(12.7.2017) Begeht ein Arzt, der zugleich Anwalt ist, über Jahre hinweg Abrechnungsbetrug in mehreren Begehungsvarianten bei Leistungen in einem Pflegeheim und verursacht so einen Schaden von über 90.000 EUR, so kann seine Zulassung entzogen werden und dies auch dann, wenn der Betrug länger als fünf Jahre zurückliegt (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.08.2016 - L 5 KA 1165/16).

Der Fall:

Der Kläger, praktischer Arzt und zugleich Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei, wurde mit Urteil vom 9.10.2012 wegen gewerbsmäßig begangenen Abrechnungsbetrugs in 21 Fällen aus den Jahren 2003 bis 2008 mit einem vom Arzt zugestandenen Gesamtschaden von über 90.000 EUR zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten auf Bewährung verurteilt. Der Verurteilung lagen Abrechnungen für nicht erbrachte Leistungen (Begehungsvariante A), Abrechnungen für nicht honorarfähige, da von einem ungenehmigten Assistenten erbrachte Leistungen (Begehungsvariante B) und trotz Beendigung des Arzt-Patienten-Verhältnisses abgerechnete Leistungen (Begehungsvariante C) zugrunde.

Mit Beschluss des Zulassungsausschusses vom 26.3.2014 entzog der Zulassungsausschuss dem Kläger die Zulassung. Den Widerspruch wies der Berufungsausschuss zurück. Dagegen klagte der Arzt.

Die Entscheidung:

Das LSG gab dem Berufungsausschuss der KV Recht.

Bei einer Verurteilung wegen fortgesetzten Betrugs in verschiedenen Begehungsvarianten mit einem Vermögensschaden von über 90.000 EUR sei von einer gröblichen Pflichtverletzung auszugehen, welche die mangelnde Eignung für die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung belege. Der Arzt habe trotz seiner juristischen und speziellen sozialrechtlichen Kenntnisse, durch die er das Unrecht seiner falschen Abrechnungen klar erkennen habe können, jahrelang an diesem Verhalten festgehalten und hierbei einen erheblichen Schaden und Vertrauensverlust verursacht. Zudem habe er diese Betrügereien in Pflegeheimen und damit in einem Bereich praktiziert, in dem die Patienten besonders hilfe- und daher auch schutzbedürftig seien. In einem solchen Fall könnten die Pflichtverletzungen, auch wenn sie mehr als fünf Jahre zurückliegen, berücksichtigt werden (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 17.10.2012 - B 6 KA 49/11 R).

Praxisanmerkung:

Hat sich ein Arzt berufsspezifisch strafbar gemacht (also wie hier z.B. einen Abrechnungsbetrug begangen) so droht immer auch eine Entziehung der Zulassung und der Approbation (sog. berufsrechtlicher Überhang). Das ist überaus weitreichend und gefährlich für den Arzt. Vor diesem Hintergrund darf der Arzt nicht lediglich auf das Strafverfahren schauen. Dem Arzt muss bewusst sein, dass die Strafverfolgungsbehörden alles den Zulassungs- und Approbationsbehörden melden. 

Stattdessen sollte der Arzt überlegen, ob er durch kooperatives Verhalten schon im Strafverfahren und durch frühe Einbindung der Zulassungs- und Approbationsbehörden verbunden mit Änderungen in den Praxisabläufen eine Gesamtlösung erreichen und so die Gefahr z.B. einer Entziehung der Approbation bannen kann.  

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Das BSG hat mit Beschluss vom 11.01.2017 (B 6 KA 71/16 B) die Nichtzulassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung des LSG verworfen.

Der Beschluß des BSG im Volltext:

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Baden-​Württemberg vom 12. August 2016 wird verworfen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird auf 60 000 Euro festgesetzt.

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung des Klägers. Der Kläger, praktischer Arzt und zugleich Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei, wurde mit Urteil vom 9.10.2012 wegen gewerbsmäßig begangenen Abrechnungsbetrugs in 21 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten auf Bewährung verurteilt. Der Disziplinarausschuss ordnete am 26.11.2013 das Ruhen der Zulassung des Klägers für die Zeit vom 1.2.2014 bis 31.1.2015 an, hilfsweise für den Fall der Klageerhebung das Ruhen der Zulassung für 12 Monate ab Eintritt der Bestandskraft des Beschlusses. Das SG hat mit Urteil vom 28.8.2015 (S 20 KA 7229/13 SG Stuttgart) den Bescheid aufgehoben. Die Berufung hiergegen ist noch anhängig (L 5 KA 4385/15 LSG Baden-​Württemberg). Mit Beschluss des Zulassungsausschusses vom 26.3.2014 wurde dem Kläger die Zulassung entzogen. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Beschluss vom 3.9.2014 zurück. Das SG hat die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Die Pflichtverletzungen des Klägers rechtfertigten die Entziehung seiner Zulassung.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, zu deren Begründung er eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend macht.

II

Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.

1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist nicht hinreichend dargetan. Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss nach den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet (vgl BSG SozR 3-​1500 § 160a Nr 21 S 37 f; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 14) und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-​1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN). Den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG wird bei der Grundsatzrüge nur genügt, wenn der Beschwerdeführer eine Frage formuliert, deren Beantwortung nicht von den Umständen des Einzelfalles abhängt, sondern mit einer verallgemeinerungsfähigen Aussage beantwortet werden könnte (zu dieser Anforderung vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10). Es muss ersichtlich sein, dass sich die Antwort nicht ohne Weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt. Bei einer Revisions-​Nichtzulassungsbeschwerde ist es Aufgabe des Prozessbevollmächtigten, die einschlägige Rechtsprechung aufzuführen und sich damit zu befassen; eine Beschwerdebegründung, die es dem Gericht überlässt, die relevanten Entscheidungen zu suchen, wird den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht gerecht. Auch lediglich kursorische Hinweise ohne Durchdringung des Prozessstoffs reichen nicht aus (vgl BVerfG , DVBl 1995, 35). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (s die zitierte BVerfG-​Rspr und zB BVerfG SozR 3-​1500 § 160a Nr 7 S 14).

Soweit der Kläger die Fragen stellt,

  • "Inwieweit stellt die gleichzeitige Anordnung des Ruhens der Zulassung durch den Disziplinarausschuss der KVBW und der Entzug der vertragsärztlichen Zulassung durch den Zulassungsausschuss bei der KVBW wegen desselben Sachverhaltes eine Doppelbestrafung dar und verstößt damit gegen das Übermaßverbot und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz?" und
  • "Wenn eine solche Doppelbestrafung festgestellt wird, muss dann nicht im Hinblick auf den Schutz der Berufsfreiheit die geringer eingreifende Maßnahme (hier das Ruhen der Zulassung für 12 Monate) angeordnet werden?",

genügt sein Vortrag den Darlegungsanforderungen nicht. Es fehlt zum einen an jeglicher Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des Senats (vgl etwa BSGE 61, 1 = SozR 2200 § 368a Nr 16) und zum anderen an jedweder konkreten Darlegung der Klärungsfähigkeit der Fragen. Die Beschwerdebegründung erschöpft sich in der Darstellung des Sachverhaltes und der verschiedenen noch anhängigen gerichtlichen Verfahren. Zu den im Anschluss als ungeklärt bezeichneten Rechtsfragen fehlt es an jeder näheren Erläuterung.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff VwGO. Als erfolgloser Rechtsmittelführer hat der Kläger auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO). Dies gilt nicht für die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, da diese keinen Antrag gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO, vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-​1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

3. Die Festsetzung des Streitwerts entspricht der Festsetzung des LSG, die von keinem Beteiligten in Frage gestellt worden ist (§ 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG).

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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