(6.5.2020) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG ist der Erwerb eines tödlich wirkenden Medikaments zum Zweck des Suizids (Selbsttötung) ausnahmslos verboten. Diese Norm ist aus Sicht des Verwaltungsgerichts Köln verfassungswidrig, weil sie die Erteilung einer Erwerbserlaubnis für ein tödlich wirkendes Betäubungsmittel zur Begehung eines Suizids ausnahmslos ausschließe und hierdurch gegen das aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG abzuleitende Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Tod in schweren Fällen verstoße. Das Verwaltungsgericht hat den Fall nun dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt (Verwaltungsgericht Köln, Beschluss vom 19.11.2019 - 7 K 1410/18).

Gabe von Medikamenten mit tödlicher WirkungDer Fall:

Eine 95-jährige Klägerin leidet seit einem Schlaganfall an einer halbseitigen Lähmung. Sie ist halbseitig erblindet, leidet unter Schluckstörungen und Epilepsie und ist deswegen dauerhaft auf Pflege angewiesen. Sie lebt in einem Pflegeheim und ist zu 100% schwerbehindert. Sie ist bei voollem Bewußtsein, kann aber nicht mehr lesen, kaum sprechen und lediglich noch ihre rechte Hand bewegen, leidet an Inkontinenz und hat erhebliche Schmerzen. Die Klägerin möchte daher nicht mehr leben und beantragte 2017 die Erlaubnis zur Einnahme einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels (Natrium-Pentobarbital).

Das Bundesverwaltungsgericht entschied schon 2017, dass der Erwerb eines Betäubungsmittels für die Selbsttötung mit dem Zweck des Betäubungsmittelgesetzes ausnahmsweise vereinbar sei, wenn sich der suizidwillige Erwerber wegen einer schweren und unheilbaren Erkrankung in einer extremen Notlage befinde (BVerwG, Urteil vom 02.03.2017 - 3 C 19/15).

Das beklagte Bundesamt für Arzneimittel (BfArm) zweifelte die Verfassungsmäßigkeit des Urteils des BVerwG an und forderte die Klägerin zur Beibringung umfangreicher Gutachten auf. Diese Gutachten sollten sich auf den Krankheitsverlauf, die Auswirkungen der Krankheit, mögliche palliative Maßnahmen, Alternativen zur Verwirklichung des Sterbewunsches beziehen. Außerdem sollte ein psychiatrisches Gutachten oder eine notarielle Erklärung, die die Fähigkeit zur freien Willensentschließung und bewusste Suizidentscheidung bestätigt, eingeholt werden. Der Klägerin gelang es nicht, diese Gutachten zu bekommen. Daraufhin lehnte das Bundesamt unter Verweis auf fehlende Unterlagen den Antrag der schwerkranken Klägerin ab.

Die Klägerin erhob Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht Köln. 

Die Entscheidung:

Das VG Köln ist der Ansicht, dass § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG verfassungswidrig sei, weil diese Norm die Erteilung einer Erwerbserlaubnis für ein tödlich wirkendes Betäubungsmittel zur Begehung eines Suizids ausnahmslos ausschließe und hierdurch gegen das aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG abzuleitende Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Tod verstoße. Das Verwaltungsgericht hat das deshalb Verfahren ausgesetzt, um eine Entscheidung des BVerfG einzuholen.

Das VG versteht § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG so, dass es der Zweck des Betäubungsmittelgesetzes sei, Krankheiten zu behandeln und die Gesundheit zu bewahren. Es sei nicht Zweck des Gesetzes, jedenfalls in Ausnahmefällen den Erwerb für ein tödlich wirkendes Betäubungsmitteln zu erlauben. Dann aber verstoße die Versagungsnorm des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG gegen das in Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG enthaltene Grundrecht auf Selbstbestimmung über den eigenen Tod und sei daher verfassungswidrig.

Nun bleibt abzuwarten, wie das BVerfG die vorgelegte Frage, ob § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG verfassungswidrig ist, beantworten wird. 

Praxisanmerkung:

Das BVerfG hat bereits entschieden, dass Sterbehilfe durch Ärzte nicht mehr strafbar ist: Das Recht, sich selbst zu töten, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen. § 217 StGB (strafbewehrtes Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung) greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Sterbewilliger ein. Die von der Vorschrift ausgehende Einschränkung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben ist nicht angemessen. Die Vorschrift führt im Gefüge mit der bei seiner Einführung vorgefundenen Gesetzeslage dazu, dass das Recht auf Selbsttötung in weiten Teilen faktisch entleert ist. § 217 StGB ist damit unwirksam (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15, 2 BvR 2527/16, 2 BvR 2354/16, 2 BvR 1593/16, 2 BvR 1261/16 und 2 BvR 651/16).

Ob das BVerfG nun auch das gesetzliche Verbot der Gabe eines Medikaments zum Zweck der Selbsttötung (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG) kippen wird, ist offen. Das BVerfG wies in seiner Entscheidung aus 2020 selbst darauf hin, dass das Betäubungsmittelrecht gegebenenfalls zu ändern sei. Dies ist aber grundsätzlich dem Gesetzgeber überlassen. Das BVerfG kippt daher Gesetze nur ausnahmsweise. 

In jedem Fall ist es zu begrüßen, wenn hier eine Klarheit für die todkranken Patienten geschaffen wird. Für den Pateinten ist ein Recht auf medikamentöse Sterbehilfe ungemein wichtig, will er nicht unter Schmerzen über lange Zeit gegen seinen Willen dahinvegetieren und auch weiter ärztlich behandelt werden. Auch für den Arzt ist ein Recht auf  medikamentöse Sterbehilfe sehr wichtig, denn kein Arzt will einen Sterbewilligen gegen seinen Willen weiter am Leben halten müssen, was aber die grundsätzliche Aufgabe jedes Arztes ist. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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