(2.10.2019) Zwingende Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Belieferung mit Arzneimitteln und damit für den Vergütungsanspruch einer Apotheke sind der Vertragsarztstempel und die Unterschrift des Arztes auf der Arzneimittelverordnung. Fehlt aber der Vertragsarztstempel, so ist dies nicht nur ein bloßer unbedeutender (formaler) Fehler. Vielmehr ist der Fehler so gravierend, dass der Apotheker in diesem Fall keinen Anspruch auf Zahlung des retaxierten Betrages hat (Sozialgericht Reutlingen, Urteil vom 13.2.2019 - S 1 KR 1134/18).

Apotheker geht leer aus, wenn Arztstempel auf Rezept fehltDer Fall:

Aufgrund einer Anfang 2017 erfolgten Verordnung für "Votrient® 400 mg 60 St" gab eine Apothekerin (die spätere Klägerin)  an die bei der Beklagten krankenversicherte Patientin ab. Das Arzneiverordnungsblatt trug zwar die Unterschrift des verordnenden Arztes, nicht jedoch den Abdruck eines Arztstempels.

Der auf dem Verordnungsblatt für das abgegebene Medikament ersichtliche Betrag von 4.589,88 wurde von der Beklagten der Klägerin abzüglich der gesetzlichen Rabatte (260,63 EUR) und der gesetzlichen Zuzahlung (10,00 EUR), also i.H.v. 4.319,25 EUR, bezahlt.

Mit Schreiben vom 20.12.2017 beanstandete die Beklagte diese Abrechnung der Klägerin in voller Höhe mit der Begründung, "Arztstempel fehlt, nachträgliche Arztbestätigung/Verordnung wird nicht anerkannt".

Die Entscheidung:

Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AVV ist eine vertragsärztliche Verordnung (nur dann) ordnungsgemäß ausgestellt, wenn sie neben dem Mittel oder den Mitteln unter anderem folgende Angaben enthält: o) Vertragsarztstempel oder entsprechender Aufdruck. Allerdings entsteht nach § 3 Abs. 1 Satz 2 des Rahmenvertrages der Vergütungsanspruch des Apothekers trotz nicht ordnungsgemäßer vertragsärztlicher Verordnung oder Belieferung dann, wenn ... es sich um einen unbedeutenden, die Arzneimittelsicherheit und die Wirtschaftlichkeit der Versorgung nicht wesentlich tangierenden, insbesondere formalen Fehler handelt. Mit Arztstempel und Unterschrift übernimmt der Arzt aber die Verantwortung für die Verordnung des apothekenpflichtigen Arzbneimittels. Diese beiden Merkmale sind prägend für die Verordnung. Ohne sie ist die Verordnung nicht wirksam. Fehlt der Arztstempel, kann man also nicht von einem schlicht formalen Fehler sprechen. Fehlt der Vertragsarztstempel auf der Verordnung ist aus der Verordnung als solcher der verordnende Arzt nicht zu erkennen. Zwar kann durch entsprechende Internetrecherche unter Eingabe der Betriebsstättennummer und der Arztnummer sicherlich der verordnende Arzt ermittelt werden. Maßgebend ist allerdings, dass aus der Verordnung als solcher der verordnende Arzt zu erkennen ist.

Daher hat das SG Reutlingen nun entschieden, dass der Apotheker, der auf Rezepte, bei denen der Arztstempel fehlte, Arzneimittel an die Patienten abgegeben hatte, keine Vergütung für die Arzneimittel verlangen kann.

Praxisanmerkung:

Tagtäglich gehen hunderte, ja manchmal tausende von Rezepten über den Counter einer Apotheke. Gerade bei hochpreisigen Medikamenten sollte der Apothker mehrfach prüfen, ob das Rezept Stempel UND Unterschrift des Arztes aufweist, um eine schmerzhafte Retaxierung zu vermeiden.

In der Kassen-Software der Apotheke kann eingestellt werden, dass das hochpreisige Medikament zur Sicherheit noch einmal auf Vollständigkeit von Arztstempel und Unterschrift überprüft wird und dann eine Check-Box angekreuzt wird. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
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