(21.4.2020) Ist mit einer nicht standardmäßigen Behandlung ein hohes Risiko schwerwiegender Schäden, insbesondere ein hohes Mortalitätsrisiko verbunden, so kann die fehlende Aufklärung des Patienten über diese Risiken dazu führen, dass das behandelnde Krankenhaus keine Vergütung für diese Behandlung von der Krankenkasse des Patienten verlangen kann (Bundessozialgericht, Urteil vom 19.3.2020 - B 1 KR 20/19 R).

Arzt klärt Patient aufDer Fall: 

Der damals 60-jährige, gesetzlich krankenversicherte Patient litt an einem Lymphdrüsenkrebs in Form eines Mantelzelllymphoms. Seit einem Jahr hatte sich die Krankheit nicht verändert. In dem beklagten Krankenhaus erhielt er dann eine Behandlung mit Stammzellen eines Fremdspenders (sogenannte allogene Stammzelltransplantation). Der Versicherte erlitt dann ein Multiorganversagen und eine Sepsis und verstarb einen Monat später. Die Behandlung kostete über 45.000 Euro.

Die Krankenkasse des Verstorbenen verweigerte die Übernahme der Kosten. Der Patient sei nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden.

Das Krankenhaus verklagte die Krankenversicherung des Patienten auf Zahlung und gewann vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht.

Die Krankenversicherung legte Revision zum Bundessozialgericht ein.

Die Entscheidung:

Das BSG stellte fest, dass es sich hier um eine nicht standardgemäße Behandlung mit hohem Todesrisiko handelt. 

Die ordnungsgemäße Aufklärung der gesetzlich Versicherten sei schon aus Haftungsgründen geschuldet, diene aber auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot.

Zwar könne bei Routinebehandlungen im Sinne einer widerlegbaren Vermutung davon ausgegangen werden, dass die Aufklärung ordnungsgemäß stattgefunden habe und Versicherte ihre Entscheidung für die Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen auf der Grundlage von ausreichenden Informationen getroffen haben. Das gelte jedoch nicht, wenn mit der Behandlung ein hohes Risiko schwerwiegender Schäden, insbesondere ein hohes Mortalitätsrisiko verbunden sei. In diesen Situationen sei regelmäßig nicht auszuschließen, dass Versicherte bei ordnungsgemäßer Aufklärung von dem Eingriff Abstand genommen hätten. Dies gelte in besonderem Maße, wenn es sich bei der beabsichtigten Behandlung um einen noch nicht dem allgemein anerkannten medizinischen Standard entsprechenden Therapieansatz handelt, wie dies bei der Behandlung mit allogenen Stammzellen der Fall sei. Versicherte müssten wissen, auf was sie sich einlassen, um abwägen zu können, ob sie die Risiken einer solchen Behandlung um deren Erfolgsaussichten willen eingehen wollen. Ob der verstorbene Patient über diese Dinge aufgeklärt worden sei, sei derzeit noch unklar.

Das BSG hat das Urteil des Landessozialgerichts daher aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Das LSG muss nun den Fall erneut bearbeiten und prüfen, ob der verstorbene Patient ordnungsgemäß über die Risiken des Todes und die Abweichung der Behandlung vom Standard aufgeklärt hat. 

Praxisanmerkung:

Die fehlende Aufklärung über Risiken einer Behandlung führt in der Regel zu Streit über die Haftung eines Arztes oder einer Klinik. Der Aufklärungsfehlervorwurf ist dabei oft das "scharfe Schwert" des Patienten, weil Aufklärunsgfehler oft leichter festzustellen sind als Behandlungsfehler.  Mit der Änderung seiner Rechtsprechung hat das Bundessozialgericht nun auch den Vergütungsanspruch in Zweifel gezogen. Zu beachten ist aber, dass dies nur für nicht standardgemäße Behandlungen gilt. Da es aber oft nicht so einfach ist festzustellen, ob es sich um eine Standardbehandlung oder eine besondere Behandlung handelt, ist jeder Arzt und jedes Krankenhaus gut beraten, die Aufklärung über a) die Risiken und b) die Abweichung vom Standardverfahren besonders sorgsam durchzuführen und diese Aufklärung auch zu dokumentieren.

Dabei gilt der allgemeine Grundsatz, dass nur eine mündliche Aufklärung ausreichend sein kann. Rein schriftliche Aufklärungen werden von den Gerichten regelmäßig als unzureichend zurück gewiesen. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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