(30.9.2016) Behauptet ein Patient eine Infektion mit multiresistenten Krankenhauskeimen (MRSA) und gibt er an, er sei gemeinsam mit einem Patienten mit einer offenen infizierten und nicht heilen wollenden Wunde in einem Raum untergebracht gewesen, so hat das Krankenhaus im Rahmen der sog. sekundären Darlegungslast nachzuweisen, welche Maßnahmen von ihm ergriffen wurden, um sicherzustellen, dass die in einem solchen Fall anzuwendenden, spezifischen Hygienebestimmungen des Robert-Koch-Instituts eingehalten werden (BGH, Beschluss vom 16. August 2016 – VI ZR 634/15).

Staphylococcus aureusDer Fall:

Der Kläger litt ab Sommer 2009 unter Beschwerden im rechten Ellenbogen („Tennisarm“). Die Hausärztin des Klägers überwies ihn an das beklagte Krankenhaus. Dort stellte sich der Kläger erstmalig am 11. Februar 2010 vor. Nachdem die zunächst durchgeführten konservativen Maßnahmen wie Gipsbehandlung, Spritzen, Salbenverbände, Schmerzmittel und Krankengymnastik nicht zu einer Besserung der Beschwerdesymptomatik geführt hatten, stellten die den Kläger behandelnden Ärzte am 4. März 2010 die Indikation zu einem operativen Eingriff. Die empfohlene Operation wurde am 9. März 2010 durchgeführt. Der Kläger war danach in einem Zimmer neben einem Patienten untergebracht, der unter einer offenen, eiternden und mit einem Keim infizierten Wunde im Kniebereich litt, sein "offenes Knie" dem Kläger und allen anderen Anwesenden bei den verschiedenen Verbandswechseln zeigte und darüber klagte, dass man den Keim nicht "in den Griff" bekomme.

Die Beschwerden des Klägers besserten sich nach dessen Entlassung aus dem Krankenhaus nicht. Vielmehr stellten die handelnden Ärzte eine deutliche Schwellung über der Ecksensorenplatte fest und empfahlen ihm eine Revisionsoperation.

Am 23.4.2010 wurde die eine Revisions-Operation durchgeführt. Die alte Wunde wurde eröffnet. Nachdem sich Eiter entleert hatte, wurde ein Abstrich genommen. Die Wunde wurde ausgiebig gesäubert und ein Debridement durchgeführt. Wegen der Wundinfektion wurde eine antibiotische Therapie eingeleitet. Eine Untersuchung des entnommenen Abstrichs ergab, dass die Wunde mit dem Staphylococcus aureus infiziert war, der multisensibel auf Antibiotika reagierte. Die Beschwerdesymptomatik verbesserte sich allerdings nicht wesentlich. Später wurde operativ eine Seitenbandplastik durch Entnahme eines Bindegewebstreifens aus dem Oberschenkel durchgeführt wurde. Der Kläger leidet heute noch unter einem Ruhe- und Belastungsschmerz. Er wirft der beklagten Klinik vor, sie habe ihn fehlerhaft behandelt, bzw. sie habe Hygienevorschriften nicht beachtet und dadurch sei es zu der Infektion im Ellenbogen mit Staphylococcus aureus gekommen.

Landgericht und Oberlandesgericht wiesen die Klage ab. Der Kläger habe nicht nachweisen können, dass er sich in der Klinik mit dem Keim infiziert habe.

Die Entscheidung:

Der BGH widersprach dem.

Der BGH wies zwar einschränkend darauf hin, dass der bei dem Kläger durch Abstrich nachgewiesene Erreger ein physiologischer Hautkeim ist, der bei jedem Menschen vorzufinden ist. Es ist möglich, dass der Kläger selbst Träger des Keims war und dieser in die Wunde gewandert ist oder der Keim durch einen Besucher übertragen worden ist. Deshalb liegt auch kein voll beherrschbares Risiko vor (läge dieses vor, müsste die Klinik beweisen, dass sich der Patient nicht in der Klinik infiziert hat).

Der BGH gab der Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers aber insofern statt, als es das Landgericht zur erneuten Beweisaufnahme verpflichtete. Denn die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Beklagten sei ein Verstoß gegen Hygienestandards nicht vorzuwerfen, beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger habe einen Verstoß gegen Hygienestandards nicht bewiesen, er habe insoweit nur Mutmaßungen mitgeteilt, würdigt nicht den Tatsachenvortrag des Klägers sowie die dem Kläger günstigen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen: Nach dem mangels abweichender Feststellungen zu unterstellenden Sachvortrag des Klägers war er im Anschluss an die Operation vom 9. März 2010 in einem Zimmer neben einem Patienten untergebracht, der unter einer offenen, eiternden und mit einem Keim infizierten Wunde im Kniebereich litt, sein "offenes Knie" dem Kläger und allen anderen Anwesenden bei den verschiedenen Verbandswechseln zeigte und darüber klagte, dass man den Keim nicht "in den Griff" bekomme.

Die gemeinsame Unterbringung eines Patienten mit einer offenen infizierten Wunde neben einem Patienten, der einen unauffälligen postoperativen Heilverlauf aufweist, ist nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen dann nicht zu beanstanden, wenn folgende Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des Robert-​Koch-​Institutes (RKI) eingehalten werden:

  • "Prävention postoperativer Infektionen im Operationsgebiet",
  • "Zur Beherrschbarkeit von Infektionsrisiken primum non nocere",
  • "Anforderungen der Hygiene bei Operationen und anderen invasiven Eingriffen"
  • "Anforderungen der Hygiene beim ambulanten Operieren im Krankenhaus und Praxis".

Der Sachverständige hatte angegeben, es entziehe sich seiner Kenntnis, inwieweit die vom Robert-​Koch-​Institut veröffentlichten Empfehlungen im Rahmen der damaligen ersten stationären Behandlung des Klägers beachtet worden seien; hier müsse ggf. eine entsprechende Recherche betrieben werden, z.B. dazu, ob die Vorschriften zur hygienischen Händedesinfektion und zum Verbandswechsel unter keimarmen Bedingungen eingehalten worden seien. Dies könne er aus den ihm vorgelegten Unterlagen nicht ableiten. Er selbst vermeide derartige Patientenkonstellationen, um derartige Diskussionen nicht führen zu müssen.

Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung der Angaben des Sachverständigen zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre.

Bei der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, auf die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken. Es wird dabei zu berücksichtigen haben, dass die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Maßnahmen trifft, die sie ergriffen hat, um sicherzustellen, dass die vom Sachverständigen als Voraussetzung für ein behandlungsfehlerfreies Vorgehen aufgeführten Hygienebestimmungen eingehalten wurden.

Denn der Kläger hatte konkrete Anhaltspunkte für einen Hygienevorstoß vorgetragen. Er hatte insbesondere darauf hingewiesen, dass er als frisch operierter Patient neben einen Patienten gelegt worden war, der unter einer offenen, mit einem Keim infizierten Wunde im Kniebereich litt und sein "offenes Knie" allen Anwesenden zeigte. Dieser Vortrag genügt, um eine erweiterte Darlegungslast der Beklagten auszulösen. Denn an die Substantiierungspflichten der Parteien im Arzthaftungsprozess sind nur maßvolle und verständige Anforderungen zu stellen. Vom Patienten kann regelmäßig keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden. Er ist insbesondere nicht verpflichtet, sich zur ordnungsgemäßen Prozessführung medizinisches Fachwissen anzueignen. Vielmehr darf er sich auf Vortrag beschränken, der die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens des Arztes aufgrund der Folgen für den Patienten gestattet. Zu der Frage, ob die Beklagte den vom Sachverständigen genannten Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des Robert-​Koch-​Institutes nachgekommen ist, konnte und musste der Kläger nicht näher vortragen. Er stand insoweit außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs. Welche Maßnahmen die Beklagte getroffen hat, um eine sachgerechte Organisation und Koordinierung der Behandlungsabläufe und die Einhaltung der Hygienebestimmungen sicherzustellen (interne Qualitätssicherungsmaßnahmen, Hygieneplan, Arbeitsanweisungen), entzieht sich der Kenntnis des Patienten.

Praxisanmerkung:

Die Entscheidung wird dem Patienten voraussichtlich nur wenig helfen. Das Landgericht wird dem Krankenhaus Gelegenheit zu weiterem Vortrag geben. Das Krankenhaus wird vortragen, dass es die Vorgaben des RKI eingehalten hat. Dann ist es Sache des Patienten, dies zu widerlegen und nachzuweisen, dass er sich bei dem Mann mit dem offenen Knie angesteckt hat. Das wird schwierig. Er weiss ja nicht einmal, mit welchem Keim der andere Patient infiziert war. Er kann natürlich behaupten, er gehe davon aus, es sei derselbe Keim. Ob das Gericht dieser Frage dann aber nachgeht, ist offen. 

Gleichwohl bedeutet die Entscheidung einen Lichtblick für Patienten: Sie können in künftigen Verfahren die jeweilige Behandlung anhand der oben genannten Empfehlungen des RKI auf Hygieneverstöße prüfen. Sie haben damit vom BGH Anhaltspunkte für den medizinischen Standard in der Hygiene in Krankenhäusern an die Hand bekommen. Gleichwohl wird der Nachweis eines Hygieneverstoßes und der Infektion immer schwierig bleiben. Sollte sich aber im vorliegenden Fall heraussstellen, dass der andere Patient ebenfalls mit Staphylococcus aureus infiziert war, so hätte der Kläger gute Erfolgsaussichten. 

Wichtig ist in jedem Fall, dass der betroffene Patient sich nicht darauf beschränkt, der Klinik einen Hygieneverstoß nachzuweisen. Er muss, wie der Kläger dies hier getan hat, möglichst konkret erklären, wie es zu der Infektion gekommen sein könnte. Dabei dürfen keine zu hohen Anforderungen an den Patienten gestellt werden, denn er ist medizinischer Laie. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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