(22.9.2017) Wie groß ist der nachweisbare medizinische Nutzen von Cannabis, das seit kurzem auch vom Arzt verschrieben werden kann? Zuletzt gab es große Erwartungen und Hoffnungen auf gute Wirkungen z.B. bei chronischen Schmerzen. Eine Übersichtsarbeit mehrerer Ärzte, die jetzt im Ärzteblatt besprochen wird, macht Schmerzpatienten und Liebhabern der Pflanze wenig Hoffnung.

Hilft Cannabis Patienten? Die medizinische Versorgung in Deutschland beruht grundsätzlich auf der Idee der sog. Evidenzbasierung, was nichts anderes bedeutet als: wenn es seine Wirksamkeit in Studien bewiesen hat, kann man es auf die Leute loslassen. Bekannte Ausnahmen sind die homöopathischen Mittel - für sie gibt es keine Wirksamkeitsnachweise, trotzdem werden sie von den Ärzten angewendet und von den Krankenkassen bezahlt. Allerdings können Zuckerkügelchen ohne weitere Inhalte auch kaum Schaden anrichten. Beim Cannabis ist die Lage etwas anders. Die im Cannabis enthaltenenen Wirkstoffe THC und CBD greifen in den Stoffwechsel des Gehirns und des Nervensystems ein. Und keiner weiss ganz genau, wie. Zudem ist das Mittel schwierig zu dosieren.

In den vergangenen Jahren wurden unter Berufung auf medizinische Studien mehr und mehr Erfolsgmeldungen für den medizinischen Nutzen des Cannabis publiziert. 

Mehrere Schmerzmedizinier haben nun alle bisher zum Cannabis erstellten medizinischen Studien gesichtet. In einer Übersichtsarbeit im aktuellen Ärzteblatt stellen sie dem Cannabis allerdings ein - gemessen an den Erwartungen - schlechtes Zeugnis aus. Die Ärzte zeigen sich sehr zurückhaltend. Nach ihrer Ansicht erlauben die vorliegenden Studien keine konkreten Empfehlungen für den verschreibenden Arzt zur Dosierung von Medizinalhanf.  

Die Ärzte haben zuersteinaml alle Studien, die nicht wissenschaftlichen Standards genügen, ausgefiltert. Die Auswertung der ernstzunehmenden klinischen Studien, d.h. solcher, die wissenschaftlichen Standards (randomisiert, doppelverblindet etc.) genügen, zeigt eine nachweisbare Wirkung nur in folgendem Bereich: 

  • Es besteht ein eingeschränkter Nachweis für den Einsatz eines Cannabinoids in Sprayform bei neuropathischen Schmerzen (soweit sie zuvor die nicht ausreichend auf etablierte medikamentöse Therapieverfahren angesprochen haben).

Dagegen zeigen Cannabinoide keine nachweisbare Wirkung bei der Behandlung von Tumorschmerzen, rheumatischen und gastrointestinalen Schmerzen oder bei Appetitlosigkeit bei Krebs und AIDS. Mit anderen Worten lassen sich für die allgemeine Schmerzebekämpfung keine Nachweise finden. Auch für die Verwendung in der Palliativmedizin gibt es keine Nachweise. 

Die Übersichtsarbeit weist zudem auf die Nebenwirkungen hin: Eine Therapie mit Cannabisprodukten ist mit zentralnervösen und psychiatrischen Nebenwirkungen verbunden. Mit anderen Worten hat die Anwendung kaum abschätzbare Folgen auf Gehirn und Nerven. Es kann z.B. zu Psychosen, aber auch zu neurologischen Ausfällen kommen. 

Praxishinweis: 

Behandelnde Ärzte sollten Patienten, die eine Versorgung mit Cannabis anregen oder wünschen, auf die derzeitige schwache Evidenz und die Risiken hinweisen. Auch sollten sie den Patienten klar machen, dass die Anwendung von Cannabis, soweit es nicht um die Behandlung neuropathischer Schmerzen geht, experimentellen Charakter hat, sprich es sich um einen Heilversuch handelt. Diese Hinweise an den Patienten sind zwingend zu dokumentieren.

Vor einer Verordnung sollte der Arzt eine schriftliche Zustimmung der Krankenversicherung für diesen Heilversuch einholen. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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