(20.9.2019) Bei indirekter Sterbehilfe hat die Freiheit der Entscheidung des Patienten für die Lebensbeendigung eine besondere Bedeutung. Weicht eine Altenpflegerin von ärztlichen Weisungen ab und spritzt dem todkranken Patienten mehr Schmerzmittel als ärztlich verordnet, um sein schweres Leiden zu lindern, so schließt diese Abweichung eine Rechtfertigung dieses Handelns nicht grundsätzlich aus. Dass die Gabe des Schmerzmittels ohne ärztliche Anordnung gegen das Betäubungsmittelgesetz verstößt, macht die Handlung ebenfalls nicht per se strafbar. Im schmerzhaften Todesprozess des Patienten kann die Schmerzmittelgabe als vernünftig im Sinne des Patientenwillens anzusehen sein (Bundesgerichtshof, Urteil vom 30. Januar 2019 – 2 StR 325/17).
Tenor
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 5. April 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Die Angeklagte war als Pflegekraft in der Seniorenresidenz H. in B. im Nachtdienst tätig. Dort wurde im April 2016 der 84-jährige R. aufgenommen, der an Darmkrebs im Endstadium litt. Kurz zuvor, am 19. März 2016, hatte dieser eine Patientenverfügung errichtet, in der er bestimmt hatte, dass im „unabwendbaren unmittelbaren Sterbeprozess“ aufgrund einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit keine lebensverlängernden Maßnahmen mehr ergriffen werden sollten. Für diesen Fall hatte er den Wunsch geäußert, dass ihm „bei Schmerzen, Erstickungsängsten und Atemnot, Übelkeit, Angst sowie anderen qualvollen Zuständen und belastenden Symptomen Medikamente verabreicht werden“, die ihn „von Schmerzen und größerer Belastungen befreien, selbst wenn dadurch“ sein „Tod voraussichtlich früher eintreten“ werde.
Nach der Aufnahme in die Seniorenresidenz verschlechterte sich der Gesundheitszustand von R. zunehmend. Er litt unter starken Schmerzen. Dennoch lehnte er Medikamente, Schmerzmittel und Nahrungsaufnahme häufig ab und wollte in Ruhe gelassen werden. Die Pflegekräfte hatten den Eindruck, dass er stark litt. Für sie war klar, dass er bald schmerzhaft sterben würde. Sie hatten großes Mitleid mit ihm. Das galt auch für die Angeklagte, die sich besonders um den Patienten kümmerte. Sie bat ihn regelmäßig darum, die Verabreichung von Schmerzmitteln zu dulden. Nach ihrer Ansicht tat die behandelnde Ärztin zu wenig, um ihn von Schmerzen zu erlösen.
Am 13. Mai 2016 verschlechterte sich der Gesundheitszustand von R. weiter. Die in der Mittagszeit herbeigerufene Ärztin Dr. M. stellte einen veränderten Atemrhythmus sowie eine Marmorierung der Haut fest. Dies wertete sie als Anzeichen des bevorstehenden Todes. Sie ging davon aus, dass der Patient spätestens in der Nacht zum 14. Mai 2016 sterben werde. In Absprache mit den Angehörigen setzte sie alle Medikamente ab und ordnete an, dass R. nur noch alle vier Stunden fünf Milligramm Morphin injiziert werden sollten. Dabei handelt es sich um ein in der Palliativmedizin gebräuchliches Mittel. Krebspatienten können auch Dosen zwischen zehn und dreißig Milligramm Morphin in einem zeitlichen Abstand von vier bis sechs Stunden „regelkonform“ verabreicht werden. Injiziertes Morphin wirkt nach etwa 30 Minuten schmerzlindernd. Es beruhigt, bewirkt bei dem Schwerkranken eine gewisse Entspannung, führt aber auch zu einer Verflachung der Atmung bis hin zu Atemaussetzern.
Die erste Dosis der verordneten fünf Milligramm Morphin spritzte die Ärztin dem Patienten gegen 12.00 Uhr selbst. Dann ließ sie zehn Ampullen zu je zehn Milligramm Morphin in der Seniorenresidenz zurück, die von den Pflegekräften nach ihrer Verordnung verabreicht werden sollten. Für Rückfragen gab sie ihre Telefonnummer an. Sie notierte in der Behandlungsdokumentation, der Patient sei „präfinal“, die Hände seien marmoriert und es komme zu Atempausen. Nach Absprache mit seinen Kindern solle „keine Therapie mehr“ durchgeführt, sondern nur noch Morphin verabreicht werden. Die diensthabende Pflegerin Mi. dokumentierte die Besprechung mit der Ärztin. Um 16.00 Uhr und um 20.00 Uhr injizierte sie R. jeweils fünf Milligramm Morphin. Dann trat die Angeklagte ihren Nachtdienst an und wurde von der abzulösenden Kollegin über die Situation unterrichtet. Sie wusste auch um die Wirkung von Morphin.
R. war aufgrund der Morphininjektion um 20.00 Uhr zunächst ruhig. Gegen 22.00 Uhr stellte die Angeklagte fest, dass er unruhiger wurde. Er begann erneut zu stöhnen und hatte Schmerzen. Gegen 23.00 Uhr rief die Ärztin Dr. M. an und erkundigte sich nach dem Zustand des Patienten; denn sie hatte damit gerechnet, dass er bereits zu diesem Zeitpunkt verstorben sein könnte. Die Angeklagte berichtete ihr, dass sich sein Zustand nicht verändert habe.
Um Mitternacht sollte die Angeklagte die nächste Spritze verabreichen. Sie zog zunächst fünf Milligramm Morphin mit der Spritze auf. Dann hielt sie inne, dachte an die Schmerzen des Patienten und fand, dass die ärztlich verordnete Menge Morphin nicht ausreichend sei. Sie entschloss sich, dem Patienten die doppelte Menge zu spritzen. Obwohl sie wusste, dass die Verabreichung von zehn Milligramm Morphin von der ärztlichen Verordnung nicht gedeckt war, zog sie mit der gleichen Spritze auch die zweite Hälfte des Inhalts der Morphinampulle auf. Dann verabreichte sie dem Patienten dieses Morphin. „Sie wusste, dass dies zu einer Änderung des Schmerzempfindens, einer Verflachung der Atmung und zu Atemaussetzern führen würde. Der Angeklagten war zudem bekannt, dass dies weder von einer Einwilligung des Patienten noch von der Patientenverfügung, deren genauen Inhalt sie nicht kannte, gedeckt sein konnte, weil die von ihr eigenmächtig erhöhte Dosierung der ärztlich angeordneten Heilbehandlungsmaßnahme zuwiderlief.“
Wie von der Angeklagten erwartet, verflachte aufgrund des verabreichten Morphins der Atemrhythmus des Patienten gegen 0.30 Uhr. Hinzu kamen Atemaussetzer, die teilweise bis zu zwei Minuten dauerten. Aufgrund eines solchen Atemaussetzers ging die Angeklagte davon aus, dass er bereits gestorben sei. Sie rief die Zeugin P. herbei. Diese stellte aber fest, dass R. weiter flach atmete. Um 0.47 Uhr verstarb dieser an Herz-LungenVersagen. Das Landgericht konnte nicht feststellen, dass der Tod des Patienten durch die Morphininjektion verursacht wurde.
2. Das Landgericht hat in der Handlung der Angeklagten eine Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB gesehen. Durch die Injektion des Morphins habe sie „jedenfalls einen pathologischen Zustand herbeigeführt oder gesteigert.“ Diese Körperverletzung sei „nicht gerechtfertigt, weil die Verabreichung der Spritze mit 10 mg Morphin nicht der ärztlichen Anordnung entsprach und weder eine wirksame, ausdrücklich oder stillschweigend erklärte Einwilligung, noch eine mutmaßliche Einwilligung des Tatopfers vorlag. Ohnehin sei „eine Einwilligung nur in eine fachgerechte ärztliche Heilbehandlung möglich und nicht in einer Maßnahme einer Pflegekraft, die bewusst eine ärztliche Anordnung umgeht bzw. eigenmächtig erweitert.“
II.
Die Revision ist begründet. Die bisher getroffenen Feststellungen und Wertungen tragen den Schuldspruch wegen rechtswidriger Körperverletzung nicht.
1. a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit als Körperverletzung zu bewerten, auch wenn er in heilender Absicht erfolgt. Selbst ein im Einklang mit den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommener Eingriff erfüllt den Straftatbestand. Er kann nur durch wirksam erklärte oder mutmaßliche Einwilligung des Patienten gerechtfertigt werden (st Rspr.; BGH, Urteil vom 28. November 1957 - 4 StR 525/57, BGHSt 11, 111, 112; Urteil vom 19. November 1997 - 3 StR 271/97, BGHSt 43, 306, 308).
b) Demgegenüber hat das Landgericht den Tatbestand der (vollendeten) Körperverletzung im vorliegenden Fall allein in der Verabreichung des Betäubungsmittels durch die Angeklagte gesehen. Das ist rechtsfehlerhaft.
aa) In einer solchen vorsätzlichen Verabreichung liegt nicht notwendig eine Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB. Betäubungsmittel können indes, je nach den Umständen des Einzelfalls, Wirkungen hervorrufen, die sich als Gesundheitsschädigung darstellen. Dies gilt etwa dann, wenn sie zu Rauschzuständen mit weiteren körperlichen Nebenwirkungen, zur Suchtbildung oder zu Entzugserscheinungen führen (BGH, Urteil vom 22. Oktober 1969 - 3 StR 118/69, NJW 1970, 519). Wer Betäubungsmittel verabreicht, hierdurch solche Wirkungen erzielt und dabei vorsätzlich handelt, verwirklicht den Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 38), sofern dieser nicht bereits durch die Injektion als solche erfüllt wurde (Grauer, Strafrechtliche Grenzen der Palliativmedizin, 2006, S. 52). Morphin wirkt hauptsächlich auf das Zentralnervensystem, es hat eine sedativ-hypnotische Wirkung, hebt das Schmerzempfinden auf, führt aber auch zu einer Verminderung der Atemfunktion (BGH, Urteil vom 22. Dezember 1987 - 1 StR 612/87, BGHSt 35, 179, 181). Nach den Urteilsfeststellungen wusste die Angeklagte um diese Wirkungen der Morphininjektion.
bb) Jedenfalls fehlt es aber für die Annahme, die Angeklagte habe durch die Morphininjektion das Tatbestandsmerkmal einer Gesundheitsbeschädigung erfüllt, an einer tragfähigen Beweisgrundlage. Dies gilt insbesondere für den von der Strafkammer angenommenen, von der Angeklagten verursachten und vom eigentlichen Sterbeprozess zu unterscheidenden pathologischen Zustand, zumal sie die Verursachung des Todes des Patienten durch die Morphingabe nicht feststellen konnte.
2. Durchgreifend rechtsfehlerhaft ist zudem die Verneinung einer Rechtfertigung der Handlung der Angeklagten.
a) Gemäß § 228 StGB ist auch die mit einer Einwilligung des Verletzten vorgenommene Körperverletzung rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Das Gesetz knüpft die Rechtsfolgen einer ausdrücklich oder konkludent erklärten Einwilligung begrifflich an ethisch-moralische Kategorien. Ob für eine mutmaßliche Einwilligung als gewohnheitsrechtlich anerkannter, aber selbständiger Rechtfertigungsgrund (Senat, Beschluss vom 25. März 1988 - 2 StR 93/88, BGHSt 35, 246, 249) im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit den guten Sitten bei Beachtung von Art. 103 Abs. 2 GG dasselbe gelten kann und gegebenenfalls - erst recht - gelten muss (Mitsch, ZJS 2012, 38, 41), kann offen bleiben. Jedenfalls ist ein Verstoß gegen die guten Sitten vom Landgericht nicht nach allgemeinen Maßstäben festgestellt worden (unten b). Entgegen seinem Ansatz führt die Tatsache, dass die Handlung der Angeklagten - zumindest naheliegend - auch gegen ein anderweitig bestehendes Handlungsverbot gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG verstoßen hat, nicht zwingend zur Sittenwidrigkeit der Körperverletzung im Sinne von § 228 StGB (unten c).
b) Wegen seiner Unbestimmtheit kann der Begriff der guten Sitten als strafbegründendes Element in Konflikt mit dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG geraten. Von einem Teil der Literatur wird die Einschränkung der Rechtfertigung einer Körperverletzung durch Einwilligung des Verletzten wegen Sittenwidrigkeit der Tat gemäß § 228 StGB deshalb für verfassungswidrig gehalten (Morgenstern, JZ 2017, 1146 ff.; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, 5. Aufl., § 228 Rn. 44; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl. § 228 Rn. 30 ff. a.A. MüKoStGB/Hardtung, 3. Aufl., § 228 Rn. 32; Tag, Der Körperverletzungstatbestand im Spannungsfeld zwischen Patientenautonomie und Lex artis, 2000, S. 300). Diese Ansicht teilt der Bundesgerichtshof nicht. Er nimmt eine verfassungskonforme Auslegung vor (BGH, Urteil vom 20. Februar 2013 - 1 StR 585/12, BGHSt 58, 140, 144), wonach der Begriff der guten Sitten auf seinen Kern beschränkt werden muss (BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 - 3 StR 233/14, BGHSt 60, 166, 176). Dies erfordert, dass ein Verstoß der Körperverletzung gegen die guten Sitten angenommen werden kann, wenn die Sittenwidrigkeit der Tat nach allgemein gültigen Maßstäben eindeutig aus der Rechtsordnung hervorgeht.
aa) Insoweit ist im Allgemeinen zu prüfen, ob die Körperverletzung wegen des Gewichts des Rechtsgutsangriffs durch Verursachung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung als sittenwidrig erscheint (BGH, Urteil vom 20. Februar 2013 - 1 StR 585/12, BGHSt 58, 140, 145 f.; Urteil vom 22. Januar 2015 - 3 StR 233/14, BGHSt 60, 166, 176 ff.). Bei medizinischen Maßnahmen steht dagegen die Frage der Verfolgung eines anerkennenswerten Zwecks im Vordergrund (Senat, Urteil vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 171); auch lebensgefährliche oder sonst besonders folgenreiche medizinische Behandlungen, die der Wiederherstellung der Gesundheit eines Kranken oder der Rettung seines Lebens dienen, sollen seiner Disposition zugänglich sein. Eine Maßnahme, die medizinisch indiziert ist, verstößt deshalb grundsätzlich nicht gegen die guten Sitten.
bb) Lässt sich die Sittenwidrigkeit der Tat vor diesem Hintergrund jedenfalls nicht sicher feststellen, scheidet die Annahme einer rechtswidrigen Körperverletzung aus, sofern die Handlung mit der erklärten oder mutmaßlichen Einwilligung des Patienten vorgenommen wird (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 41). Das hat das Landgericht nicht abschließend geprüft.
c) Einer Rechtfertigung gemäß § 228 StGB steht nicht zwingend entgegen, dass die Handlung - was nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil hier zumindest naheliegt - auch gegen das Verbot der Verabreichung von Betäubungsmitteln ohne ärztliche Approbation oder Anordnung gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG verstoßen hat.
aa) Der Konsum illegaler Drogen ist heute nicht mehr nach allgemein anerkannten Wertvorstellungen als unvereinbar mit den guten Sitten anzusehen. Gleiches gilt dann auch für eine Körperverletzung, die durch einverständliches Verabreichen eines Betäubungsmittels verursacht wird (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 43). Deshalb ist es rechtlich möglich, dass eine durch Verabreichen von Betäubungsmitteln begangene Körperverletzung durch Einwilligung gerechtfertigt ist. Unter welchen Umständen dies der Fall ist, entzieht sich einer generellen Bewertung. Selbst das Verabreichen „harter“ Drogen reicht für sich genommen nicht zur Annahme von Sittenwidrigkeit aus (BGH aaO, BGHSt 49, 34, 44). Die damit verbundenen Gefahren können im Einzelfall durch einen billigenswerten Zweck der Handlung, wie der Bekämpfung von Vernichtungsschmerzen eines Sterbenden, kompensiert werden.
bb) Ein gleichzeitiger Verstoß gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG führt nicht zwingend zur Sittenwidrigkeit der Körperverletzung.
(1) Allerdings hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs seine dahin gehende Rechtsprechung anlässlich einer Entscheidung über die Sittenwidrigkeit von Körperverletzungen bei verabredeten Schlägereien aufgegeben (BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 - 3 StR 233/14, BGHSt 60, 166, 187). Dies hindert den erkennenden Senat im Fall einer Verabreichung von Morphin zur Schmerzbekämpfung bei einem Sterbenden aber nicht an einer Entscheidung im Sinne der bisherigen Rechtsprechung. Der 3. Strafsenat hat sich dazu nicht geäußert. Seine Entscheidung erfasst nicht medizinisch indizierte Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit.
Der Begriff der guten Sitten im Sinne des § 228 StGB ist dem Bürgerlichen Recht entnommen (RT-Drucks. III 1924/77 Nr. 3390 S. 134), wo er von einem Gesetzesverstoß unterschieden wird (vgl. § 134 und § 138 Abs. 1 BGB). Die Möglichkeit der erklärten oder mutmaßlichen Einwilligung in medizinische Maßnahmen sind im Bürgerlichen Recht gesondert geregelt (§ 630d BGB), was auch auf die Notwendigkeit einer besonderen Handhabung im Strafrecht hinweist. Hier hängt die Prüfung der Sittenwidrigkeit von Körperverletzungen durch medizinische Eingriffe, anders als in anderen Fallkonstellationen, wie derjenigen der verabredeten Schlägereien, vom Zweck der Handlung und nicht vom Gewicht des Rechtsgutseingriffs ab. Insoweit ist die vom 3. Strafsenat für Fälle verabredeter Schlägereien getroffene Entscheidung nicht auf Fälle der medizinisch indizierten Verabreichung von Betäubungsmitteln zur Schmerzbekämpfung zu übertragen. Dies gilt auch für die Annahme einer Herleitung der Sittenwidrigkeit einer Körperverletzung aus dem gleichzeitigen Verstoß gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b BtMG.
(2) § 228 StGB beschränkt bei Körperverletzungsdelikten die Freiheit des Einzelnen, über sein Individualrechtsgut der körperlichen Unversehrtheit zu disponieren. Hiervon zu trennen ist der Schutz anderer Rechtsgüter, über die der Einzelne nicht verfügen kann. Hält es der Gesetzgeber für erforderlich, eine Handlung, die auch die Gefahr einer Körperverletzung in sich birgt, zum Schutz von Universalrechtsgütern, wie der Volksgesundheit, gesondert zu regeln (§ 13 BtMG) und diesbezügliche Regelverletzungen unter Strafe zu stellen (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BtMG), so ist die Einwilligung eines Betroffenen für das Betäubungsmittelrecht ohne Belang (Mosbacher, JR 2004, 390, 391). Betäubungsmitteldelikte sind wegen der fehlenden Dispositionsbefugnis des Einzelnen über das Rechtsgut der Volksgesundheit einer rechtfertigenden Einwilligung nicht zugänglich. Umgekehrt lässt sich aus dem Schutz von Universalrechtsgütern durch das Betäubungsmittelgesetz, auch wenn dadurch mittelbar der Schutz von Individualrechtsgütern bewirkt wird, nichts für die Beantwortung der Frage herleiten, ob eine Einwilligung des Geschädigten in die Verletzung seiner körperlichen Unversehrtheit wegen der Sittenwidrigkeit der Tat unbeachtlich ist (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 43).
Diese Überlegungen bleiben trotz der Rechtsprechungsänderung zur Handhabung von § 228 StGB in der Fallgruppe der verabredeten Schlägereien (BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 - 3 StR 233/14, BGHSt 60, 166, 187) für den Bereich der „indirekten Sterbehilfe“ maßgebend. Hier hat die Freiheit zur Disposition über das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit besondere Bedeutung.
cc) Das Landgericht hat sich den Blick auf die Notwendigkeit einer näheren Prüfung der mutmaßlichen Einwilligung verstellt, indem es aus der Abweichung der Angeklagten von der ärztlichen Verordnung eine generelle Unmöglichkeit der Rechtfertigung der Körperverletzung durch mutmaßliche Einwilligung abgeleitet hat.
(1) Nach den Urteilsfeststellungen ist eine Einwilligung in die konkrete Handlung der Angeklagten nicht erklärt worden. Ob von einer mutmaßlichen Einwilligung auszugehen ist, wäre durch Gesamtschau aller Umstände zu prüfen gewesen, die das Landgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - unterlassen hat.
Die Grundsätze der Rechtfertigung von Maßnahmen zur Ermöglichung eines schmerzfreien Todes sind aber nicht ausnahmslos auf Handlungen durch einen Arzt oder aufgrund ärztlicher Anordnung beschränkt (Senat, Urteil vom 25. Juni 2011 - 2 StR 454/09, BGHSt 55, 191, 205 f.; Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544, 550). Im Ausnahmefall kann auch ein Nichtarzt medizinische Maßnahmen zur Leidensminderung durchführen, wenn sie der Sache nach den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechen und sich im Rahmen einer mutmaßlichen Einwilligung des Patienten bewegen. Dies gilt auch deshalb, weil das Unterlassen einer vom Patienten erwünschten Schmerzbekämpfung durch einen Garanten eine Körperverletzung sein kann (Senat, Urteil vom 30. September 1955 - 2 StR 206/55, BeckRS 1955, 31192233; Grauer, Strafrechtliche Grenzen der Palliativmedizin, 2006, S. 81 ff., 126 ff.; Ingelfinger in Anderheiden/Bardenheuer/Eckart, Ambulante Palliativmedizin als Bedingung einer ars moriendi, 2008, S. 97, 106).
Beim Sterben eines unheilbar Kranken, dem unmittelbar vor dem Tod nur noch durch Schmerzbekämpfung geholfen werden kann, besteht eine besondere Ausnahmesituation (Herzog in Festschrift für Kargl, 2015, S. 201, 205). Tritt deshalb der Gesichtspunkt des Handelns aufgrund einer ärztlichen Verordnung in den Hintergrund, schließt die Eigenschaft des Handelnden als Nichtarzt oder sein Handeln unter Abweichung von einer ärztlichen Anordnung die Rechtfertigung einer Körperverletzung durch mutmaßliche Einwilligung nicht zwingend aus, wie es das Landgericht jedoch vorausgesetzt hat.
(2) Die Strafkammer hätte daher eine Gesamtwürdigung aller Umstände vornehmen müssen, die für den mutmaßlichen Patientenwillen von Bedeutung sein können. Dabei wäre zu berücksichtigen gewesen, dass im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten der Inhalt seines Willens aus seinen persönlichen Umständen, individuellen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und Wertvorstellungen zu ermitteln ist (Senat, Beschluss vom 25. März 1988 - 2 StR 93/88, BGHSt 35, 246, 149 f.; BGH, Urteil vom 13. September 1994 - 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257, 263). Dafür liefert eine Patientenverfügung wichtige Hinweise. Sie wäre sogar bindend, wenn ihr konkrete und abschließend getroffene Entscheidungen entnommen werden könnten (BGH, Beschluss vom 17. September 2014 - XII ZB 202/13, BGHZ 202, 226, 231; Beschluss vom 8. Februar 2017 - XII ZB 604/15, NJW 2017, 1737, 1738). War hingegen eine konkrete Situation zurzeit der Niederlegung der Patientenverfügung nicht im Einzelnen geregelt worden (Magnus, ZfL 2017, 2, 8), oder sind zwischenzeitliche Willensänderungen zu berücksichtigen (Ingelfinger aaO S. 103), ist die Patientenverfügung nur ein Indiz für den auch aus weiteren Umständen in der Gesamtschau zu ermittelnden mutmaßlichen Patientenwillen im Hinblick auf die konkrete Körperverletzung. Hat der Patient nach seiner Verfügung in der Sterbephase eine effektive Schmerzbekämpfung sogar um den Preis einer Lebensverkürzung gewünscht, so entspricht eine später durchgeführte Schmerzmedikation, die medizinisch vertretbar ist, prinzipiell seinem Interesse. Weitere Indizien können sich aus dem Verhalten des Patienten in dem Pflegeheim ergeben. Welche Äußerungen R. dort gemacht hat, insbesondere, als die Angeklagte ihn gebeten hat, „die Verabreichung von Medikamenten und Schmerzmitteln oder kleinere Maßnahmen der Körperpflege zu dulden“, die er zunächst abgelehnt hatte, teilt das angefochtene Urteil aber nicht mit.
Zwar gehört die Beachtung ärztlicher Anordnungen im Regelfall zu dem, was als gemeinhin vernünftig anzusehen ist. Jedoch kann beim eigentlichen Sterbevorgang unmittelbar vor dem Tod auch die Schmerzbekämpfung mit allen verfügbaren und den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechenden Mitteln als vernünftig und deshalb dem mutmaßlichen Patientenwillen entsprechend anzusehen sein (Grauer, aaO, S. 78). Das gilt besonders, wenn - wie hier festgestellt - die ärztlich verordnete Schmerzmedikation allenfalls an der Untergrenze des medizinisch Angemessenen gelegen hat. Zudem ist bei der Gesamtwürdigung in den Blick zu nehmen, wie nahe der Patient dem Tode war (BGH, Urteil vom 13. September 1994 - 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257, 263). An einer Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände fehlt es jedoch im angefochtenen Urteil.
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf den Erörterungsmängeln beruht. Es erweist sich, besonders soweit es die Frage der Rechtfertigung betrifft, auch nicht aus anderen Gründen als rechtsfehlerfrei. Zwar hat die Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts nur die Tatsache der Errichtung einer Patientenverfügung durch R. , aber nicht deren Inhalt gekannt. Dies schließt das notwendige subjektive Rechtfertigungselement eines Handelns im Einklang mit dem mutmaßlichen Patientenwillen nicht zwingend aus. Dieser Wille könnte schließlich außerhalb der Patientenverfügung für die Angeklagte erkennbar zum Ausdruck gekommen sein, so etwa im Zusammenhang damit, dass der Patient die Einnahme von Schmerzmitteln zunächst ablehnte, die Angeklagte ihn aber dazu überredete.