(2.12.2019) Wendet ein Arzt eine neue, vom allgemeinen Behandlungskorridor abweichende Behandlungsmethode an (hier: fusionierende Bandscheibenoperation am Hals unter Einbeziehung eines gesunden Halswirbels), so muss er den Patienten vorher darüber aufklären über die mit der Anwendung dieser Behandlungsmethode verbundenen Nachteile sowie darüber, dass diese Methode nicht dem medizinischen Standard entspricht (BGH, Urteil vom 15. Oktober 2019 – VI ZR 105/18). Andernfalls liegt ein ärztlicher Aufklärungsfehler vor. 

während der OperationDer Fall:

Die im Jahr 1961 geborene Klägerin litt seit zwei Verkehrsunfällen in den Jahren 1993 und 1998 unter immer wieder auftretenden Nacken- und Schulterschmerzen mit Kribbelparästhesien in den Armen.

Im April 2003 diagnostizierte der Orthopäde Dr. H. nach Durchführung einer Kernspintomographie einen Bandscheibenvorfall im Segment C5/C6. In der Folge wurde die Klägerin ohne Erfolg konservativ behandelt. Im beklagten Klinikum diagnostizierte der Arzt ein Cervikalsyndrom und eine Cervikobrachialgie links, einen Bandscheibenschaden C4/C5 und einen Bandscheibenvorfall C5/C6. In seinem Bericht heißt es u.a.: "Aufgrund der chronischen, therapieresistenten Beschwerden empfehle ich eine HWS-Operation von ventral in Höhe C4/C5 und C5/C6. Über diese Möglichkeit habe ich mit der Patientin gesprochen. Es wird mit einer wesentlichen Besserung ihrer Beschwerden nach dieser OP gerechnet." Mitte Januar 2004 unterzog sich die Klägerin im Krankenhaus der Beklagten einer Operation der Halswirbelsäule, bei der eine Fusion der Segmente C4/C5 und C5/C6 durch Plattenverschraubung erfolgte. Durchgeführt wurde die Operation von Dr. M. Die Klägerin litt auch in der Folgezeit unter erheblichen Beschwerden, weshalb sie am 9. Mai 2004 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beantragte. Im sozialmedizinischen Gutachten vom 18. Mai 2004 wurde ein Cervikobrachialsyndrom als Postdiskektomiesyndrom diagnostiziert. Seit dem 1. August 2004 erhält die Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung. Im Jahr 2007 wurde ein Bruch dreier Schrauben im Halswirbel C4 beidseits und im Halswirbel C6 links festgestellt. Aufgrund einer Gefügelockerung wurde die Klägerin am 1. März 2011 erneut operiert.

Die Klägerin warf der Klinik deshalb Behandlungs- und Aufklärungsfehler vor. Ihre Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg.

Die Entscheidung:

Der BGH hob die Entscheidungen auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück. 

Das Berufungsgericht habe zu geringe Anforderungen an die Aufklärung des Patienten bei der Wahl einer Außenseitermethode gestellt: 

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats erfordert die Anwendung einer nicht allgemein anerkannten Methode zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten dessen Aufklärung über das Für und Wider dieser Methode. Dem Patienten müssen nicht nur die Risiken und die Gefahr eines Misserfolges des Eingriffs erläutert werden, sondern er ist auch darüber aufzuklären, dass der geplante Eingriff (noch) nicht medizinischer Standard ist. Der Patient muss wissen, auf was er sich einlässt, um abwägen zu können, ob er die Risiken einer (eventuell nur relativ indizierten) Behandlung im Hinblick auf deren Erfolgsaussichten und auf seine Befindlichkeit vor dem Eingriff eingehen will.

Praxisanmerkung:

Will der Arzt eine Methode anwenden, die nicht allgemein anerkannt ist, muss er den Patienten also (nachweislich und schriftlich dokumentiert) aufklären über den möglichen Mißerfolg der Methode und darüber, dass die Methode nicht allgemein anerkannt ist

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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