(25.5.2020) Seit Jahren wehrt sich die Volkswagen AG (VW) gegen Klagen und Beschwerden von Kunden, die Diesel-Pkw mit einer Schummel-Software gekauft hatten. Seit Jahren schickt VW ein Heer gutbezahlter Kollegen aus, um Schadensersatzforderungen und Rückzahlungsansprüche abzuwehren oder zumindest bis zur Verjährung zu verzögern. Und die Rechtsprechung war bisher nicht einheitlich - manche Gerichte gaben den Kunden Recht, andere VW. Nun hat aber endlich der Bundesgerichsthof über einen dieser Fälle entschieden: VW hat das Kraftfarhrtbundesamt mit den Abschalteinrichtungen getäuscht und damit auch seine Kunden sittenwidrig geschädigt. Aber der klagende Kunde hat nicht alles bekommen, was er wollte.

Pkw mit Dieselmotor? Nein, das ist ein VerbrennerPersönlich habe ich mich immer über VW geärgert, obwohl ich selbst gar keinen Diesel-Pkw besitze, erst recht keinen von VW: Wie kann man es wagen, großangelegt den Kunden über die Abgaswerte zu täuschen? Und ich habe mich gewundert, warum VW damit (jedenfalls in Deutschland) so glimpflich davon kam: Hier und da ein paar negative Zivilurteile, da ein paar Vergleiche. Ansonsten wurden die Verfahren verzögert, die Faktenlage verwässert. Schlug sich doch einmal ein geprellter Kunde bis zum BGH durch und schien ihm ein Erfolg sicher, verglich sich VW mit dem Kunden und vermied so ein negatives Urteil des Bundesgerichtshofes. Die Taktik von VW schien erfolgversprechend.  

Bis dieser eine beharrliche Kunde kam. Er hatte einen Pkw mit einem VW-Dieselmotor gekauft und wollte partout seine Rechte gegen VW durchsetzen: Geld zurück nebst Zinsen. Nutzungsausfälle wollte er nicht zaheln, er habe den Pkw ja gar nicht nutzen können, weil der ja einen illegalen Motor hatte. Der Kunde hatte - anders als viele andere Kunden - den Pakw still gelegt und in die Garage gestellt, so dass der Wert des Wagens nicht durch weiteren Betrieb gemindert werden konnte. Und dass das Landgericht seine Klage abwies, ließ den Kunden kalt. Er ging in Berufung. Das Oberlandesgericht gab dem Kunden überwiegend Recht. Nun legte VW Berufung ein. Der Bundesgerichtshof hatte schon einmal eine Sache vorgelegt bekommen - und wollte auch gegen VW entscheiden. Dann aber verglich sich VW mit dem Kläger und der BGH konnte kein Urteil sprechen. Der BGH ließ damals aber schon in einem recht ungewöhnlichen Beschluß durchklingen, dass er wenig hält von dem Geschäftsgebaren von VW. 

Nun endlich konnte der BGH also entscheiden - und entschied (wie quasi vorher in dem Beschluß schon "angekündigt") gegen Volkswagen (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19). Allerdings muss sich der Kunde die gefahrenen Kilometer als Nutzungsvorteile anrechnen lassen.

Nun ist es also rechtlich gesehen "amtlich", dass VW das Kraftfahrtbundesamt getäuscht hat durch die versteckte Abschaltvorrioschtung und dass VW damit seine Kunden sittenwidrig schädigte. "Amtlich" deshalb, weil der Bundesgerichtshof das letzte Wort hat in Zivilsachen. Alle unteren Zivilgerichte werden nun dem BGH-Urteil folgen. 

Für VW ist das Ganze eine Blamage. Die überhebliche Strategie des Hinhaltens, Aussitzens, Abstreitens und Abwartens ist gescheitert. Bleibt zu hoffen, dass jetzt noch alle geschädigten Autokäufer ihre Rechte rechtzeitig vor der Verjährung einklagen können. Je größer der so entstehende Schaden für VW, desto unwahrscheinlicher ist es, dass andere Hersteller jemals wieder solche Betrügereien wagen werden. 

Aber auch die Kunden müssen sich fragen lassen, wie sie es glauben konnten, dass Autos, die größer und leistungsfähiger sind als die Vorjahresmodelle, weniger Schadstoffe ausstoßen sollen. Es war letztlich auch der Kunde, der mit seinem Wunsch nach leistungsfähigeren Fahrzeugen die Pkw-Hersteller - die zugleich immer strengere Umweltauflagen erfüllen müssen - zu diesen systematischen und planvollen Täuschungen bewegte und sich dann gerne vormachen ließ, der Schadstoffausstoß sei geringer. Zugleich wollten aber auch die Hersteller größere Autos verkaufen, weil sie damit mehr verdienen, als mit einem kleinen und sparsamen Polo.

Hoffentlich beschleunigt das Urteil auch die Verkehrswende. Der Verbrennungsmotor als Massentransportmittel muss sterben. Es lebe das Fahrrad!

Die Pressemitteilung des BGH:

Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle

Nr. 063/2020 vom 25.05.2020

Schadensersatzklage im sogenannten "Dieselfall" gegen die VW AG überwiegend erfolgreich

Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19

Der unter anderem für das Recht der unerlaubten Handlungen zuständige VI. Zivilsenat hat heute entschieden, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs Schadensersatzansprüche gegen VW zustehen. Er kann Erstattung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises verlangen, muss sich aber den gezogenen Nutzungsvorteil anrechnen lassen und VW das Fahrzeug zur Verfügung stellen. Sachverhalt: Der Kläger erwarb am 10. Januar 2014 zu einem Preis von 31.490,- € brutto von einem Autohändler einen Gebrauchtwagen VW Sharan 2.0 TDl match, der mit einem 2,0-Liter Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet ist. Die Beklagte ist die Herstellerin des Wagens. Der Kilometerstand bei Erwerb betrug 20.000 km. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten. Im September 2015 räumte die Beklagte öffentlich die Verwendung einer entsprechenden Software ein. Unter dem 15. Oktober 2015 erging gegen sie ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) mit nachträglichen Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung, der auch das Fahrzeug des Klägers betrifft. Das KBA ging vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus und gab der Beklagten auf, diese zu beseitigen und die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte anderweitig zu gewährleisten. Die Beklagte gab mit Pressemitteilung vom 25. November 2015 bekannt, Software-Updates durchzuführen, mit denen diese Software aus allen Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 mit 2,0-Liter-Hubraum entfernt werden sollte. Nach der Installation sollen die betroffenen Fahrzeuge nur noch in einem adaptierten Modus 1 betrieben werden. Der Kläger hat das Software-Update im Februar 2017 durchführen lassen. Mit seiner Klage verlangt der Kläger im Wesentlichen die Zahlung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises in Höhe von 31.490 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs. Bisheriger Prozessverlauf: Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht unter Zulassung der Revision die Entscheidung des Landgerichts abgeändert und die Beklagte nebst Nebenpunkten in der Hauptsache verurteilt, an den Kläger 25.616,10 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen. Wegen des weitergehenden Zahlungsanspruchs hat es die Klage abgewiesen.

Entscheidung des Senats:

Die zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie die Klageabweisung erstrebt hat, blieb ganz überwiegend ohne Erfolg; sie war nur in Bezug auf Nebenpunkte geringfügig erfolgreich. Die Revision des Klägers, mit der er die vollständige Erstattung des Kaufpreises ohne Anrechnung einer Nutzungsentschädigung erreichen wollte, hatte keinen Erfolg. Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Beklagte dem Kläger aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB haftet. Das Verhalten der Beklagten im Verhältnis zum Kläger ist objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren. Die Beklagte hat auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA189 in siebenstelligen Stückzahlen in Deutschland Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Damit ging einerseits eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden und andererseits die Gefahr einher, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren. Das gilt auch, wenn es sich um den Erwerb eines Gebrauchtfahrzeugs handelt. Das Berufungsgericht hat vor dem Hintergrund des nicht ausreichenden Vortrags der Beklagten zu den in ihrem Konzern erfolgten Vorgängen in nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass die grundlegende strategische Entscheidung in Bezug auf die Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Software von den im Hause der Beklagten für die Motorenentwicklung verantwortlichen Personen, namentlich dem vormaligen Leiter der Entwicklungsabteilung und den für die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Beklagten verantwortlichen vormaligen Vorständen, wenn nicht selbst, so zumindest mit ihrer Kenntnis und Billigung getroffen bzw. jahrelang umgesetzt worden ist. Zu Recht hat es dieses Verhalten der Beklagten zugerechnet (§ 31 BGB). Der Kläger ist veranlasst durch das einer arglistigen Täuschung gleichstehende sittenwidrige Verhalten der Beklagten eine ungewollte vertragliche Verpflichtung eingegangen. Darin liegt sein Schaden, weil er ein Fahrzeug erhalten hat, das für seine Zwecke nicht voll brauchbar war. Er kann daher von der Beklagten Erstattung des Kaufpreises gegen Übergabe des Fahrzeugs verlangen.

Dabei muss er sich aber die Nutzungsvorteile auf der Grundlage der gefahrenen Kilometer anrechnen lassen, weil er im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht bessergestellt werden darf, als er ohne den ungewollten Vertragsschluss stünde.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB): Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

§ 31 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB): Der Verein ist für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt.

Vorinstanzen: Landgericht Bad Kreuznach – Urteil vom 5. Oktober 2018 – 2 O 250/17 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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