Haftet Hausarzt für Rezeptbetrug der Patientin?(7.1.2021) Haftet der Hausarzt, wenn eine Patientin die Rezepte, die der Hausarzt ihr auf Grundlage von Befunden anderer Fachärzte ausgeschrieben hat (ohne sie selbst zu untersuchen), gar nicht einlöste, sondern sich in betrügerischer Absicht von der Behilfestelle auszahlen ließ? Das OLG Köln verneinte im Ergebnis einen Schadensersatzanspruch der Beihilfestelle gegen den Hausarzt (OLG Köln, Urteil vom 16.12.2020 – 5 U 39/20). Wie kann ein Hausarzt solche Probleme vermeiden?

Der Fall:

Bei einer Patientin des beklagten Hausarztes lag ein Immundefekt-Syndrom in Form eines Antikörpermangelsyndroms für IgA und IgG vor. Diese Erkrankung wurde durch den Facharzt Dr. C im Jahr 1990 festgestellt. Die Patienten legte dem Hausarzt überdies einen Befundbericht desselben Facharztes aus dem Jahr 2008 vor (dieser stellte sich später als Fälschung heraus).

Der beklagte Arzt rezeptierte der Patientin daher über Jahre hinweg das teure Medikament Gamunex, ohne sie untersucht oder zu einem Facharzt überwiesen zu haben.

Die Patientin löste die Rezepte aber nicht bei einer Apotheke ein, vielmehr fälschte sie Ausgabebelege einer Apotheke und ließ sich von ihrer Beihilfestelle die angeblich von ihr an die Apotheke gezahlten Medikamentenkosten erstatten. Der Beihilfestelle entstand so ein Schaden von über 2 Mio. Euro.

Da die Beihilfestelle ihren Schaden nicht von der Patienten ersetzt bekommen konnte, verklagte sie den Hausarzt auf Schadensersatz. Dieser habe fehlerhaft gehandelt und dadurch den Schaden verursacht. Sie hat dem Beklagten in der ersten Instanz vorgeworfen, die Verordnung des Medikaments sei nicht indiziert gewesen und hat die Ansicht vertreten, der Beklagte habe wider besseres Wissen gehandelt. Jedenfalls sei ihm Betrugsvorsatz zu unterstellen.

Das Landgericht hatte die Klage der Beihilfestelle gegen den Hausarzt als unbegründet abgewiesen.

Die Beihilfestelle ging in Berufung zum Oberlandesgericht Köln und verlangte weiter schadensersatz von dem Hausarzt.

Die Entscheidung:

Das OLG Köln konnte keinen Schadensersatzanspruch der Beihilfestelle gegen den Hausarzt erkennen und wies die Berufung als unbegründet ab.

Denn der ärztliche Behandlungsvertrag schütze generell nicht das Vermögen der Beihilfestellen und kostentragenden Krankenkassen - ein falsches ärztliches Rezept führe also nicht zu Schadensersatzansprüchen von Beihilfestellen oder Krankenkassen gegen den verordnenden Arzt.

Auch das strafrechtliche Verbot des das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 278 StGB) bewirke nicht, dass der Hausarzt wegen der Ausstellung falscher Rezepte gegenüber Beihilfestellen und kostentragenden Krankenkassen haften müsse. Denn § 278 StGB sei kein Schutzgesetz im Sinne der Schadensersatznorm des § 823 BGB. Grund dafür sei die Schutzrichtung des § 278 StGB: diese Strafnorm gehöre zu den Urkundsdelikten (in Form eines Spezialfalles der ausnahmsweise strafbaren schriftlichen Lüge) und Schutzgut der Urkundsdelikte sei die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs, nicht dagegen der Schutz des Einzelnen im Sinne des § 823 BGB.

Die vom beklagten Hausarzt erstellten Rezepte (Verordnung des teuren Medikaments Gamunex) stellten auch keine Gesundheitszeugnisse im Sinne des § 278 StGB dar. Denn Rezepte gäben in der Regel keine Auskunft über den Gesundheitszustand eines Patienten, sie dienten jedenfalls nicht dem Nachweis einer bestimmten medizinischen Diagnose.

Auch ein Betrugsvorsatz konnte das OLG Köln nicht erkennen. Denn die Einlassung des beklagten Hausarztes, er habe sich auf die Diagnose des Antikörpermangelsyndroms sowie die Durchführung der Therapie und des Monitorings durch den Facharzt Dr. C verlassen, sei von der Beihilfestelle nicht widerlegt. Die bloße Wiedergabe einer Diagnose, die durch einen anderen Arzt gestellt (hier Dr. C.) wurde, stelle noch kein Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse durch den Hausarzt dar.

Zwar könnte der hiesige Fall durchaus den Schluss auf ärztliche Behandlungfehler ermöglichen - das OLG Kön sah das Verhalten des Hausarztes hier also durchaus kritisch. Allerdings konnte das OLG Köln gleichwohl keinen aktiven Betrugsvorsatz bei dem Hausarzt erkennen.

Soweit die Klägerin argumentiert, der beklagte Hausarzt wisse, dass er die Patientin nicht untersucht und nicht deren Talwerte kontrolliert habe, obwohl dies den zu Grunde zu legenden Leitlinien entsprochen habe, belege dies aus Sicht des OLG Köln nicht, dass der Beklagte die Rezepte wider besseres Wissen über ihre Notwendigkeit ausgestellt hätte. Denn dem beklagten Hausarzt lag ein Bericht über eine ausführliche Untersuchung der Patientin im Jahr 1990 wegen derselben - lebenslang bestehenden - Erkrankung durch einen anderen Arzt zur Diagnosestellung vor; auf die Diagnose des Facharztes Dr. C durfte sich der Beklagte grundsätzlich verlassen.

Schließlich verneinte das OLG auch eine Untreue des Hausarzt zu Lasten der Beihilfestelle. Denn Ärzte hätten keine Vermögensbetreuungspflicht hinsichtlich des Vermögens privater Versicherer oder der Beihilfekasse. Auch konnte das OLG hier keinen entsprechenden Untereuevorsatz des Hausarztes erkennen - denn es sei nichts dafür ersichtlich, dass der Hausarzt wusste, dass die Patientin die Rezepte tatsächlich gar nicht einlöste.

Praxisanmerkung:

Ein strafbares Verhalten oder ein schuldhaftes, zu schadensersatzansprüchen führendes Fehlverhalten konnte dem Hausarzt hier zwar nicht nachgewiesen werden. Gleichwohl hat der Hausarzt durch sein nachlässiges und auch nicht leitliniengerechte Verhalten die Entstehung eines hohen Schadens mitversursacht. Der Hausarzt musste dementsprechend sowohl ein gegen ihn gerichtetets Strafverfahren wie auch ein längeres zivilrechtliches Haftungsverfahren hinnehmen, auch wenn er letztlich von allen Haftungsansprüchen freigesprochen wurde.

Der Fall zeigt aber deutlich, dass jeder Hausarzt folgende Grundregeln beachten sollte:

  • Hausärzte sollten Patienten mit spezifischen Erkrankungen (hier: Immundefekt-Syndrom in Form eines Antikörpermangelsyndroms für IgA und IgG) an den zuständigen Facharzt überweisen
  • jahrzehntealte fachärztliche Befunde können keine Grundlage für weitere Rezepte sein - spätestens alle drei Jahre sollte der Hausarzt den fachärztlichen Befund überprüfen und zwar entweder durch eigene Untersuchung des Patienten oder durch erneute fachärztliche Vorstellung
  • legt der Patient dem Arzt Befundberichte eines Facharztes vor (hier einen Befundbericht aus dem Jahr 2008, der sich später als Fälschung herausstellte), an die der Hausarzt den Patienten aber gar nicht überwiesen hatte, so ist eine kurze telefonische Abklärung der Echtheit dieses Befundberichtes dringend angeraten

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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