(4.2.2017) Erstattete ein Sachverständiger für einen nicht unmittelbar oder mittelbar am Rechtsstreit beteiligten Dritten ein entgeltliches Privatgutachten zu einem gleichartigen Sachverhalt und sind die Interessen des Dritten denen der ablehnenden Partei in gleicher Weise wie die der anderen Partei entgegengesetzt, so ist der Sachverständige als befangen abzulehnen. Hat also ein gerichtlich bestellter Sachverständiger in einem Arzthaftungsverfahren wegen eines Fehlers einer ASR-Hüftgelenksprothese in einem gleichgelagerten anderen gegen die beklagte Klinik geführten Rechtsstreit für den dortigen klagenden Patienten ein entgeltliches Privatgutachten über eine Prothese derselben Modellreihe erstellt, so kann er von der Klinik wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 – VI ZB 31/16). Dies bietet Kollegen neue Möglichkeiten, Sachverständige abzulehnen.

private Gutachten können Ablehnungsgrund liefernDer Bundesgerichtshof folgt damit in der streitigen Frage, ob hier ein Ablehnungsrecht besteht, der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (OLG Düsseldorf, BauR 1998, 365; OLG Frankfurt a.M., ZIP 1982, 1489 f.; vgl. auch OLG Frankfurt a.M., BauR 2006, 147, 148; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 406 Rn. 24; Huber in Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 406 Rn. 7; Berger in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 406 Rn. 16; Greger in Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 406 Rn. 8; Scheuch in BeckOK ZPO, Stand 1. September 2016, § 406 Rn. 23.1).

Den Gegenauffassungen (OLG Köln, MedR 2016, 59 f.; OLG Hamm, VersR 1991, 1428, 1429; vgl. auch OLG Koblenz, MDR 1984, 675 f.) hat der BGH damit eine Absage erteilt. 

Maßgeblich war für den BGH, dass aus Sicht des Ablehnenden die Befürchtung im Raum steht, der Sachverständige werde nicht geneigt sein, bei der gerichtlich angeordneten Begutachtung von seinem früheren Privatgutachten abzuweichen oder sich gar in Widerspruch zu diesem zu setzen. Anders als im Falle seiner gerichtlichen Beauftragung ist der Sachverständige im Falle seiner Beauftragung mit einem Privatgutachten mit einer der an der jeweiligen Streitigkeit beteiligten Personen vertraglich verbunden. Beurteilt er den Sachverhalt, der Gegenstand des Privatgutachtens war, später anders, so setzt er sich möglicherweise dem - gleich ob berechtigten oder unberechtigten - Vorwurf seines Auftraggebers aus, das Privatgutachten nicht ordnungsgemäß erstattet oder sonstige vertragliche Pflichten verletzt zu haben.

Praxisanmerkung:

Sowohl Patienten als auch beklagten Ärzten und Kliniken ist damit eine weitere Möglichkeit gegeben, Sachverständige abzulehnen. Gleichwohl sind und bleiben Ablehnungsgesuche schwierig und sind selten erfolgreich.

Einmal mehr zeigt sich, dass die Prozeßbevollmächtigten der Parteien prüfen sollten, ob die vom Gericht vorgeschlagenen Sachverständigen zu der Fallfrage bereits (Privat-) Gutachten erstellt haben. Es ist sinnvoller, den Sachverständigen dann sogleich, sprich noch vor Beauftragung und Gutachtenerstattung, abzulehnen, wenn eine für die vertretene Partei schlechter Ausgang zu erwarten ist. 

Ärzten, die im Gutachtergewerbe tätig sind, sollten die Entscheidung mit besonderer Aufmerksamkeit lesen. Wer weiter für Gerichte tätig sein will, sollte von Privatgutachten die Finger lassen. Denn die Erstellung von Privatgutachten kann den Arzt als Gerichtssachverständigen im Einzelfall "verbrennen". 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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