(18.11.2016) Erneut hat ein Gericht einer Patientin, die von ihrer Krankenversicherung eine operative Fettabsaugung und Hautstraffungen nach einer Gewichtsabnahme begehrt, die Leistungen zugesprochen, weil die Klinik die kurze Frist zur Prüfung des Antrages versäumt hat (SG Braunschweig, Urteil vom 22. September 2016 – S 37 KR 284/15).   

Muss die Krankenkasse für die Beseitigung von Fettschürzen zahlen?Der Fall:

Die bei der Beklagten krankenversicherte und übergewichtige Klägerin nahm nach einer Magenverkleinerungsoperation rund 20 kg ab und litt danach unter Hautschürzen und Fettlappen an Oberarmen, Schenkeln etc. Sie wollte daher stationär die Brüste straffen und an verschiedenen Stellen Fett absaugen und den Bauchnabel versetzen lassen - auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung.

Ihr Arzt stellte am 22.5.2015 einen entsprechenden schriftlichen Antrag bei ihrer Krankenkasse und bat um Kostenübernahme. Die Kasse war skeptisch, ob das alles überhaupt Krankheitswert hat und beauftragte Ärzte mit der Prüfung des Antrags. Mit Schreiben vom 4.6.2015 wurde die Klägerin unter Hinweis auf die laufende ärztliche Begutachtung um Geduld gebeten. Die Klägerin wurde am 23.7.2015 von den Ärzten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) untersucht.

Der MDK gab hinsichtlich des Bauchnabels und der Schenkelstraffung grünes Licht und lehnte die übrigen Leistungen als nicht medizinisch notwendig ab.

Mit Bescheid vom 4.8.2015 bewilligte die Beklagte eine Kostenübernahme für die Bauchnabelplastik und die Oberschenkelstraffung an der Innenseite und lehnte den Antrag im Übrigen ab. Dagegen klagte die Patientin, die alle Kosten erstatten haben wollte. 

Die Entscheidung:

Die Patientin hat aus Sicht des SG Braunschweig Anspruch auf die gewünschte stationäre Behandlung.

Der Antrag des Arztes der Klägerin in einem Arztbrief ist ausreichend. Der Antrag muss noch nicht alle Befunde enthalten. Es reicht, wenn er klar macht, dass der Patient bestimmte Leistungen beansprucht. Ob diese Leistungen medizinisch notwendig sind, hat dann die Kasse zu prüfen.

Zwar steht im vorliegenden Fall nicht fest, ob die Leistungen medizinisch notwendig sind. Darauf kommt es aber nicht an. Denn die Kasse hat die fünfwöchige Prüffrist nach § 13 Abs. 3a SGB V versäumt. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, muss sie dies dem Patienten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mitteilen. 

Solch eine Mitteilung müsste zumindest auf die gesetzliche Fristenregelung hinweisen und darauf, dass die gesetzliche 5-Wochen-Frist nicht eingehalten werden kann sowie eine neue Prognose erstellen (vgl. etwa SG München, Urt. v. 25.1.2016 - S 44 KR 902/15; SG Oldenburg (Oldenburg), Urt. v. 22.7. 2015 - S 6 KR 205/14, jeweils zitiert nach Juris). Beides erfolgte im Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 4. Juni 2015 nicht. Die Klägerin wurde lediglich darauf hingewiesen, dass über ihren Antrag nach Eingang der Stellungnahme des MDK entscheiden werde.

Folge dieses Versäumnisses ist, dass die Leistung als genehmigt gilt und von der Kasse zu bezahlen ist. Ob die Patientin die Leistung bereits erhalten hat oder erst noch erhalten will, spielt keine Rolle. 

Dass die Liposuktion im Übrigen eine "neue" Behandlungsmethode ist und für sie keine positive Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) vorliegt, ändert an der Pflicht zur Zahlung nichts. Anders als die Beklagte meint, liegt die stationär durchzuführende Liposuktion nicht eindeutig außerhalb des Leistungsumfanges der Krankenkassen und die Genehmigungsfiktion wird auch insoweit nicht ausgeschlossen. Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nicht uneingeschränkt und unkontrolliert zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen sind. Jedoch ist hierbei zwischen neuen ambulant durchzuführenden Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen von § 135 SGB V und stationär durchzuführenden neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus im Rahmen von § 137c SGB V zu unterscheiden. Das SGB V legt in § 135 für ambulante Behandlungsmethoden als vertragsärztliche Versorgung ein generelles Verbot mit Erlaubnisvorbehalt fest. Für die stationäre Behandlung im Krankenhaus galt dagegen eine generelle Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt. Und die Klägerin will sich ja stationär operieren lassen. 

Praxisanmerkung:

Vermehrt wird es für die Kassen zu einem Problem, dass der von ihnen eingeschaltete MDK die kurzen Prüffristen des § 13 Abs. 3a SGB V nicht einhalten kann. Die Kassen müssen nach Wegen suchen, das Prüfverfahren zu straffen. Oftmals ist aber schon schwierig, einen "freien" Arzt beim MDK zu fiinden und den Untersuchungstermin mit dem versicherten Patienten zu vereinbaren. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, muss sie dies dem Patienten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mitteilen. Dieser Mitteilung ist besondere Aufmerksamkeit beizumessen. Es muss eine Prognose erstellt werden, so dass der Patient erfährt, wann er mit einer Entscheidung rechnen kann. 

Für die Patienten ist die Entscheidung, wie viele andere patientenfreundliche Entscheidungen zu der Liposuktion, erfreulich. Ist die Prüffrist überschritten, kann die Kasse nichts mehr gegen die Behandlung einwenden und muss die Kosten übernehmen. Der mit der Einführung von § 13 Abs. 3a SGB V verfolgte gesetzgeberische Zweck der Beschleunigung und des Patientenschutzes erreicht damit mehr und mehr sein Ziel.

Das Urteil im Volltext: 

Tenor

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 4. August 2015 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 23. Dezember 2015 verurteilet, der Klägerin postbariatrische Wiederherstellungsoperationen in Form der Oberarmstraffung beidseits; Bruststraffung inklusive Volumenvergrößerung und Liposuktion der Ober- und Unterschenkel entsprechend des Arztbriefes des Klinikums Nordstadt vom 19. Mai 2015 als Sachleistung zu gewähren.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2/3.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt diverse postbariatrische Widerherstellungsoperationen als Sachleistung.

Die Klägerin ist bei der Beklagten zur Kranken- und Pflegeversicherung versichert. Sie hatte ihr Gewicht um ca. 110 kg auf nunmehr 90 kg reduziert.

Mit Antrag vom 22. Mai 2015 beantragte die Klägerin mit Arztbrief des Klinikums Nordstadt (Hannover) die Übernahme von Kosten für eine Abdominalplastik mit Nabeltransplantation, eine Oberschenkelstraffung beidseits, eine Hautstraffungen an den Oberarminnenseiten, für eine Bruststraffung mit Volumenvergrößerung und für eine Liposuktion an den Ober- und Unterschenkeln (Bl. 1 f. der Verwaltungsakte). Im letzten Absatz heißt es: „Daher bitten wir um Kostenübernahme für die o.g. Eingriffe im stationären Rahmen.“

Die Beklagte beauftragte den MDK mit einer Beurteilung (Bl. 4 der Verwaltungsakte). Eine Untersuchung erfolgte am 23. Juli 2015.

Mit Einladungsschreiben vom 4. Juni 2015 (Bl. 11 der Verwaltungsakte) wurde die Klägerin darauf hingewiesen: „Sobald uns das Gutachten des Medizinischen Dienstes vorliegt, werden wir über Ihren Antrag entscheiden. Wir bitten Sie daher noch um ein wenig Geduld. “

Mit Stellungnahme vom 28. Juli 2015 (Bl. 12 ff. der Verwaltungsakte) stellte der MDK fest, dass die Voraussetzungen für die Abdominalplastik und die Straffung der Oberschenkelinnenseiten vorliegen. Die Hautüberschüsse im Bereich der Oberarme hätten hingegen keinen Krankheitswert sowie der Hautüberschuss an den Brüsten. Auch einer Liposuktion könne nicht zugestimmt werden.

Mit Bescheid vom 4. August 2015 (Bl. 32 ff. der Verwaltungsakte) bewilligte die Beklagte eine Kostenübernahme für die Abdominalplastik und die Oberschenkelstraffung an der Innenseite und lehnte den Antrag im Übrigen ab.

Den eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchbescheid vom 23. Dezember 2015 zurück (Bl. 38 ff. der Verwaltungsakte).

Die Klägerin stellte ihre zunächst als Feststellungsklage erhobene Klage auf eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage um.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen nunmehr,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 4. August 2015 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 23. Dezember 2015 zu verurteilen, der Klägerin fünf postbariatrische Wiederherstellungsoperationen (1. Abdominalplastik mit Nabeltransplantation; 2. Oberschenkelstraffung beidseits; 3. Oberarmstraffung beidseits; 4. Bruststraffung inklusive Volumenvergrößerung; 5. Liposuktion der Ober- und Unterschenkel) als Sachleistung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und meint mit dem übersandten Arztbrief würde schon kein vollständiger Antrag vorliegen. Zudem sei die Liposuktion bereits keine anerkannte Behandlungsmethode und daher grundsätzlich nicht auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung durchführbar.

Neben den Gerichtsakten lagen die Verwaltungsakte der Beklagten vor und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der Verfahrenshandlungen der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte über den Rechtstreit nach Zustimmung der Parteien mit Schreiben vom 5. August und 1. September 2016 (Bl. 56 und 72 der Gerichtsakte) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz /SGG) entscheiden.

I.

Die Klage ist teilweise zulässig.

1. Soweit die Klägerin im Klageweg eine Abdominalplastik mit Nabeltransplantation und Oberschenkelstraffung beidseits geltend macht, besteht bereits kein Rechtschutzbedürfnis.

Jede Rechtsverfolgung setzt ein Rechtschutzbedürfnis voraus. Diese Sachentscheidungsvoraussetzung begründet sich aus dem auch im Prozessrecht geltenden Gebot von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-), dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte und dem Grundsatz des effizienten staatlichen Handelns (BSG, Urt. v. 12.7.12 - B 14 AS 35/12). Es kommt darauf an, ob die Klageerhebung für die Klägerin angesichts der besonderen Umstände des Falls erforderlich war (vgl. Kopp/Schenke § 42 VwGO Rn. 178). Das Rechtschutzinteresse fehlt dann, wenn das begehrte Urteil die rechtliche Situation oder wirtschaftliche Stellung des Klägers nicht verbessern kann (BSG, Urt. v. 22.3.12 - B 8 SO 24/10 R; BVerwG, Urt. v. 29.4.04 - 3 C 25/03).

Die Klägerin kann ihre Stellung insoweit nicht durch die Klage verbessern, diese Leistungen hat die Beklagte bereits mit Bescheid vom 4. August 2015 genehmigt.

2. Die Klage ist im Übrigen als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig.

Mit der echten Leistungsklage kann die Verurteilung zu einer Leistung begehrt werden, auf die ein Rechtsanspruch besteht, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Die prozessuale Situation der Klägerin soweit die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) durch Zeitablauf für die weiteren Operationen eingetreten ist, entspricht dem Fall, dass die Klägerin bereits einen Bewilligungsbescheid erhalten hat, dieser aber von der Verwaltungsbehörde nicht vollzogen wird. Auch hier ist die echte Leistungsklage zulässig, da auch hier nicht nochmals ein Bescheid zu ergehen hat.

Im Übrigen bedurfte es der Erhebung einer Anfechtungsklage, um die dem Leistungsbegehren entgegenstehende abweichende Entscheidung der Beklagten aufzuheben und den von der Beklagten gesetzter Rechtsschein zu beseitigen. Aufgrund der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V durften keine ablehnenden Bescheide mehr ergehen. Die ergangenen Bescheide setzen nunmehr einen Rechtsschein der Ablehnung.

II.

Im Übrigen ist die zulässige Klage auch begründet.

Der im Übrigen ablehnende Bescheid vom 4. August 2015 ist über die bewilligten Leistungen hinaus rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf weitere postbariatrische Wiederherstellungsoperationen in Form der Oberarmstraffung beidseits; Bruststraffung inklusive Volumenvergrößerung und einen Anspruch auf eine Liposuktion der Ober- und Unterschenkel.

1. Dies folgt bereits aus der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V. Danach hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2). Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7).

§ 13 Abs. 3a SGB V beruht auf dem am 26. Februar 2013 in Kraft getretenen Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20. Februar 2013 (Patientenrechtegesetz, BGBl. I 2013, 277). Die Norm verfolgt das Ziel, die Entscheidungsprozesse der Krankenkassen im Interesse der Patienten zu beschleunigen. Deshalb werden der Krankenkasse durch diese Vorschrift im Verwaltungsverfahren bestimmte Fristen auferlegt, die verhindern sollen, dass Versicherte unzumutbar lange auf eine Entscheidung warten müssen (vgl. Joussen, in: Beck'scher OK Sozialrecht, Stand: 01.03.2015, § 13 SGB V Rn. 21a). Der spezifische Schutzzweck dieser Norm liegt darin, Versicherte in dem grundrechtsrelevanten Bereich des Gesundheitsschutzes vor den Folgen eines unangemessen langen Verwaltungsverfahrens zu schützen (Noftz, in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand: EL I/2014, § 13 Rn. 58l). Insoweit kommt der Vorschrift gegenüber der zu langsam arbeitenden Krankenkasse auch eine gewisse Sanktionswirkung zu (SG Mannheim Urt. v. 03.06.2014 - S 9 KR 3174/13, zitiert nach juris Rn. 20; SG Lüneburg Urt. v. 17.02.2015 - S 16 KR 96/14, zitiert nach juris Rn. 15).

Rechtsfolge der Fristversäumung ist der Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V. Dies vermittelt dem Kläger den hier geltend gemachten Sachleistungsanspruch. Nach ihrem klaren Wortlaut gewähren Satz 6 und Satz 7 mittels einer Genehmigungsfiktioneinen Sachleistungsanspruch oder einen Kostenerstattungsanspruch für die erforderliche Leistung.

Der Anspruch nach § 13 Abs. 3a SGB V beschränkt sich nicht auf eine Kostenerstattung.

Zwar hatte der Gesetzgeber zunächst lediglich einen Kostenerstattungsanspruch für erforderliche Leistungen ins Auge gefasst, wie es sich aus dem Entwurf des Patientenrechtsgesetz (PatRechtG) ergibt (BR-Drucks. 312/12, S.46, s.a. BT-Drucks. 17/10488, S. 32). Nachdem durch den Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestags im November 2012 mit dem Satz 6 eine Genehmigungsfiktion der Leistung bei Nichteinhaltung der Fristen neben der in Satz 7 geregelten Kostenerstattung aufgenommen worden war (BT-Drucks. 17/11710 S.30), um es dem Versicherten zu erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen, wurden Satz 6 und Satz 7 in der Gesetzesänderung aufgenommen. Beide Sätze stehen ihrem Wortlaut nach gleichberechtigt nebeneinander. Wäre der Geltungsbereich des § 13 Abs. 3 a SGB V lediglich auf einen Kostenerstattungsanspruch beschränkt, käme Satz 6 kein eigener Regelungsgehalt zu.

Zudem schlösse eine solche Auslegung mittellose Versicherte, die nach Ablauf der Frist nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, entgegen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) praktisch aus dem Schutzbereich des § 13 Abs. 3 a SGB V aus (so i.E. SG Dessau-Roßlau, Urt. v. 18.12.2013 - S 21 KR 282/13 - , SG Nürnberg, Beschl. v. 25.3.2014 - S 7 KR 100/14 ER; SG Nürnberg Urt. v. 27.3.2014 - S 7 KR 520/13). Selbst wenn man sich der Auffassung anschließen würde, § 13 Abs. 3 a SGB V gewähre nur einen Kostenerstattungsanspruch, so gelangt man zu keinem anderen Ergebnis, da der Kostenerstattungsanspruch auch einen Anspruch auf Freistellung umfasst.

2. Die Beklagte hat die hier einschlägige 5-Wochen-Frist nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V nicht eingehalten. Die Frist des § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V beginnt nach § 26 Abs. 1 und 3 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) am auf den Antragseingang folgenden Tag - hier am 23. Mai 2015 - und endet nach fünf Wochen mit dem Ablauf des Tages, der nach seiner Benennung dem Tag des Antragseingangs entspricht, hier mit Ablauf des 26. Juni 2015. Die Entscheidung der Beklagten über den Antrag der Klägerin erfolgte am 4. August 2016 und damit außerhalb der Frist.

Dem Fristablauf steht nicht entgegen, dass die Klägerin ihren Antrag mittels Arztbrief an die Klägerin versandt hat. Ein Antrag im Sinne von § 13 Abs. 3a SGB V ist vollständig, wenn er als solcher zu verstehen ist, ggf. unter Auslegung, hinreichend bestimmt und bei der richtigen Krankenkasse gestellt wird. Versicherte sind nicht gehalten, bereits im Rahmen der Antragstellung alle erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Die Krankenkassen sind gemäß § 20 SGB X zur umfangreichen Ermittlung des Sachverhaltes verpflichtet. Hierzu gehört etwa die selbstständige Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte, sofern dies für notwendigerachtet wird (vgl. SG Detmold, Urt. v. 18.6.2015 - S 3 KR 493/14, zitiert nach Juris Rn. 24).

Diesen Anforderungen entsprach der übersandte Arztbrief der Klägerin, insbesondere der letzte Absatz enthält eine eindeutige Aufforderung einer Leistungsbewilligung. Diesen Antrag hatte die Beklagte auch als solchen verstanden, den MDK mit einer Stellungnahme beauftragt und einen Teil der Leistungen bewilligt.

Zudem teilte die Beklagte die Klägerin nicht mit, dass sie die Frist nach § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V nicht einhalten wird. Solch eine Mitteilung müsste zumindest auf die gesetzliche Fristenregelung hinweisen und darauf, dass die gesetzliche 5-Wochen-Frist nicht eingehalten werden kann sowie eine neue Prognose erstellen (vgl. etwa SG München, Urt. v. 25.1.2016 - S 44 KR 902/15; SG Oldenburg (Oldenburg), Urt. v. 22.7. 2015 - S 6 KR 205/14, jeweils zitiert nach Juris). Beides erfolgte im Einladungsschreiben vom 4. Juni 2015 nicht. Die Klägerin wurde lediglich darauf hingewiesen, dass über ihren Antrag nach Eingang der Stellungnahme des MDK entscheiden werde.

3. Der Genehmigungsfiktion steht nicht entgegen, dass die Wiederherstellungsoperationen nach der Stellungnahme des MDK die Brustform der Klägerin und die Form der Oberarminnenseiten keinen Krankheitswerten haben, insbesondere nicht entstellend wirken oder sie in der Bewegung behindern.

Weiterer medizinischer Ermittlungen bedurfte es hier nicht. Das Wirksamwerden der Genehmigungsfiktion hängt ausschließlich von der Nichteinhaltung der Frist bei fehlender schriftlichen Mitteilung der Nichteinhaltung ab, nicht dagegen von der Einhaltung des Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebots nach §§ 2 Abs. 1 S. 3, 12 Abs. 1 SGB V oder der sonstigen Voraussetzungen (LSG Saarland, Urt. v. 17.06.2015 - L 2 KR 180/14; LSG NRW, Beschl. v. 17.06.2015 - L 5 KR 222/14 B ER, jeweils zitiert nach Juris). Andernfalls würden der Sanktionscharakter und die Genehmigungsfiktion der Vorschrift leer laufen. Eine Beschränkung auf den sonstigen Leistungsvoraussetzungen des SGB V genügende Leistungen wäre mit dem Ziel der Gesetzesnovellierung nicht vereinbar, weil dieselbe Situation eintreten kann, wie sie vor der Einführung der Genehmigungsfiktion im Rahmen der Freistellung nach § 13 Abs. 3 SGB V bestanden hat, nämlich, dass der Anspruch auf die erforderliche Leistung innerhalb des Systems der GKV zu überprüfen ist. Wenn Prüfungsumfang und Zeitdauer des Verfahrens durch eine nachträgliche Überprüfung praktisch wieder identisch mit den Verfahren vor Inkrafttreten der Regelung werden, hätte die Neuregelung in der Praxis keine spürbar positiven Effekte für den Schutz der Patientenrechte (so ausdrücklich: LSG Saarland, Urt. v. 17.06.2015 - L 2 KR 180/14, zitiert nach Juris). Insoweit ist nur eine Evidenzprüfung hinsichtlich des grundsätzlichen Umfanges von den Krankenkassen zu gewährenden Sachleistungen durchzuführen.

Am gesetzgeberischen Willen des Patientenrechtsgesetz (PatRechtG, BR-Drucks. 312/12, S.46, siehe auch BT- Drucks. 17/10488, S. 32) orientiert, dem Versicherten zu erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen kann hinsichtlich des Leistungsumfanges nur eine Evidenzkontrolle hinsichtlich des Leistungsumfanges stattfinden. Eine Einzelfallprüfung würde einer effektiven Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens und der Rechtssicherheit für den Versicherten entgegenstehen (so auch SG Augsburg, Urt. v. 12.4.2016 - S 10 KR 50/15, zitiert nach juris, Rn. 34). Das Bundessozialgericht führt dazu aus, „dass die Regelung es dem Berechtigten einerseits erleichtern soll, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen soll, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen“ (BSG, Urt. v. 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R, zitiert nach Juris Rn. 26).

Insoweit konnte es dahinstehen, ob die Voraussetzungen des Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebots nach §§ 2 Abs. 1 S. 3, 12 Abs. 1 SGB V für die weiteren begehrten Operationen erfüllt sind.

4. Der Genehmigungsfiktion steht auch nicht entgegen, dass die Liposuktion eine neue Behandlungsmethode ist und keine positive Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) vorliegt.

Anders als die Beklagte meint, liegt die stationär durchzuführende Liposuktion nicht evident außerhalb des Leistungsumfanges der Krankenkassen und die Genehmigungsfiktion wird auch insoweit nicht ausgeschlossen.

Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nicht uneingeschränkt und unkontrolliert zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen sind. Jedoch ist hierbei zwischen neuen ambulant durchzuführenden Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen von § 135 SGB V und stationär durchzuführenden neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus im Rahmen von § 137c SGB V zu unterscheiden. Das SGB V legt in § 135 für ambulante Behandlungsmethoden als vertragsärztliche Versorgung ein generelles Verbot mit Erlaubnisvorbehalt fest. Für die Krankenhausbehandlung gemäß § 137c SGB V ergibt eine generelle Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt. So überprüft der GBA gemäß. § 137c Abs. 1 S. 1 SGB V Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden oder angewandt werden sollen, daraufhin, ob sie für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind. Gemäß § 137c Abs. 1 S. 2 SGB V erlässt der GBA eine Richtlinie, wonach die Methode im Rahmen einer Krankenhausbehandlung nicht mehr zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden darf, wenn die Überprüfung ergibt, dass der Nutzen einer Methode nicht hinreichend belegt ist und sie nicht das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, insbesondere weil sie schädlich oder unwirksam ist (LSG NSB, Urt. v. 22.3.2016 - L 4 KR 438/13, zitiert nach juris).

Hieraus ergibt sich zwar nicht, dass jedwede Behandlung ohne Erfolgsaussicht und ohne qualitative Prüfung im Krankenhaus zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden darf, solange, wie im vorliegenden Fall, bezüglich der begehrten Behandlungsmethode kein Negativvotum des GBA vorliegt. Allerdings ergibt sich der Anspruch der Klägerin aus § 13 Abs. 3a i.V.m. § 137c Abs. 3 SGB V i.d.F. des Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz - GKV-VSG) vom 16.07.2015 (BGBl I, S. 1211 f). Danach dürfen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der GBA bisher keine Entscheidung nach Abs. 1 getroffen hat, im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Dies gilt sowohl für Methoden, für die noch kein Antrag nach Abs. 1 S. 1 gestellt wurde, als auch für Methoden, deren Bewertung nach Abs. 1 noch nicht abgeschlossen ist (LSG NSB, Urt. v. 22.3.2016 - L 4 KR 438/13, zitiert nach juris).

Der GBA hat in seiner Sitzung vom 22. Mai 2014 den Beschluss über die Einleitung des Beratungsverfahrens der Bewertung der Liposuktion bei Lipödem gem. §§ 135 Abs. 1 und 137c SGB V gefasst. Das Verfahren ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Nach Auffassung der Kammer hat die Liposuktion bei Lipödem das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative. Denn das Gesetz setzt in § 137c Abs. 3 SGB V mit dem Begriff „Potential" die Anforderungen an die geforderte Evidenz im Rahmen des Qualitätsgebots im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V herab (LSG BaWü, Urt. v. 17.11.2015, L 11 KR 1116/12, Rn. 62, zitiert nach juris). Insoweit ist es nicht erforderlich, dass die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftlicher) die Behandlungsmethode befürwortet, und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht (zur vor dem 23. Juli 2015 geltenden Fassung des § 137c SGB V vor Einfügung des hier angewandten Abs. 3 BSG, Urt. v. 21.3.2013, B 3 KR 2/12 R, zitiert nach juris Rn. 12 und zur neuen Rechtslage LSG NSB, Urt. v. 22.3.2016 - L 4 KR 438/13, zitiert nach juris).

Nach § 137c Abs. Abs. 3 SGB V in der Fassung, die die Norm durch das Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz - GKV-VSG) vom 16.7.2015 (BGBl I, S. 1211 f) gefunden hat, ist es ausreichend, dass die neue Behandlungsmethode, wie hier die Liposuktion als Behandlungsmethode für das Lipödem, als Therapiemaßnahme vorgeschlagen und Eingang in die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie e.V. erstellte S1-Leitlinie zum Lipödem gefunden hat.

Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers, der in seiner Gesetzesbegründung explizit ausgeführt hat, dass die Regelung des § 137c Abs. 3 SGB V den Umfang der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt konkretisiere und damit die Teilhabe der Versicherten am medizinischen Fortschritt gewährleiste und, dass der bestehende Wertungswiderspruch in der Gesetzesauslegung in der jüngsten höchstrichterlichen Rechtsprechung (unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 21. März 2013, B 3 KR 2/12 R), wonach jede einzelne Krankenkasse einem Versicherten die Kostenübernahme für eine Methode mit Potential als erforderliche Behandlungsalternative verwehren könne, während der GBA die gleiche Methode nicht unmittelbar nach § 137c Abs. 1 SGB V aus der Versorgung ausschließen dürfe, aufgehoben werde (BT-Dr. 18/5123, S. 135). Insoweit ist der Maßstab bei Behandlung im Krankenhaus unter Anwendung von § 137 c SGB V deutlich großzügiger, als noch vom BSG in der Entscheidung vom 19. Februar 2003 zum Az.: B 1 KR 1/02 R vertreten- für die vertragsärztliche Versorgung unter Berücksichtigung von § 135 SGB V (LSG NSB, Urt. v. 22.3.2016 - L 4 KR 438/13, zitiert nach juris).

Obwohl die S1-Leitlinie im dreistufigen Prozess der Entwicklung von Leitlinien die geringste medizinwissenschaftliche Aussagekraft hat, handelt es sich bei einer S1 -Leitlinie um eine Empfehlung, die vom Vorstand der Fachgesellschaft verabschiedet wird, die von einer repräsentativ zusammengesetzten Expertengruppe der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaft im informellen Konsens erarbeitet worden ist (http://www.awmf.org/uploads/ tx_szleitlinien/ 037-012l_S1_Lipoedem_2016-01.pdf, abgerufen am 21.9.2016). Sie geht damit in ihrer Überzeugungskraft über eine bloße persönliche Überzeugung eines einzelnen Behandlers hinaus und rechtfertigt die Annahme, dass die vorgeschlagene Behandlung das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, ohne dass hierüber Gewissheit besteht (vgl. LSG NSB, Urt. v. 22.3.2016 - L 4 KR 438/13, zitiert nach juris). Letzteres ist, wie bereits dargestellt nicht erforderlich.

In Anbetracht der am gesetzgeberischen Willen des Patientenrechtsgesetz (PatRechtG, BR- Drucks. 312/12, S.46, siehe auch BT- Drucks. 17/10488, S. 32) orientierten Evidenzkontrolle hinsichtlich des Leistungsumfanges konnte es auch dahinstehen, ob die Voraussetzungen des Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebots nach §§ 2 Abs. 1 S. 3, 12 Abs. 1 SGB V für die Liposuktion erfüllt sind und ob diese zwingend stationär durchzuführen war.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtstreits in der Hauptsache. Insbesondere wird dem Rechnung getragen, dass zwei der fünf beantragten Behandlungen bereits durch die Beklagte bewilligt waren und insoweit eine Klageerhebung nicht veranlasst wurde.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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