(21.2.2018) Wählt der Arzt eine Neulandmethode, hat er den Patienten über diesen Umstand sowie über die alternativen Behandlungsmethoden aufzuklären. Es bedarf einer besonderen Aufklärung über die Neulandmethode, wenn diese noch keine Standardmethode darstellt. Bei einem neuen Operationsverfahren (Netzimplantat bei Senkungsoperation) ist die Patientin ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass unbekannte Komplikationen auftreten können. Bei Auftreten einer persistierenden Schmerzhaftigkeit der Scheide, kann ein Schmerzgeld von 35.000,- EUR angemessen sein (Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 23. Januar 2018 – 26 U 76/17).

neuartige Operation zur Einfügung eines NetzesDer Fall:

Die damals 52jährige Klägerin litt unter einer Belastungsharninkontinenz. Die beklagten Ärzte empfahlen eine (transobturatorielle und transischiorektale) Einbringung eines Netzes (Prolift-Mesh) als neues Operationsverfahren. Dass den Ärzten unbekannt war, welche Risiken mit dieser Methode verbunden sind, teilten sie der Klägerin nicht mit.

Nach der Operation litt die Kläger vermehrt unter Schmerzen im Bereich der Scheide. In mehreren Nachoperationen wurde das Netz weitgehend entfernt. Die Beschwerden blieben.

Die Klägerin klagte auf Schmerzensgeld und warf den Ärzten u.a. vor, sie nicht aufgeklärt zu haben über das Unbekanntsein von Risiken.

Die Entscheidung:

Das OLG Hamm gab der Klägerin Recht, bestätigte einen Aufklärungsfehler und verurteilte die Beklagten, der Klägerin ein Schmerzensgeld von EUR 35.000 zu zahlen.

Das OLG Hamm stellte nach Befragung eines Sachverständigen fest, dass die durchgeführte Behandlung damals keine Standardoperation sondern eine Neulandmethode war und insoweit lediglich ein geringer Erfahrungsschatz bestanden habe. Belastbare Informationen über konkrete Risiken der neuen Methode hätten im Operationszeitpunkt jedenfalls in Deutschland noch nicht vorgelegen.

Praxisanmerkung:

Wenn eine Behandlungsmethode neu ist, muss der Arzt den Patienten (auch schriftlich im Aufklärungsformular) folgenden Hinweis geben:

Es handelt sich bei der ... - Behandlung um ein neues Verfahren mit noch nicht abschließender Beurteilung. Es können auch derzeit noch unbekannte Komplikationen auftreten.

Soweit das Aufklärungsformular insofern noch nicht aktuell ist, sollte der Arzt diese Hinweise im Bereich der handschriftlichen Notizen vermerken.

Rechtlicher Hintergrund:

Die Anwendung neuer Verfahren ist für den medizinischen Fortschritt zwar unerlässlich. Am Patienten dürfen sie - so hat es der Bundesgerichtshof bereits 2006 deutlich gemacht - aber nur dann angewandt werden, wenn diesem zuvor unmissverständlich verdeutlicht wurde, dass die neue Methode die Möglichkeit unbekannter Risiken birgt. Der Patient muss in die Lage versetzt werden, für sich sorgfältig abzuwägen, ob er sich nach der herkömmlichen Methode mit bekannten Risiken operieren lassen möchte oder nach der neuen Methode unter besonderer Berücksichtigung der in Aussicht gestellten Vorteile und der noch nicht in jeder Hinsicht bekannten Gefahren.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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