(8.9.2020) Verlangt die Klinik von einem Arzt Bereitschaftsdienste (hier Bearbeitung von Organspendeangeboten binnen 30 Minuten), die nicht dem Tarifvertrag entsprechen, so muss die Klinik diese Dienste wie Vollarbeit vergüten (Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 4. März 2020 – 3 Sa 218/19).

Hintergrunddienst des OberarztesDer Fall:

Der Kläger ist seit 1993 als Oberarzt an der beklagten nephrologischen Universitätsklinik beschäftigt. Es gilt der Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte/TdL) aus dem Jahr 2006.

Der Tarifvertrag sieht Entgelte für Rufbereitschaft (eine geringe Pauschale) und Bereitschaftsdienst (60-95 % des üblichen Lohns) vor. Nach dem Tarifvertrag liegt Rufbereitschaft vor, wenn erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. Bereitschaftsdienst liegt laut TV vor, wenn zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt.

Der Oberarzt nimmt außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit am sog. nephrologischen Dienst (Hintergrunddienst als Rufbereitschaft) teil und muss sich während dieses Dienstes telefonisch erreichbar halten, ohne dass es eine ausdrückliche Vorgabe zum Aufenthaltsort oder zu dem Zeitraum gibt, wann er in der Klinik erscheinen muss. Erhält der Oberarzt telefonische Organspendeangebote der Firma Eurotransplant, so muss er den Fall umfangreich medizinisch prüfen (Kontaktaufnahme zu anderen Ärzten, Patient etc.) und binnen 30 Minuten erklären, ob die Klinik das angebotene Organ annimmt. Dazu muss er im Hintergrunddienst immer einen Ordner mit medizinischen Unterlagen mit sich führen. Solche Organspendeangebote traten in bis zu 45 % der Hintergrunddienste des Oberarztes auf.

Die Klinik vergütete diese Dienste (nur) als Rufbereitschaft.

Mit seiner Zahlungsklage verlangt der Arzt aber eine Vergütung als Bereitschaftsdienst, also zusätzlich rund 40,000 €.

Das Arbeitsgericht wies die Klage als unbegründet. ab. Der Oberarzt ging in Berufung.

Die Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht gab der Klage des Arztes ganz überwiegend statt.

Das LAG sprach dem Arzt eine außertarifliche Vergütung zu, nämlich eine Vollvergütung nach § 612 Absatz 1 und 2 BGB ("übliche Vergütung"). Denn der Arzt habe mit dem Hintergrunddienst Sonderleistungen erbracht, die über die vertraglich geschuldete Leistung hinausgingen und die weder tarif- noch arbeitsvertraglich geregelt seien:

Der Oberarzt habe keinen tarifvertraglichen Bereitschaftsdienst erbracht, weil die Klinik dem Arzt nicht den Aufenthaltsort vorgab, der Arzt vielmehr diesen Ort im Hintergrunddienst frei auswählen könne. Eine Rufbereitschaft im Sinne des TV liege auch nicht vor, weil die Klinik den Arzt nicht nur in Ausnahmefällen anfordere, sondern vielmehr in in bis zu 45 % der Hintergrunddienste.

Die Klinik habe also bewusst tarifwidrige Dienste angeordnet. Der Oberarzt war dabei aus Sicht des LAG verpflichtet, die Dienste auf Abruf sofort zu erbringen. Für diese Tätigkeit fehle es aber neben der arbeitsvertraglichen oder tarifvertraglichen Regelung an sich auch an einer entsprechenden Regelung der Vergütung. Deshalb greife § 612 BGB ein.

Praxisanmerkung:

Dienstverträge für Oberärzte regeln Einzelheiten für die Vergütung in der Regel nicht, sondern nehmen diesbezüglich auf Entgeltgruppen und Tarifverträge Bezug. Wenn der Oberarzt - wie im vorliegenden Fall - besondere Dienste erbringen soll, empfiehlt es sich daher, deren Art und Vergütung sogleich im Dienstvertrag zu regeln, um spätere zeit- und kostenaufwändige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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