwerdebilds) verpflichtet (OLG Zweibrücken, Urteil vom 19.04.2016 - 5 U 8/14).  

Zahnschema BruckenDer Fall:

Der beklagte Zahnarzt führte bei der seit längerem unter bisher theraperesistenten Beschwerden leidenden Klägerin eine von ihm so bezeichnete „Herd- und Störfeldtestung“ durch.

Er gelangte dabei zu folgender Diagnose: „Mehrfaches Zahnherdgeschehen mit Abwanderungen von Eiweißverfallsgiften in den rechten Schläfen- und Hinterkopfbereich und bis in den Unterleib“. Darüber hinaus diagnostizierte er ein „Kieferknochenendystrophiesyndrom“ und einen „stillen Gewebsuntergang im Knochenmark“.

Als Therapie empfahl er der Klägerin die operative Entfernung sämtlicher Backenzähne und die gründliche Ausfräsung des gesamten Kieferknochens.

In der von der Klägerin unterzeichneten „ Einwilligung zur operativen Herdsanierung“ hat sie bestätigt bzw. erklärt:

„Ich bin darüber aufgeklärt worden, dass die geplanten Behandlungsmaßnahmen nicht dem Begriff der medizinisch notwendigen Heilbehandlungsmaßnahmen im Sinne der Schulmedizin entsprechen. Die alternativmedizinische Theorie von der Herdbelastung wird von der Schulmedizin abgelehnt. Es kann sein, dass die Schulmedizin die Auffassung vertritt, dass die Herdsanierung nicht erforderlich sei, bzw. nicht erforderlich gewesen sei.

Insbesondere die Entfernung von Zähnen sowie die operative Behandlung des Kieferknochens (aufgrund der mit außerschulmedizinischen Methoden festgestellten Herdbelastungen) wird von der Schulmedizin nicht für erforderlich gehalten.

Schulzahnmedizinisch wird in der Regel versucht, auch nicht vitale Zähne durch eine Wurzelbehandlung zu erhalten. Nach den Theorien der alternativen Zahnmedizin stellen solchermaßen behandelte Zähne eine Herdbelastung dar, sodass in der Regel die Entfernung empfohlen wird.

Nach Kenntnis der schulzahnmedizinischen Behandlungsalternativen und der Tatsache, dass die geplante Herdsanierung von der Schulzahnmedizin abgelehnt wird, erfolgt die geplante Behandlung auf meinen ausdrücklichen Wunsch.“

Dann entfernte der Beklagte bei der Klägerin operativ unter Lokalanästhesie vier Zähne im rechten Oberkiefer. Der Kieferknochen in diesem Bereich wurde gründlich ausgefräst.

Anschließend erhielt die Klägerin einen Zahnersatz. Diesen holte sie selbst im Labor in N… ab, so dass keine Einsetzung, Anpassung oder Einweisung in den Umgang mit der Prothese durch den Beklagten erfolgte.

Wegen Problemen mit der Prothese wandte sich die Klägerin dann an den in der Nähe ihres Wohnortes tätigen Zahnarzt J… N… zur Behandlung und Anpassung des Zahnersatzes. Dieser äußerte sich sehr kritisch zu der von dem Beklagten durchgeführten Behandlung.

Die Entscheidung:

Das OLG bejahte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens Behandlungsfehler des Beklagten und sprach der Klägerin Rückzahlung der Behandlungskosten des Zahnarztes sowie u.a. ein Schmerzensgeld von EUR 12.000 zu. 

Das Gericht weist darauf hin, dass die Klägerin die von dem Beklagten angebotene Herdsanierung - eine Außenseitermethode – ausdrücklich gewünscht und mit diesem vereinbart hat.

Diese Methode erfolgte im Einverständnis mit der Klägerin nicht nach den Regeln der Schulmedizin, sondern nach einer „ganzheitlichen“, d. h. naturheilkundlich ausgerichteten Außenseitermethode.

Eine solche Methode kann schon den „pathologischen Zustand“ anders definieren als die Schulmedizin, im Weiteren aber auch andere Maßstäbe an die Diagnostik und an die Erforderlichkeit einer Operation anlegen. Die Pflichtwidrigkeit des ärztlichen Vorgehens bestimmt sich jedenfalls dann nach den Kriterien, die für diese nicht schulmedizinische Außenseitermethode Geltung beanspruchen, wenn Grundlage der ärztlichen Behandlung – wie hier – ein Vertrag ist, in dem sich der Patient mit der (ausschließlich) naturheilkundlichen Behandlung einverstanden erklärt hat. Jeder Patient kann nämlich innerhalb der durch § 138 BGB, 226 a StGB gezogenen Grenzen eigenverantwortlich entscheiden, welchen Behandlungen er sich unterziehen will. Diese Grenzen sind erst da überschritten, wo der ärztliche Eingriff unter keinen Umständen mehr als eine Heilbehandlung begriffen werden kann oder eine „völlige Außenseitermethode“ angewandt wird (OLGR Zweibrücken 2004, 148 - 151).

Aber auch bei Berücksichtigung dessen sind dem Beklagten aber zumindest die nachfolgenden Behandlungsfehler zur Last zu legen:

1. Er hat ohne hinreichenden Grund die notwendige interdisziplinäre Befunderhebung bei der Klägerin unterlassen.

Der Sachverständige Prof. Dr. W… hat in seinem Gutachten vom 23. April 2009 in dem Beweissicherungsverfahren 4 OH 18/07 LG Frankenthal (Pfalz) nachvollziehbar dargelegt, dass es unverständlich sei, warum trotz Angabe umfangreicher Vorbehandlungen durch unterschiedliche Disziplinen von dem Beklagten keine Berichte und Vorbefunde eingeholt worden seien, abgesehen von einem Panoramaröntgenbild des vorbehandelnden Zahnarztes vom 5. Oktober 2005.

Die von der Klägerin unterzeichnete Erklärung, sie habe ihre Beschwerden mit schulmedizinischen Methoden abklären lassen, reiche nicht aus. Eine solche Abklärung bedürfe der ärztlichen Kontrolle durch Anforderung der Vorbefunde.

2. Ein weiterer Behandlungsfehler des Beklagten ist darin zu sehen, dass die chronischen Schmerzen der Klägerin interdisziplinär zu behandeln gewesen wären, er einen solchen Ansatz aber nicht gewählt hat.

Der Sachverständige Prof. Dr. W… hat die Notwendigkeit einer interdisziplinären Behandlung nachvollziehbar und überzeugend festgestellt.

Aus der Planung des Beklagten – so der Sachverständige – sei diesbezüglich aber nichts zu entnehmen. Die Klägerin hätte lediglich die Möglichkeit gehabt, in der Einwilligungserklärung auf Seite 7 zu erklären, ob sie z. B. vor der Herdsanierung noch andere Therapieversuche durchführen lassen möchte oder nicht. Eine ärztliche Empfehlung oder Führung habe es nicht gegeben, obwohl das lange Beschwerdebild dringend zumindest nach einer psychosomatischen Mitbetreuung verlangt hätte.

3. Der gravierendste Behandlungsfehler des Beklagten liegt aber darin, bei der Klägerin einen äußerst schwerwiegenden Eingriff (Entfernung von vier Zähnen im rechten Oberkiefer und Ausfräsung des gesamten Areals) vorzunehmen, ohne das Beschwerdebild vorher ausreichend abzuklären. Dabei ist dem Beklagten nicht vorzuwerfen, dass er die mit der Klägerin vereinbarten (alternativen) Untersuchungsmethoden angewandt hat, sondern dass er das multiple Beschwerdebild der Klägerin ausgeblendet und sich rein auf die Zahnbehandlung konzentriert und im Rahmen dieser ohne notwendige Gesamtabklärung auf damit völlig unsicherer Grundlage einen derart drastischen Eingriff bei ihr vorgenommen hat. Der Sachverständige Prof. Dr. W… hat insoweit auch bestätigt, dass auf Basis der durchgeführten Diagnostik sich keine Indikation für die durchgeführten und geplanten Extraktionsmaßnahmen habe ableiten lassen, auch nicht auf Grundlage der vereinbarten alternativen Heilmethode.

Der Senat lässt für den Beklagten gemäß § 543 Abs. 1 und 2 ZPO die Revision gegen das Urteil zu. Zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts darüber erforderlich, ob und inwieweit unter Berücksichtigung der zwischen den Parteien vereinbarten besonderen Heilmethode die von dem Beklagten bei der Klägerin durchgeführte Behandlung fehlerhaft gewesen ist.

Anmerkung:

Das Arbeiten mit einer ausdrücklichen Außenseitermethode entbindet den Arzt nicht von den allgemeinen Pflichten der medizinischen Behandlung. Inbesondere die vollständige Diagnostik ist immer zu beachten. Und Zahnbeschwerden, die möglicherweise in andere Körperbereiche ausstrahlen, sollte der Zahnarzt durch einen interdisziplinäre Überweisung, etwa zu Hausarzt oder Internisten, abklären lassen.

Da es noch keine Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu der Frage der Haftung des Arztes bei Vereinbarung einer besonderen Heilmethode (Außenseiterbehandlung) gibt, hat das OLG dem Arzt den Weg zum BGH eröffnet. 

Zum Thema:

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
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