(24.12.2016) Kommt es bei einer operativen Entfernung der Prostata mittels Elektrochirurgie (Kauterisation) zu einer großflächtigen Verbrennung des Gesäßes, so ist der Operateur nicht verpflichtet zu beweisen, dass er dies nicht verantworten hat (nach den Grundsätzen des sog. voll beherrschbaren Risikos). Denn nach dem sterilen Abdecken des Operationsfeldes hat er keine Möglichkeit mehr zu kontrollieren, ob sich an den Kontaktflächen Flüssigkeiten wie z.B. ausgelaufenen Spülflüssigkeiten oder Schweiß ansammeln, die zu einer unkontrollierten Ableitung des Stromflusses führen (OLG Hamm, Urteil vom 4. November 2016 – 26 U 67/13).

Funktionsschema der ElektrokoagulationDer Fall:

Der damals sechsundfünfzigjährige, übergewichtige Patient (Kläger) litt an einem Prostatakrazinom (Krebs).

Die Prostata wurde unter Legung einer PDA mittels Elektrokauter operativ entfernt (retropubische Prostatektomie).

Der Kläger meint, die Operation sei fehlerhaft ausgeführt worden so dass dabei seine Haut großflächig verbrannt sei. In der Folge musste dem Kläger ein Großteil eines Gesäßmuskels entfernt werden.

Der Kläger hat von den beklagten Ärzten wegen vermeintlicher ärztlicher Behandlungsfehler in der Hauptsache die Zahlung eines mit mindestens 50.000,00 EUR für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes und die Feststellung weitergehender Ersatzpflicht sowie Verdienstausfallschäden begehrt.

Der Kläger hat behauptet, dass die Lagerung und/oder die Durchführung der Operation fehlerhaft erfolgt seien. Darüber hinaus sei postoperativ nicht rechtzeitig auf die Verletzung reagiert worden. Des Weiteren hat er gerügt, nicht gesondert über das Risiko einer intraoperativen Verbrennung aufgeklärt worden zu sein.

Die Entscheidung:

Nach Anhörung sowohl medizinischer als auch technischer Sachverständiger wies auch das Oberlandesgericht Hamm die Klage zurück.

Hervorzuheben ist dabei, dass das Gericht der Meinung ist, dass der Operateur es nicht ohne weiteres verhindern (voll beherrschen) kann, dass es bei dieser mehrstündigen Operation zu Flüssigkeitsansammlungen an oder in der Nähe der Kontaktgelmatte kommt.

Dies ist nur nachvollziehbar, weil bei mehrstündigen Operationen der Patient schwitzen kann. Dies gilt umso mehr, als der Kläger übergewichtig war und bei der Operation bei Bewußtsein war (er war mittels Periduralanästhesie (PDA) betäubt).

Auch an der (knapp beschriebenen) Lagerung des Klägers findet das Gerichts nichts auszusetzen. Ist im OP-Bericht eine "leicht überstreckte Rückenlage" angegeben, so reicht dies zur zur Darlegung einer ordnungsgemäßen Vorgehensweise bei der Lagerung aus. Mehr muss dazu nicht beschrieben bzw. dokumentiert werden. Denn grundsätzlich genügt es, die Lagerung technisch schlagwortartig zu beschreiben, so dass für den Fachmann erkennbar wird, nach welcher Methode gelagert und operiert worden ist. Nur wenn von der einmal gewählten Lagerung dann (ausnahmsweise) wieder abgewichen wird, ist dies zu dokumentieren.

Das Gericht fand auch weder Anhaltspunkte für Bedienfehler des Elektrokoagulators noch für technische Defekte z.B. der Elektroden. Das Gericht sah auch keinen Lagerungsfehler.

Da in dem Aufklärungsformular ein Hinweis auf "Gefahr von Hautschäden durch elektrischen Strom" zu finden war, schied aus Sicht des Gerichts auch ein Aufklärungsfehler aus.

Praxisanmerkung:

Von einem voll beherrschbaren Risiko (bei dessen Vorliegen die Beweislast zu Gunsten des Patienten umgedreht wird) kann nur in Ausnahmefällen gesprochen werden. Voll beherrschbar ist zum Beispiel das Umbetten eines Patienten mit zwei Pflegekräften vom Stuhl in das Bett. Im operativen Bereich gibt es nur sehr wenige voll beherrschbare Risiken. Insofern war es nachvollziehbar, dass hier ein solches Risiko verneint wurde. Überdies war es gut denkbar, dass der übergewichtige Patient geschwitzt hat, was der Arzt bei einer mehrstündigen Operation ebensowenig verhindern kann, wie dass die intraoperative Spülflüssigkeit (mit der die OP-Wunde zur besseren Sicht oder zum Entfernen von Geweberesten gespült wird) vom Arzt unbemerkt am Patienten herabläuft und sich so ein "hotspot" bildet, an dem ein starker abließender Stromfluß die Haut schädigt.

Dass das Gericht einen Aufklärungsfehler mit dem bloßen Hinweis auf das Aufklärungsbogen verneinte, muss allerdings sehr kritisch gesehen werden. Denn maßgeblich ist nicht der Inhalt eines entsprechenden Formulars sondern der Inhalt des Aufklärungsgesprächs (für das das Formular allerdings ein Indiz ist). Hier hätte geklärt werden müssen, ob dieses Risiko auch mit dem Patienten besprochen wurde.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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