(30.3.2020) Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat entschieden, dass eine langjährig beschäftigte geschäftsführende Oberärztin weiter beschäftigt werden muss, nachdem sie von der Klinik wegen Unstimmigkeiten mit dem neuen Chefarzt gegen ihren Willen frei gestellt und vom internen Informationssystem ausgeschlossen wurde. Die Klinik sei zu dieser Freistellung nicht befugt und muss die Oberärztin in ihrer bisherigen Stellung weiter beschäftigen (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 6. Februar 2020 – 3 SaGa 7 öD/19).   

Oberarzt, Chefarzt und Pfleger im GesprächDer Fall:

Die Klägerin ist seit 2005 bei der beklagten Klinik angestellt als Ärztin, wobei sie auch wissenschaftliche Tätigkeiten erbringen musste. Seit 2010 ist sie Fachärztin für Herzchirurgie und seit 2012 als Fachärztin bei der beklagten Klinik beschäftigt. Ab 2016 wurde sie bei der Beklagten „Geschäftsführende Oberärztin für Herz- und Thorakale Gefäßchirurgie“ und als solche eingesetzt. 

Im April 2018 übernahm ein neuer Chefarzt die Klinik für Herz- und Thorakale Gefäßchirurgie und brachte zeitgleich mehrere Oberärzte und einen Assistenzarzt mit. Das führte zu einer personellen Überbesetzung des ursprünglichen Teams und in der Folgezeit zu Abgängen aus dem alten Team.

In der Folge kam es zu Spannungen zwischen dem neuen Chefarzt und der Klägerin. Dann wurde erfolglos über eine Versetzung der Klägerin in die Gefäßchirurgie verhandelt. 

Die Klägerin erkrankte im April 2018 für längere Zeit. Im November 2019 war sie wieder arbeitsfähig. 

Nachdem die Klägerin morgens zu ihrem Dienst erschienen war, übergab ihr ein Vorstandsmitglied der Beklagten zusammen mit dem Chefarzt der Klinik für Herz- und Thorakale Gefäßchirurgie ein Freistellungsschreiben. Die Freistellung wurde insofern unwiderruflich für die Dauer etwaiger Urlaubsansprüche und sonstiger Freizeitausgleichsansprüche erklärt. Des Weiteren heißt es in dem Freistellungsschreiben wie folgt:

„Im Anschluss daran bleibt die Freistellung aufrechterhalten, insbesondere auch für Verhandlungen über die Aufhebung bzw. Abwicklung ihres Anstellungsverhältnisses oder für den Fall, dass eine – vorübergehende – Tätigkeit aus betrieblichen Gründen notwendig ist. …..“

Weiterhin musste die Klägerin ihre Mitarbeiterausweise, Zugangsberechtigungen, Laptop, Datenträger, Visitenkarten und Schlüssel abgeben. Zudem wurde der Account der Klägerin im System der Beklagten gelöscht.

Dagegen klagte die Oberärztin und verlangte, weiter vertragsgemäß beschäftigt zu werden. Die Freistellung, die verbunden sei mit einem Auschluß von der wissenschaftlichen Arbeit, füge ihr einen Reputationsschaden zu. 

Das Arbeitsgericht gab ihrer Klage statt. Für die Freistellung habe kein Grund bestanden.

Die Klinik ging in Berufung.

Die Entscheidung:

Das LAG verwarf die Berufung als unbegründet.

Die beklagte Klinik ist aus Sicht des LAG nicht befugt, den aus dem grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht der klageneden Oberärztin ergebenden arbeitsvertraglichen Beschäftigungsanspruch einseitig „für Verhandlungen über die Aufhebung bzw. Abwicklung ihres Anstellungsverhältnisses“ zu suspendieren, um durchzusetzen, dass der neue Chefarzt der Klinik für Herz- und Thorakorale Gefäßchirurgie, Herr Prof. Dr. E., die Klägerin ohne Beachtung der arbeitsrechtlichen und arbeitsvertraglichen Regelungen und gesetzlichen Grenzen verdrängen und ausschließlich mit den selbst mitgebrachten Oberärzten zusammenarbeiten kann. Ein berechtigtes Interesse daran, dass die Beschäftigung der Klägerin ausnahmsweise unterbleibt, ist weder dargelegt noch existent. Die sofortige Freistellung der in der Krankenversorgung sowie gleichzeitig in der Wissenschaft und Forschung tätigen Klägerin, die u.a. verbunden war mit einer Trennung von allen Systemen und EDV-Zugängen, machte sie für die Außenwelt unsichtbar. Aus der Nichtbeschäftigung als geschäftsführende Oberärztin folgt für die Kammer zweifelsfrei ein zu befürchtender Reputationsverlust für die Klägerin sowie absehbare Beeinträchtigungen für ihre wissenschaftliche Tätigkeit. 

Praxisanmerkung:

Diese Unstimmigkeiten hätte die Klinik dadurch zu lösen versuchen müssen, dass sie der Oberärztin eine gleichwertige Tätigkeit in einer anderen Abteilung oder Klinik des Klinikverbundes anbietet. Freistellungen oder gar Kündigungen sind dagegen in dieser Situation grundsätzlich nicht möglich.  

Schon bei der Auswahl eines neuen Chefarztes sollte die Klinik darauf achten, dass es nicht zu Spannungen in personeller Hinsicht kommt. Bringt ein Chefarzt ein Team eigener Oberärzte mit, sind Spannungen mit den bisherigen Oberärzten allerdings vorprogrammiert. Solche Spannungen können vermieden werden, wenn die Klinik den angehenden Chefarzt schon während der Vertragsverhandlungen bittet, eine "Streichliste" und Konzept für die personelle Umstrukturierung vorzulegen. Dann kann die Klinik prüfen, welche Oberärzte anders verwendet werden müssen und wohin diese versetzt werden können. Denn Arbeitgeber haben grundsätzlich das Recht, Arbeitnehmer - positionstreu - umzusetzen, dies erlaubt das arbeitsrechtliche Direktionsrecht des Arbeitgebers. 

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Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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