(8.4.2020) Ein Fall, in dem ein Kind wegen eines wirklich vermeidbaren Behandlungsfehlers allerschwerste körperliche Schäden erlitt und für das Leben gezeichnet ist, hat über acht Jahre die deutschen Gerichte beschäftigt. Nun hat das OLG Oldenburg eine sehr hohe Schmerzensgeldforderung des Kindes bestätigt (OLG Oldenburg), Urteil vom 18. März 2020 – 5 U 196/18). 

während der OperationDer Fall:

Ein Kind wurde fiebernd und mit Schüttelfrost nachmittags in eine Klinik eingewiesen. Das Kind erhielt u.a. eine Behandlung mit Flüssigkeit mittels Braunüle. Am frühen Morgen bemerkte die Mutter Hautverfärbungen bei ihrem Kind und rief einen Pfleger hinzu. Dieser stellte fest, dass das Kind die Braunüle gezogen hatte. Der Pfleger glaubte, das Kind schlafe, tatsächlich war das Kind ohnmächtig. Der Pfleger wollte das Kind schlafen lassen und verzichtete auf die Hinzuziehung eines Arztes. Erst beim anschließenden Schichtwechsel am frühen Morgen entdeckte ein Arzt, dass das Kind Einblutungen der Haut zeigte (hämmorrhagische Nekrosen), ein typisches Zeichen für eine fortgeschrittene Menningokokkensepsis. Das Kind wurde verlegt und die eingetretene Sepsis (Blutvergiftung) wurde umfassend behandlelt.

Es war aber bereits zu spät. Das Kind verlor aufgrund der im Körper fortgeschrittenen Blutvergiftung u.a. beide Unterschenkel und erlitt großflächige Vernarbungen, die vielfach nachoperiert werden mussten. Das Leben des Kindes ist von starken Schmerzen und hohen psychischen Belastungen geprägt. Das Kind kann sich im öffentlichen Raum nur noch im Rollstuhl bewegen und wird zeitlebens stark eingeschränkt sein. Dem Kind ist all dies bewusst.

Das Landgericht stellte einen groben Behandlungsfehler des Pflegers fest: der Pfleger hätte sofort einen Arzt hinzuziehen und die Braunüle wieder anbringen müssen. Es sprach dem Kind einen Schmerzensgeldanspriuch von 800.000 EUR zu, ein für deutsche Gerichte sehr hoher Betrag. 

Das beklagte Krankenhaus hielt den Betrag für überhöht, monierte die Festellungen des Landgerichts zu den Folgen und legte Berufung ein. 

Die Entscheidung:

Das OLG Oldenburg wies die Berufung fast vollständig zurück. 

Der zuerkannte Schmerzensgeldbetrag sei sehr hoch, aber angemessen:

Das OLG hielt die Art der Bemessung, wie sie das Landgericht vorgenommen hat, für zutreffend. Das Landgericht habe auch nicht den Referenzrahmen der Schmerzensgeldentscheidungen anderer deutscher Gerichte verlassen. Schließlich erweise sich auch die Bewertung im Einzelfall als zutreffend und angemessen.

Praxisanmerkung:

Kliniken sollten ihre Pflegekräfte anweisen und anhalten, medizinisch auffällige Situationen in jedem Fall dem diensthabenden Arzt zu melden und auf eigene medizinische Schlußfolgerungen (Kind schläft) zu verzichten. Es ist fatal, wenn eine laienhafte Diagnose (Kind schläft) noch nicht einmal durch einen Test (Aufweckversuch) überprüft wird. Die Hautverfärbungen des Kindes waren auffällig. Bei Hautverfärbungen ist immer sofort ein Arzt hinzuziuuziehen, da es für solche Verfärbungen keine natürliche Ursache geben kann. Das Verhalten des Pflegers war derart grob falsch, dass es die Grenze des bedingten Vorsatzes berührt. 

Urteile, die hohe Schmerzensgelder zusprechen, sind aus Sicht der Patienten zu begrüßen. denn sie haben einen hohen Abschreckungseffekt auf die Behandlungsseite und können somit helfen, die Standards und Abläufe zu verbessern und somit weitere Schadensfälle zu verhindern. 

Es ist immer erschreckend zu beobachten, wie die Klinikseite auch bei festgestellten schweren Schäden und klarem verschulden versucht, die Schmerzensgeldforderungen klein zu halten und sich dabei auch nicht zu schade sind, sich in Haarspaltereien zu verlieren. Man muss aber bedenken, dass es nicht die Kliniken bzw. Ärzte sind, die diese Verfahren führen, sondern die Haftpflichtversicherer der Kliniken. Das heißt, die Haftpflichtversicherer haben das Zepter in der Hand, nicht die Klinik oder der Arzt. Den Versicherungenn geht es nur um die Frage,. wie viel sie zahlen müssen. Und sie versuchen alles, so wenig wie möglich zu zahlen. Es ist also nicht böser Wille oder Uneinsichtigkeit der Behandlungsseite, der zu diesen langen Rechtsstreitigkeiten führt, sondern oft der Unwille der Versicherungen das zu tun, wozu sie sich vertraglich verpflichtet haben: nämlich Schäden auszugleichen.

Dem Kind wünsche ich bestmögliche Besserung!

 

Die Entscheidung im Volltext:

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aurich vom 23.11. 2018 (AZ.: 2 O 165/12) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass von dem ausgeurteilten Schmerzensgeld nebst Zinsen folgende Zahlungen der Beklagten in Abzug zu bringen sind:

am 19.11.2015

100.000 €

am 11.12.2015

50.000 €

am 11.12.2018

100.000 €.

Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung seinerseits Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages geleistet hat.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

I.

Die Parteien streiten um Schmerzensgeld in Folge ärztlicher Behandlungsfehler.

Der am TT.MM 2006 geborene Kläger wurde am Nachmittag des TT. MM 2011, also im Alter von 5 Jahren, unter Fieber und Schüttelfrost mit dem Krankenwagen in das Krankenhaus der Beklagten gebracht worden. Erst am Morgen des nächsten Tages gegen 07:00 Uhr aus Anlass des Schichtwechsels wurden die Behandler auf großflächige dunkle Flecken im Gesicht und am Körper des Klägers aufmerksam, die sie zutreffend als hämmorrhagische Nekrosen in Folge einer Menningokokkensepsis einordneten. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger bereits seit mehreren Stunden somnolent.

Wie das Landgericht mit rechtskräftigem Grundurteil vom 21.10.2013, bestätigt durch Senatsurteil vom 28.10.2015, festgestellt hat, ist den Behandlern des Klägers in diesem Zusammenhang der Vorwurf eines groben Behandlungsfehlers zu machen, weil der zuständige Pfleger den Zustand des Klägers morgens zwischen 03:00 und 04:00 trotz entsprechender Hinweise der Mutter ignorierte und trotz der erkennbaren hämmorrhagischen Nekrosen keinen Arzt hinzuzog. Weiterhin war dem Pfleger als grobe Unterschreitung der Standards anzulasten, dass er in der irrigen Annahme, der somnolente Kläger schlafe, vermeintlich um ihn nicht zu wecken, darauf verzichtete, eine Braunüle wieder anzulegen, die sich der Kläger gezogen hatte; Letztes führte dazu, dass dem ohnehin durch Fieber und wiederholtes Erbrechen dehydriertem Kläger über Stunden keine Flüssigkeit zugeführt wurde.

Nach Erkennen der Erkrankung wurde der Kläger unter der Diagnose einer Sepsis und eines Waterhouse-​Friedrichs-​Syndroms (WFS) mit Purpura fulminans vom Intensivteam der Kinderklinik EE übernommen und per Rettungswagen in das Klinikum EE verbracht. Der Aufnahmebefund dort beschreibt den Zustand des Klägers wie folgt: „5 Jahre alter Junge in schwer beeinträchtigtem AZ, intubiert und beatmet, Katecholamine über intraossären Zugang, grau – fahles Hautkolorit, ausgeprägte multiple Hauteinblutungen und beginnende Nekrosen an allen 4 Extremitäten und im Gesicht; periphere Pulse nicht sicher palpabel, zentrale Pulse schwach, Extremitäten kühl (…), unter Analgosedierung keine Spontanmotorik, schlaffer Muskeltonus (…), keine sichere Lichtreaktion“. Nachdem dort die mehrwöchige, lebensrettende Akutversorgung der Sepsis abgeschlossen war, wurde der Kläger extubiert und Ende des Monats (…) ins FF nach Ort2 verlegt, wo die erste Versorgung der Nekrosen und einer Gangrän an beiden Unterschenkeln über die Dauer von 2 Monaten stattfand. Im Zuge dieser Versorgung wurden dem Kläger beide Unterschenkel amputiert und die rechte Kniescheibe entfernt. Daran anschließend wurde der Kläger Ende (Monat) von der Klinik und Poliklinik für Technische Orthopädie und Rehabilitation Ort3 zur weiteren Behandlung übernommen, wobei er sich im (Monat) 2011 bereits der ersten operativen Revision der Stümpfe im FF unterziehen musste. Bis das Körperwachstum des Klägers abgeschlossen ist, müssen die Stümpfe regelmäßig operativ einer Revision unterzogen werden. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sich der Kläger bislang 16mal einer solchen schmerzhaften, operativen Revision der Stümpfe unterziehen müssen. Wieviel weitere Operationen insoweit noch erforderlich sind, lässt sich nicht abschätzen. Wegen des großflächigen Narbengewebes, das ebenfalls nicht wie unbeschädigte Haut mitwächst, sind bis zum Abschluss des Körperwachstums Anpassungsoperationen notwendig. Bislang hat sich der Kläger 7 solcher Korrekturoperationen unterziehen müssen; die Behandler des Klägers schätzen, dass noch 20 – 50 Eingriffe erforderlich werden können. Für 3 ½ Jahre hat der Kläger wegen der Narben einen Ganzkörperkompressionsanzug mit Gesichtsmaske für täglich 22,5 Stunden tragen müssen. Er hat den Anzug nur 3mal täglich für eine halbe Stunde ausziehen dürfen, damit das Narbengewebe eingecremt werden konnte. Der Kläger hat in diesem Anzug auch seine Schulbesuche bis zum Alter von 8 ½ Jahren absolvieren müssen. Er besucht zur Zeit eine Regelschule in Begleitung eines Integrationshelfers. Im Übrigen lebt er zurückgezogen im Kreis seiner Familie. Innerhalb des Hauses bewegt er sich auf den Beinstümpfen unter Zuhilfenahme der Arme, wobei er über den Beinstümpfen Silikonkurzprothesen trägt (sog. „Stuppis“); außerhalb des Hauses benutzt der Kläger einen Rollstuhl zur Fortbewegung.

Zum Zustand des Klägers hat das Landgericht ein neuropädiatrisches, ein kinderorthopädisches sowie ein psychologisches Gutachten eingeholt. Mit Urteil vom 23.11.2018 hat das Landgericht dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 800.000 € abzüglich bereits geleisteter 150.000 € zugesprochen. Besonders hervorgehoben hat es bei der Bemessung den Umstand, dass der noch junge Kläger noch eine lange Zeit unter den Folgen der Behandlungsfehler zu leiden haben werde. Auf dieses Urteil nimmt der Senat wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen, der erstinstanzlichen Anträge und der weiteren Begründung Bezug.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.

Sie ist der Meinung, dass das Schmerzensgeld der Höhe nach übersetzt sei und aus dem Rahmen anderer Entscheidungen zu vergleichbaren Schädigungen falle. Im Interesse der Gerechtigkeit und Gleichbehandlung sei es angezeigt, unter angemessener Berücksichtigung der besonderen Umstände des zu entscheidenden Falles den Rahmen der einschlägigen Rechtsprechung einzuhalten; dazu müsse man sich vor Augen führen, dass Schmerzensgeld in der Größenordnung von 500.000 € in der Regel nur für allerschwerste Gesundheitsschäden wie Hirnschädigungen mit Zerstörung der Persönlichkeitsstruktur zuerkannt würden. Zudem referiere das Landgericht in seinem Urteil im Wesentlichen nur den Inhalt der Gutachten; eine Aufarbeitung bzw. valide Sachverhaltsklärung, in welchem Umfang beim Kläger beispielsweise modernste technische Hilfsmittel und Prothesen eingesetzt werden könnten, sei nicht erfolgt; vielmehr erwecke das Landgericht den unzutreffenden Eindruck, dies sei für den Kläger wegen vermeintlich schwieriger Stumpfverhältnisse nicht möglich; angesichts inzwischen vorhandener modernster Technik sei zu bezweifeln, dass dem Kläger nicht mit Prothetik geholfen werden könnte. Insoweit rügt die Beklagte insbesondere, dass eine entsprechende medizintechnische Begutachtung dieser Fragestellung vom Landgericht versäumt worden sei. Auch die vom Landgericht angestellten Überlegungen zu einem quasi täglichen Schmerzensgeldbetrag seien als Bemessungskriterium nicht tragfähig; die vergleichbare Rechtsprechung des OLG Frankfurt zur taggenauen Berechnung sei abzulehnen. Auch der Gesichtspunkt des Verschuldens rechtfertige keine über die bereits gezahlten 250.000 € hinausgehende Schmerzensgeldbemessung. Unabhängig von der Frage, ob im Arzthaftungsrecht überhaupt der Verschuldensgrad für die Bemessung des Schmerzensgeldes eine Rolle spiele, sei hier jedenfalls nicht von einem groben Verschulden an der Grenze zum Vorsatz auszugehen, was der erkennende Senat in anderen Fällen als schmerzensgelderhöhenden Umstand berücksichtigt habe. Die Beklagte ist weiterhin der Ansicht, dass, weil der Kläger zu Beginn des Prozesses eine Größenordnung von 350.000 € Schmerzensgeld genannt habe und erst später auf den Betrag von 800.000 € erhöht habe, er keine Verzinsung von 800.000 € ab Rechtshängigkeit beanspruchen könne.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizintechnischen Gutachtens zu der Frage, ob die Stümpfe des Klägers nach dem gegenwärtigen Stand der Technik mit einer Unterschenkelprothese versorgt werden können. Auf das bei der Akte befindliche Gutachten des Sachverständigen GG vom 3.12. 2019 (Bl.116/IV GA) wird Bezug genommen. Der Senat hat zudem die Eltern des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 19.2. 2020 informatorisch zum Zustand des Klägers angehört. Auf die Sitzungsniederschrift vom gleichen Tag wird verwiesen (Bl.169/IV GA).

Entscheidungsgründe

II.

Die Berufung bleibt, mit Ausnahme der Klarstellung zu den erfolgten Zahlungen, ohne Erfolg. Der Senat tritt der Bewertung des Landgerichts im Ergebnis bei. Der Senat hält die Art der Bemessung, wie sie das Landgericht vorgenommen hat, für zutreffend (1.); die Entscheidung verlässt auch nicht den Referenzrahmen der Schmerzensgeldentscheidungen anderer deutscher Gerichte (2.); schließlich erweist sich auch die Bewertung im Einzelfall als zutreffend und angemessen (3.).

1.

Es gibt keinen angemessenen Betrag im Sinne einer a priori feststehenden absoluten Summe, die vom Gericht nur im Sinne eines arithmetischen Rechenvorgangs ermittelt werden müsste. Vielmehr handelt sich um eine Bewertung des Einzelfalls nach der Schwere der erlittenen Verletzungen, der hierdurch bedingten Leiden, deren Dauer, der subjektiven Wahrnehmung der Beeinträchtigungen für den Verletzten und des Ausmaßes des Schädigerverschuldens (BGH vom 12. 5. 1998 – VI ZR 182/97 – VersR 1998, 1034 = juris Rn. 13); diese Bewertung benötigt zur Vermeidung einer Willkürentscheidung einen Referenzmaßstab. Dabei hält der Senat den (herkömmlichen) Weg, nämlich die maßgeblichen Gesichtspunkte des Einzelfalles herauszuarbeiten und sie dann in einer Gesamtabwägung unter Beachtung des Systems vergleichbarer Gerichtsentscheidungen zu bewerten, trotz daran geübter Kritik für weiterhin vorzugswürdig.

Demgegenüber erachtet der Senat die vom OLG Frankfurt (Urteil vom 18.10.2018, Az. 22 U 97/16 – juris = VersR 2019, 435 = NJW 2019, 442) favorisierte Methode der taggenauen Berechnung des Schmerzensgeldes (vgl. Schwintowski/Schah Sedi, Handbuch Schmerzensgeld, Köln 2013) insbesondere insoweit, als sie dazu dienen soll, einen komplett eigenen Referenzrahmen zur Berechnung zu schaffen, für nicht überzeugend (wie hier: OLG Düsseldorf VersR 2019, 1165, 1165; OLG Celle VersR 2019, 1157, 1164 f.). Dem OLG Frankfurt ist in seiner Kritik an der Oberflächlichkeit mancher Schmerzensgeldbemessung nach dem herkömmlichen System beizupflichten; auch erachtet der Senat das Bestreben nach besserer Vergleichbarkeit für berechtigt. Indessen dürfte die richtige Antwort auf die Kritik eher darin zu sehen sein, die eigene Schmerzensgeldentscheidung sorgfältig zu begründen, insbesondere zu anderen Judikaten abzugrenzen.

Aus Sicht des Senats fehlt den Grundannahmen des Systems der taggenauen Berechnung bereits die innere Berechtigung (in diesem Sinne wohl auch Bensalah/Hassel NJW 2019, 403, 405; Lüttringhaus/Korch VersR 2019, 973, 977; Höher VersR 2019, 1167, 1168). Die Grundlage von beispielsweise 7 % des monatlichen Bruttonationaleinkommens zur Berechnung der Tagessätze nach Entlassung aus dem Krankenhaus ist ersichtlich willkürlich gewählt. Es dürfte indessen Aufgabe des Gesetzgebers und nicht der Gerichte sein, derartige nicht aus dem Einzelfall abzuleitende abstrakte Rechengrößen einzuführen, die ihre Berechtigung einzig aus dem Wunsch nach allgemeiner Gleichbehandlung gewinnen. Auch wenn das herkömmliche System ungenau und fehleranfällig sein mag, findet eine nach der herkömmlichen Methode gewonnene Bewertung ihre innere Rechtfertigung darin, dass der Betrag im Vergleich zu anderen Entscheidungen in der Vergangenheit angemessen erscheint. Dies lässt sich für das abweichende System der taggenauen Bewertung nicht anführen.

Hinzu kommt, dass mit der Anwendung der Sätze nach Schwintowski/Schah Sedi/ Schah Sedi eine ganz erhebliche Erhöhung der Schmerzensgelder bei Dauerschäden einherginge (vgl. die Beispiele bei Lüttringhaus/Korch VersR 2010, 973, 976 f.: z.B. 4.356.000 € für 35-​Jährige mit Querschnittslähmung). Für einen solchen Paradigmenwechsel sieht der Senat weder Anlass noch Berechtigung.

Schließlich erweist sich das System der taggenauen Berechnung auch keineswegs als konsistent und widerspruchsfrei (vgl. Lüttringhaus/ Koch a.a.O. 979 sub 4; wohl auch OLG Düsseldorf VersR 2019, 1165, 1165).

2.

Davon ausgehend hält der Senat den vom Landgericht zuerkannten Betrag im Ergebnis für angemessen. Die Kritik der Beklagten, dass das Landgericht insoweit mit dem zuerkannten Betrag, das System verlassen habe, trifft nach Ansicht des Senats nicht zu.

Das Landgericht hat einen Kapitalbetrag von 800.000 € zuerkannt und von der Möglichkeit, eine monatliche Rente zuzusprechen, keinen Gebrauch gemacht. Dieser Umstand bindet den Senat für den Berufungsrechtszug insoweit, als der Senat gehindert ist, einen Teil des Schmerzensgeldes als monatliche Rente auszuurteilen, obgleich er dies in Fällen wie dem vorliegenden für vorzugswürdig erachtet.

Gleichwohl sieht sich der Senat bei der Heranziehung von Referenzentscheidungen nicht gehindert, insoweit auch auf Entscheidungen abzustellen, bei denen ein Teil des Schmerzensgeldes als monatliche Rente ausgeurteilt worden ist (vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch OLG Celle VersR 2019, 1157, 1164).

Bei Berücksichtigung auch solcher Entscheidungen zeigt sich indessen, dass der vom Landgericht zuerkannte Betrag keineswegs völlig außerhalb des Systems bisher zuerkannter Beträge liegt. Beispielhaft ist in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des OLG München vom 18. März 2015 (Az. 20 U 3360/14 – juris) zu verweisen. Letzteres hat bei Annahme einer 25 % Mithaftung des Geschädigten einem 16-​Jährigen im Falle einer Querschnittslähmung einen Kapitalbetrag von indexiert gerundet 400.000 € und eine monatliche Rente von (nicht indexiert) 500 € zugesprochen hat. Bei Hochrechnung der monatlichen Rente auf die statistische Lebenserwartung eines in Deutschland geborenen Jungen (und bei „Herausrechnung“ eines Mitverschuldens) wird in der Summe auch unter Berücksichtigung einer Abzinsung ebenfalls ein Betrag in jener Dimension, wie sie das Landgericht Aurich zuerkannt hat, erreicht. Dies wird an der nachfolgenden (groben) Umrechnung zum Zwecke der Vergleichbarkeit deutlich (, wobei der Senat nicht verkennt, dass ein Mitverschulden der Geschädigten nicht zu einer quotenmäßigen Beschränkung seines Anspruchs führt, sondern lediglich einen gewichtigen Bemessungsfaktor bildet):

Kapitalbetrag:

375.000 €

Indexiert

400.000 €

ohne Mitverschulden

533.000 €

Rente

500 €/ monatlich hochgerechnet auf verbliebene Lebenserwartung: 60 Jahre x 12 Monate x 500 € =

360.000 €

indexiert auf 2019

376.000 €

abgezinst (60 Jahre, 1 % p.a.)

207.000 €

Summe als Gesamtkapitalbetrag: 740.000 €

Auch die Entscheidung des OLG Koblenz vom 29.11.1995, Az. 12 W 461/95 (Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge, 38. Aufl. [2020] Nr.38.2021), die im Falle einer hohen Querschnittslähmung für eine 6-​jährige Geschädigte einen Kapitalbetrag von indexiert knapp 500.000 € bei monatlicher Rente von 375 € für angemessen erachtet hat, belegt, dass das Landgericht mit dem zuerkannten Betrag nicht das System vergleichbarer Entscheidungen verlassen hat.

Wenn die Beklagte in diesem Zusammenhang weiterhin auf die Entscheidung des 5. Senats des OLG Köln vom 5. Dezember 2018 (Az 5 U 24/18) verweist, wonach bei Schwerstschädigungen ein Kapitalbetrag von 500.000 € die Obergrenze bilde, betrifft die Entscheidung nur jene Fälle, in denen wegen Zerstörung der Persönlichkeit (oftmals wegen perinataler Hirnschädigung) ein Schmerzensgeld zu zahlen ist. Der Senat lässt vorliegend dahingestellt, ob jener Judikatur, die für den Verlust der Persönlichkeit Schmerzensgelder zwischen 350.000 € und 600.000 € zuerkennt (so z.B. OLG Köln, Urteil vom 10.12.2014, 5 U 75/14 ), weiterhin zu folgen ist; die vorliegende Konstellation, in welcher der Kläger keinerlei Hirnschaden erlitten hat, bis zur Schädigung gesund gelebt hat und damit sich Zeit seines Lebens der verletzungsbedingten Einschränkungen bewusst sein wird, unterscheidet sich derart grundlegend von dem zitierten Sonderfall der Zerstörung der Persönlichkeit, dass jene Judikate in keiner Hinsicht als Referenzentscheidungen für Fälle der vorliegenden Art taugen. Während in den Fällen der Zerstörung der Persönlichkeit im Wesentlichen ein in der Vergangenheit liegender Umstand kompensiert werden soll und die Bemessung insoweit weitestgehend gleichsam statisch ereignisbezogen ist, ist der vorliegende Fall maßgeblich dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger nicht nur bereits in der Vergangenheit liegendes erhebliches Leid hat erdulden müssen, sondern auch zukünftig bis an sein Lebensende ganz erhebliche Belastungen, Schmerzen und Einschränkungen im dauerhaften Bewusstsein des Verlustes wird ertragen müssen. Dieser Umstand ist bereits nach der herkömmlichen Schmerzensgeldbemessung ein gewichtiger Bewertungsfaktor (vgl. nur OLG Düsseldorf VersR 2019, 1165, 1166).

3.

Das Landgericht hat mit dem Betrag von 800.000 € auch ein dem Einzelschicksal des Klägers angemessenes Schmerzensgeld zuerkannt.

Bei der Bemessung der Höhe eines dem Verletzten zustehenden Schmerzensgeldes sind die Schwere der erlittenen Verletzungen, das hierdurch bedingte Leiden, dessen Dauer, die subjektive Wahrnehmung der Beeinträchtigungen für den Verletzten und das Ausmaß des Verschuldens des Schädigers maßgeblich (BGH vom 12. 5. 1998 – VI ZR 182/97 – VersR 1998, 1034 = juris Rn. 13).

Besondere Bedeutung kommt bei einem Dauerschaden dem Lebensalter des Verletzten zu, da dies maßgeblich dafür ist, wie lange sich die erlittene Beeinträchtigung auf das Leben des Geschädigten auswirkt (OLG Düsseldorf VersR 2019, 1165, 1166).

Bei der Bemessung sind im konkreten Fall die nachfolgenden Faktoren zu berücksichtigen:

a) Dauerschäden

Der Kläger ist nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft und Handwerkskunst für die Fortbewegung dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen. Das Gutachten, das der Senat eingeholt hat, hat die Behauptung des Klägers bestätigt, dass wegen der Beschaffenheit der Stümpfe die Anfertigung von Unterschenkelprothesen nicht möglich ist. Die Beklagte hat nach Eingang des Gutachtens diesen Umstand auch nicht weiter in Zweifel gezogen.

Die körperliche Fortbewegung ist dem Kläger gegenwärtig im Haus ohne Rollstuhl auf sog. „Stubbis“ (eine Art Silikonkurzprothese) möglich, die er sich über die Stümpfe zieht; im Übrigen ist er auf den Rollstuhl angewiesen. Der Kläger kann allerdings zum gegenwärtigen Zeitpunkt (anders z.B. als Geschädigte mit einer hohen Querschnittslähmung) seine oberen Extremitäten einsetzen, was für die Eigenständigkeit im täglichen Leben einen großen Unterschied macht. Zur Zeit kann sich der Kläger deswegen auf den Kurzprothesen unter Zuhilfenahme seiner Arme auch ohne Rollstuhl fortbewegen; er kann eigenständig den Rollstuhl oder eine Liege besteigen. Allerdings ist die weitere Entwicklung insoweit ungewiss. Wegen des Narbengewebes an den Armen ist noch nicht sicher zu beurteilen, wie seine oberen Extremitäten das Körperwachstum überstehen. Es ist nicht sicher auszuschließen, dass die Beweglichkeit der oberen Extremitäten sich insoweit verschlechtert.

Große Teile der Körperoberfläche des Klägers sind durch Narben entstellt, weil das nekrotische Gewebe entnommen werden musste. Dies hat eine dauerhafte körperliche Beeinträchtigung auch der oberen Extremitäten zur Folge.

Der Bewegungsbefund der einzelnen Gelenke der oberen Extremität ist limitiert. Die rechte Seite ist von der Schulter bis zur Mittelhand und zu den Fingern 4 und 5 stark vernarbt, linksseitig zeigen sich am Oberarm einzelnen Narbenplatten, am Unterarm und auf den Handrücken sind ausgedehnte Narbenflächen vorhanden. Die Kraft und die Dauerleistungsfähigkeit der Greifkraft ist eingeschränkt (Rechtskraftgrad 3-​4, links 4), das Anheben des rechten Arms in der Schulter ist aktiv nur bis 80° möglich, Ellenbogen und Handgelenke sind in der Bewegung mittelgradig eingeschränkt, links ist der Faustgriff möglich, rechts nur der Schlüsselbegriff bzw. Lateralgriff (GA Dr. HH vom 18.4.2018, S.5 f.).

nfolge der zuletzt genannten Beeinträchtigung kann der Kläger in der Schule nicht eigenständig mitschreiben; dies tut sein Integrationshelfer; allenfalls mit einem Tablet/ Laptop kann der Kläger selbst schreiben.

nfolge der hochgradigen Zerstörung der Talg- und Schweißdrüsen sowie der daher fehlenden autonomen Regulation der Haut, ist der Kläger zudem lebenslang gehalten, sich mehrmals täglich einzucremen; es besteht die lebenslange Gefahr von Entzündungen der Narbenoberfläche (Gutachten Langen, S.12 sub 9.).

Der Kläger leidet täglich unter Phantomschmerzen an den Stümpfen; er erhält deshalb täglich Ibuprofen Junior 200 Gr., jeweils 2-​3 Tabletten 1 bis 2 mal am Tag. Auf andere Schmerzmittel muss der Kläger weitgehend verzichten, weil er im Zuge einer Revisionsoperation eine lebensbedrohliche metamizolinduzierte Agranulozytose erlitten hat. Die Sachverständige Dr. HH hat die vom Kläger beklagten Phantomschmerzen als medizinisch nachvollziehbar bezeichnet (GA vom 18.4.2018 S.8).

Der Körper des Klägers ist zudem durch die großflächigen Narben ästhetisch beeinträchtigt; auch das Gesicht ist an beiden Wangen erheblich betroffen; der Kläger wird auch im bekleideten Zustand Zeit seines Lebens durch die Narben gezeichnet sein.

b) Behandlungen / Operationen

Zu den genannten Dauerschäden treten die erheblichen Beeinträchtigungen hinzu, die der Kläger in der Vergangenheit bereits zu erdulden hatte bzw. noch zu erdulden haben wird.

Unmittelbar nach der Infektion ist der Kläger über die Dauer von 2 Monaten bis (Monat) 2011 im Klinikum EE bzw. im FF wiederholt operiert worden: bei Aufnahme im FF zeigten sich multiple Hautnekrosen an Wangen und Ohren beidseits, weiterhin an Ober – und Unterarmen, beiden Händen sowie Ober – und Unterschenkeln beidseits. Die Nekrosen wurden durch Abtragung und Epigard – Deckung versorgt. An beiden Füßen und Unterschenkeln zeigen sich ausgeprägte Nekrosen von Haut und Muskeln, sodass beidseits unterhalb des Knies am TT. MM amputiert werden musste. Es erfolgten zeitversetzt mehrfach Muskellappen – und Spalthauttransplantationen im Gesicht, an den Armen sowie an den Oberschenkeln mit Entnahme der Spalthaut von Thorax und Rücken. In einem weiteren operativen Eingriff am TT. MM musste aufgrund des ausgedehnten Haut – und Weichteildefektes und aufgrund des ausgedehnten Befalls mit Pseudomonas die rechte Patella entfernt werden. Es schloss sich eine Folgeoperation zur Deckung des rechten Knies mit Spalthaut von der Innenseite des linken Oberarmes am TT. MM an.

Da der Kläger bislang nicht ausgewachsen ist, haben sich seitdem bis zu Verhandlung vor dem Senat 16 weitere Operationen zur Korrektur der Stümpfe angeschlossen; dabei handelt es sich durchgehend um schwerwiegende Eingriffe unter Vollnarkose, die erheblicher postoperativer Schmerzmittelgabe bedurft haben; erschwerend ist beim Kläger als Folge der Exostosenabtragung im (Monat) 2019 eine metamizolinduzierte Agranulozytose aufgetreten, also eine toxische Schädigung des Rückenmarks als Nebenwirkung der Gabe des Schmerzmittels Metamizol. Der Kläger musste deswegen auf der Intensivstation der Kinderklinik EE behandelt werden. Hinsichtlich der Wahl zukünftiger Schmerzmittel ist er erheblich eingeschränkt.

Die nächste Stumpfkorrektur ist für den (…) 2020 vorgesehen. Wieviel weiteren Operationen sich der Kläger bis zum Abschluss des Wachstums ausgesetzt sehen wird, ist nicht prognostizierbar.

Zu den Stumpfkorrekturen kommen jene Operationen hinzu, denen sich der Kläger unterziehen muss, weil das Narbengewebe nicht in gleicher Weise mitwächst, wie die unbeschädigte Haut. Hier hat sich der Kläger bislang 7 Korrekturoperationen unterziehen müssen. Die Operationen erfolgen unter Vollnarkose; der Kläger muss sich jeweils 2 – 5 Tage im Krankenhaus aufhalten. Die Anzahl der noch erforderlichen Hautkorrekturoperationen ist schwer zu prognostizieren; die Behandler des Klägers gehen von zukünftig noch 20 – 50 weiteren Eingriffen aus. Komplikationen sind insoweit zu erwarten als die Behandler davon ausgehen, dass noch 7 Lappenplastiken durchzuführen sein werden, der Kläger aber nur noch über 4 geeignete Hautareale verfügt. Hinzu kommt das Risiko, dass das Transplantat nicht einwächst.

Schließlich hat der Kläger in den Jahren 2011 bis 2014 täglich für die Dauer von 22,5 Stunden einen Ganzkörperkompressionsanzug tragen müssen, der sämtliches Narbengewebe, also insbesondere auch das Gesicht, bedeckt hat. Die Kompression des Anzugs war so erheblich, dass der Kläger wegen des Drucks während des Tragens kaum verständlich sprechen und nur mit Einschränkungen essen konnte. Ausziehen durfte der Kläger den Anzug in dieser Zeit nur dreimal täglich jeweils für eine halbe Stunde, weil in dieser Zeit die Narben einzucremen waren. Der Kläger hat in diesem Anzug auch die Schule besuchen müssen.

c) Psychische Folgen

Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen D. (GA vom 18.4.2018 S. 28 ff) leidet der Kläger unter einer posttraumatischen Belastungsstörung; mangelndes Selbstbewusstsein, motorische Unruhe, eine deutlich reduzierte Ausdauerspanne und eine deutlich reduzierte Frustrationstoleranz sind Traumafolgen.

Für die Zukunft, insbesondere die Pubertät, die mit einem gesteigerten Körperbewusstsein einhergeht, ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen mit einer Steigerung des psychologischen Krankheitsverlaufs zu rechnen. Die Mutter hat den derzeitigen Gemütszustand des Klägers wie folgt beschrieben: Er besuche mit einem Integrationshelfer die Gesamtschule; die schulischen Leistungen könne der Kläger trotz erheblicher Fehltage erbringen; im Sozialverhalten habe er wenig Selbstvertrauen; mit seinem Integrationshelfer habe der Kläger erst nach Monaten die ersten Worte gewechselt; als seine Psychotherapeutin im späteren Verlauf der Psychotherapie die Amputationen angesprochen habe, habe er wortlos das Zimmer verlassen und bis heute jede weitere Psychotherapie verweigert; man bemühe sich zur Zeit, dies wieder anzugehen. (…)1 Der Senat erachtet diese Aussagen als glaubhaft und ordnet den Befund als jene vom Sachverständigen beschriebenen weiteren Traumafolgen ein.

Die genannten Einschränkungen und Leiden, die der Kläger bislang zu erdulden hatte und denen er zukünftig ausgesetzt sein wird, rechtfertigen ein Schmerzensgeld im oberen Bereich bisher zuerkannter Beträge. Wie umfassend die Beeinträchtigung des Klägers ist, zeigt sich daran, dass von jenen 5 Teilbereichen, mit denen Bensalah/Hassel (NJW 2019, 403, 406) die Beeinträchtigung eines Schmerzensgeldgläubigers zu erfassen suchen, nämlich (1) Fortbewegung/ Mobilität, (2) Kommunikation, (3) Psyche und kognitive Fähigkeiten, (4) Sehen, Hören, Riechen, Tasten, Schmecken, (5) Aussehen und Aussicht auf Partnerschaft kein Bereich gänzlich unbeeinträchtigt ist. Für die Ziffern (1), (5) und (3) ist dies evident. Aber auch in den Bereichen (4) und (2) erlebt der Kläger Einschränkungen. Wegen des Narbengewebes ist die Sensorik der Haut weitestgehend aufgehoben; wegen der Vernarbung seiner Hände und Arme kann der Kläger nur eingeschränkt schriftlich kommunizieren.

Neben dem Ausmaß der Schädigung bildet auch ihr Zeitpunkt einen Grund, das Schmerzensgeld im oberen Bereich des zur Verfügung stehenden Rahmens anzusetzen. Der Kläger hat die Schädigung im Alter von 5 Jahren erlitten. Bei einer Schädigung in diesem Alter hat der Geschädigte gerade die notwendige Reife erlangt, den Verlust in seiner Gesamtheit zu begreifen und unter ihm zu leiden, auf der anderen Seite gleichsam sein gesamtes Leben noch vor sich.

Im Vergleich zur eingangs zitierten Entscheidung des OLG München, das für den Fall einer Querschnittslähmung eines 16-​Jährigen bei 25 %-​igem Mitverschulden einen Kapitalbetrag von 400.000 € und eine monatliche Rente von 500 € ausgeurteilt hat, bewertet der Senat das Leid, das der Kläger vorliegend zu erdulden hat, als noch schwerwiegender. Zwar ist ihm zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Restmaß an Mobilität verblieben; so kann er z.B. einem Hobby wie dem Tauchsport (mit Einschränkungen) nachgehen; die sonstigen, weiteren schweren Beeinträchtigungen (Vielzahl schmerzhafter komplexer Operationen in der Vergangenheit und Zukunft, ästhetische und nachhaltige psychische und soziale Beeinträchtigung), die den Kläger im Grunde seiner Kindheit beraubt haben und ihn auch in der Zukunft in vielfältiger Hinsicht weiter schwer beeinträchtigen werden, rechtfertigen indessen, dem Kläger ein im Vergleich dazu höheres Schmerzensgeld zukommen zu lassen.

Auch die Entscheidung des OLG Hamm vom 11.11.2016 zum Az. 26 U 111/15 (Hacks/Wellner/Häcker a.a.O. Nr.38.2001), mit welcher einer 48-​jährigen Geschädigten für den Fall einer hohen Querschnittslähmung ein Betrag von indexiert ca. 420.000 € zugesprochen worden ist, belegt, dass dem Kläger angesichts seiner Jugend ein Schmerzensgeld zuzusprechen ist, das, wenn von einer monatlichen Rente abzusehen ist (s.o.), als Kapitalbetrag einen deutlichen Abstand zu jenem Betrag haben muss, auf den das OLG Hamm erkannt hat. Auch wenn sich eine schlichte Doppelung angesichts der Individualität der Fälle verbietet, zeigt diese Überlegung aber angesichts des Altersunterschieds der Geschädigten auf, dass das Landgericht mit 800.000 € einen Betrag gewählt hat, der sich angemessen in das System bisher zugesprochener Gelder einfügt und nach Ansicht des Senats einen angemessenen Ausgleich darstellt. Zu dem gleichen Ergebnis gelangt der Senat mit Blick auf die Entscheidung des LG Dortmund vom 21.12.2005, Az. 21 O 370/04, das einer 20-​jährigen Klägerin im Falle der Schädigung durch großflächige Vernarbung bei 60 %-​iger Mithaftung einen Betrag von (nicht indexiert) 120.000 € zugesprochen hat. Auch diese Entscheidung belegt, dass das Landgericht mit dem Betrag von 800.000 € einen Betrag zuerkannt hat, der mit Blick auf die Kumulation der Schädigungen (Rollstuhlpflicht und Vernarbungen), die der Kläger erlitten hat, angemessen ist und sich in das System fügt.

Soweit die Berufung sich weiterhin gegen den zuerkannten Zins wendet, kann ihr nicht gefolgt werden. Das Landgericht befindet sich mit seiner Entscheidung im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, wonach die Verzinsung gemäß § 291 unabhängig von der mitgeteilten Vorstellung des Klägers nach dem objektiv zuerkannten Betrag erfolgt (BGH, Urteil vom 05.01.1965, Az: VI ZR 24/64 – Juris Rn.44).

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr.10, 711 ZPO.

1) Die ausgelassene Passage befasst sich mit den erheblichen Störungen im sozialen Zusammenleben. Auf Wunsch des Klägers wird von der konkreten Wiedergabe dieser Passage zum Schutz der Persönlichkeitsrechte des Klägers und seiner Familienangehörigen im Rahmen der Veröffentlichung abgesehen.