(7.11.2019) Durch Stichprobenprüfungen können die KVen relativ einfach herausfiltern, welche Patienten in einer Praxisgemeinschaft doppelt, gemeinsam bzw. überschneidend behandelt wurden. Dies ist auch der Fall, wenn ein Kollege der Praxisgemeinschaft vertretungsweise die Betreuung der Patienten eines anderen Arztes übernimmt, während dieser operiert. Dann liegt faktisch eine Gemeinschaftspraxis vor, die nur nach außen hin als Praxisgemeinschaft betrieben wird. Das Fatale daran ist, dass dann die gesamte Abrechnung falsch ist und die KV schätzen darf, wie hoch der durch die fehlerhafte Abrechnung entstandene Betrag ist. Im vorliegenden Fall kostete dies eine chirurgische Berufsausübungsgemeinschaft aus drei Chirurgen über 61.000 €. Das Sozialgericht Marburg hat diese Honorarrückforderung der KV nun bestätigt (SG Marburg, Gerichtsbescheid vom 1.10.2019 – S 12 KA 2/18).  

Weitere Grundgedanken der Entscheidung:

  • Auffällig wird es, wenn die Ärzte der Praxisgemeinschaft mehr als 20 % der Patienten gemeinsam behandeln. Entscheidend für die Erfüllung dieses Aufgreifkriteriums  ist der Anteil gemeinsamer Patienten bei der kleineren Praxis. 
  • Verräterisch war insbesondere das taggleiche Einlesen der Versichertenkarten in beiden Praxen: Ein Einlesen und Speichern der Daten der Krankenversichertenkarte vor Erbringung einer Leistung (Vorabeinlesung) im Rahmen einer Praxisgemeinschaft ist, wenn es nicht nur in ganz vereinzelten Fällen vorkommt, ein deutliches und kaum zu widerlegendes Indiz für das Vorliegen einer tatsächlichen Berufsausübungsgemeinschaft.
  • Aus Sicht des Gerichts hat die klagende Gemeinschaftspraxis auch zugestanden, dass sie die Praxisgemeinschaft organisatorisch wie eine Gemeinschaftspraxis (BAG) führt. Denn die Klägerin hat letztlich bereits mit ihrem Vorbringen im Verwaltungsverfahren selbst dargelegt, dass die Praxis wie eine Berufsausübungsgemeinschaft geführt wird. Die Klägerin hat vorgetragen, im Rahmen der Praxisgemeinschaft seien die Organisationsabläufe unter Berücksichtigung einerseits der entsprechenden Schwerpunkttätigkeiten der verschiedenen Kollegen, andererseits der Benutzungsmöglichkeit der OP-​Räume und der Praxisräume festgelegt worden, auch sei die Betreuung der Patienten während der OP-​Tätigkeit eines Kollegen von den anderen Kollegen vertretungsweise übernommen worden, letzteres offensichtlich nicht nur innerhalb der Berufsausübungsgemeinschaft, sondern auch innerhalb der Praxisgemeinschaft. Damit hat die Klägerin eingeräumt, dass die Behandlung nicht strikt zwischen beiden Praxen getrennt verlief, sondern maßgeblich die fachliche Qualifikation oder der gewählte Schwerpunkt des jeweiligen Arztes war. Eine solche, sicherlich sinnvolle Arbeitsteilung ist allerdings nur innerhalb einer Berufsausübungsgemeinschaft und nur sehr begrenzt innerhalb einer Praxisgemeinschaft möglich.

Nicht zu viele gemeinsam behandelte Patienten!Praxisanmerkung:

Praxisgemeinschaften bieten die Möglichkeit, dass jeder Arzt jeden Erstkontakt doppelt in Rechnung stellen kann. Zugleich bieten sie viel Freiheit. Es ist dabei durchaus üblich, dass in fachgleichen Praxisgemeinschaften Patienten bei beiden Ärzten in Behandlung sind. Das ist grundsätzlich kein Problem. Hier müssen die Ärzte der einzelnen Praxisgemeinschaften aber durch gegenseitige Datenabgleiche periodisch prüfen, wie hoch der Anteil der gemeinsam behandelten Patienten ist - auffällig wird es ab 20 bzw. 30 % gemeinsam behandelter Patienten. Ansonsten riskieren sie einen Regress. Ganz gefährlich wird es aber, wenn Patienten nicht nur in beiden Praxen behandelt werden, sondern wenn sie gemeinsam behandelt werden - wie im vorliegenden Fall, wo ein Arzt die anderen vertrat in der Behandlung ihrer Patienten. 

In Praxisgemeinschaften sollten zur Vermeidung von Honorarrückforderungen also folgende Punkte beachtet werden:

  1. Gemeinsamen Behandlung von Patienten nur in Notfällen (diese Notfälle müssen dann entsprechend dokumentiert sein)
  2. Vertretungen sollten angemeldet bzw. bei der KV beantragt werden (Vertreterschein nutzen)
  3. liegt kein Notfall vor, hat der Arzt die Behandlung des Patienten abzulehnen und auf die bereits begonnene Behandlung durch den Praxisgemeinschaftspartner hinzuweisen und sich im Falle einer Vertretungsbehandlung auf die notwendige, d. h. keinen Aufschub zulassende Behandlung zu beschränken
  4. Taggleiches Einlesen der Versichertenkarten in beiden Praxen vermeiden

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
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