(27.1.2017) Eine Erlaubnis zum Betrieb einer ärztlichen Zweigpraxis ist nicht zu erteilen, wenn die Einzugsbereiche der Hauptpraxis und der Zweigpraxis wegen ihrer räumlichen Nähe identisch sind, denn dann fehlt es an einer Versorgungsverbesserung, weil die Leistungen auch am Hauptsitz angeboten werden können (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 05. Oktober 2016 – L 11 KA 63/15).

Eine Zweigpraxisgenehmigung kann nur erteilt werden, wenn die Zweigpraxis zu einer Verbesserung der Versorgung der Patienten führtDer Fall:

Im Streit steht eine Ermächtigung zur vertragsärztlichen Tätigkeit außerhalb des Vertragsarztsitzes an einem weiteren Ort (Zweigpraxis).

Der Kläger ist Facharzt für Innere Medizin und nimmt als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Vertragsarztsitz ist die E-​Str. 00 in E.

Ende 2011 stellte er einen Antrag auf vertragsärztliche Tätigkeit an weiteren Orten außerhalb des Vertragsarztsitzes (Filiale/Zweigstelle). Standort der Filiale solle die W-​straße 00 in E (sprich in der Innenstadt) mit Sprechzeiten mittwochs von 13:00 Uhr bis 18:00 Uhr, donnerstags von 18:00 Uhr bis 20:00 Uhr sowie samstags von 10:00 Uhr bis 13:00 Uhr sein. Der Standort sei 1,7 km von seinem Vertragsarztsitz entfernt und könne von dort aus in fünf Minuten mit dem Auto oder in 15 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht werden. Auf dem Antragsformular der Beklagte kreuzte er an, dass eine Verbesserung wegen langer Wartezeiten, eines abweichenden Leistungsspektrums und organisatorischer/logistischer Gründe gegeben sei. 

Außerdem würden ihm von Gynäkologen aus der Innenstadt schwangere Frauen mit Diabetes überwiesen. Für diese Patienten wäre es eine erhebliche Verbesserung, wenn sie beide Arztbesuche verbinden könnten und nicht zusätzlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu der Praxis an der E Straße fahren müssten. Zudem betrage die Wartezeit bei dem einzigen Kollegen mit einer vergleichbaren Schwerpunktpraxis bis zu einem halben Jahr. Für seine Patienten aus I wäre es eine enorme Verbesserung, wenn sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln direkt in der Innenstadt versorgt werden könnten und nicht erst umsteigen müssten, um zu der Praxis an der E Straße zu gelangen. Er verfüge über eine Genehmigung zur Gelbfieberimpfung, dieses Angebot sei in der Innenstadt einzigartig. 

Die beantragte Zweigpraxisgenehmigung wurde abgelehnt, weil mit dieser keine Verbesserung der Versorgung seiner Patienten verbunden sei. 

Dagegen klagte der Arzt. Das Sozialgericht wies die Klage ab.

Die Entscheidung:

Das Landessozialgericht NRW wies die Berufung des Arztes zurück. 

Sind die Einzugsbereiche der Hauptpraxis und der Zweigpraxis wegen ihrer räumlichen Nähe identisch, fehlt es an einer Versorgungsverbesserung, weil die Leistungen auch am Hauptsitz angeboten werden können. Räumlicher Bezugspunkt für eine Verbesserung der Versorgung ist der "weitere Ort" im Sinne des § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Ärzte-​ZV. Die Zweigpraxis lag im selben Ort wie die Hauptpraxis (wobei es hier wegen der Distanz von nur 1,7 km im Ergebnis keinen Unterscheid macht, ob man auf den geografischen "Ort" oder den politischen "Ort" abstellt). Auf die Frage, ob sich die Versorgung der Patienten an dem weiteren Ort verbessert, kommt es mithin nicht mehr an. 

Zur Versorgungsverbesserung merkt das LSG an: Fahrtzeiten von fünfzehn Minuten sind den Patienten im Übrigen zumutbar. Eine einfachere und mithin bequemere Erreichbarkeit der Zweigpraxis stellt gerade keine Versorgungsverbesserung dar, da mit jeder Zweigpraxis zumindest für einen Teil der Patienten eine Wegezeitverkürzung verbunden ist und das Erfordernis der Versorgungsverbesserung mithin leerliefe. Sofern der Kläger in der mündlichen Verhandlung darauf abgestellt hat, dass es dem von ihm betreuten Klientel drogenabhängiger Patienten zu umständlich sei, von der Innenstadt zum Sitz seiner Hauptpraxis zu fahren, und sie stattdessen lieber auf die notwendige Behandlung verzichten würden, ergibt sich daraus keine andere Wertung. Bei dem Kriterium der Versorgungsverbesserung der Versicherten handelt es sich um ein objektives Kriterium, auf die Befindlichkeiten der einzelnen Patienten kommt es mithin nicht an.

Praxisanmerkung:

In folgenden Fällen wird eine Verbesserung der Versorgung der Patienten durch eine Zweigpraxis bejaht:

  • Versorgungslage im Bereich der Zweigpraxis ist nicht ausreichend - Patienten haben lange Wartezeiten für Facharzttermin
  • Patienten im Bereich der Zweigpraxis sind immobil
  • Patienten im Bereich der Zweigpraxis sind dement
  • beantragender Arzt kann besonderes Versorgungsangebot anbieten
  • oder ähnliches

Die ordnungsgemäße Versorgung der Patienten (Präsenzpflicht) am Hauptsitz darf aber zugleich nicht beeinträchtigt werden. Diese wird grundsätzlich dann nicht beeinträchtigt, wenn die Dauer der Tätigkeit des Arztes in der Zweigstelle ein Drittel seiner Tätigkeit am Hauptsitz nicht übersteigt.

Bei der Beantragung einer Genehmigung für eine Zweigpraxis sind alle Begleitumstände zu berücksichtigen (wie etwa die Versorgungslage im Bereich der Zweigpraxis, die Erreichbarkeit des Arztes für die Patienten im Bereich der Zweigpraxis und die in der Zweigpraxis angebotenen Sprechstunden im Verhältnis zum Versorgungsbedarf) und sogleich umfassend in dem Antrag geltend zu machen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
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