außerordentliche Kündigung einer Ärztin wegen whistelblowing(15.2.20221) Fragt eine angestellte Ärztin, die sich mit ihrem Arbeitgeber (Privatpraxis) über Fragen des fachlichen Standards und der erforderlichen Ausbildung des Personals bei ihrer Ärztekammer an oder stellt sie eine Anzeige wegen fehlenden Einhaltung fachlicher Standards nach erfolglosem Versuch interner Klärung, so rechtfertigt dies keine außerrordentliche Kündigung der Ärztin, wenn sie nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben bei ihren Mitteilungen an die Ärztekammer machte. Auch der fachliche Austausch der angestellten Ärztin mit ihrer Fachgesellschaft (hier: Deutsche Gesellschaft für Endoskopiefachberufe) über Praxis der Umsetzung von Leitlinien Medizinischer Fachgesellschaften in der Privatpraxis rechtfertigt keine solche Kündigung, solange die Ärztin nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht hat (Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6.11.2020 - 9 Sa 426/20).

Der Fall:

Eine angestellte Ärztin und junge Mutter machte sich Sorgen, dass in der Praxis für Endoskopie die fachlichen Standards bei der Personalausstattung und -ausbildung nicht eingehalten werden. Sie sorgte sich letztlich um die Sicherheit der behandelten Patienten. Sie monierte die Zustände zuerst mehrfach gegenüber der Geschäftsleitung. Schließlich fragte sie die Ärztekammer und später auch die Deutsche Gesellschaft für Endoskopiefachberufe um Rat. 

Ihr Arbeitgeber veränderte die Dienstzeiten der Ärztin zu ihrem Nachteil und kündigte ihr schließlich fristlos. Der Arbeitgeber warf ihr vor, sie habe u.a. das Vertrauensverhältnis irreparabel geschädigt, als sie sich mit Interna an Ärztekammer und die Fachgesellschaft gewendet habe. Über den Vorwurf des whislteblowings hinaus erhob der Arbeitgeber noch weitere, letztlich aber an den Haaren herbeigezogene Vorwürfe gegen die Ärztin.

Die Ärztin wehrte sich gerichtlich gegen die sofortige Kündigung.

Die Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht gab der Ärztin weitgehend Recht und erklärte die Kündigungen für unwirksam.

Weder die außerordentliche noch die ordentliche Kündigung habe das Arbeitsverhältnis der Ärztin beendet. Die Praxis muss die Ärztin nun weiter beschäftigen.

Insbesondere die Mitteilung der Ärztin an die Ärztekammer rechtfertige keine Kündigung. Die Ärztin habe durch diese Mitteilung nicht gegen das arbeitsrechtliche Rücksichtnahmegebot verstoßen. Denn das Einschalten der Ärztekammer sei gerade im Falle eines Konfliktes zwischen Ärzten zulässig und nicht zwangsläufig als Anzeige eines Fehlverhaltens zu verstehen, zudem es sich bei der Ärztekammer um keine Institution wie die Staatsanwaltschaft handele. Das Landesarbeitsgericht betonte, dass die Ärztin auch unter Beachtung der Rücksichtnahmepflichten gehandelt habe, weil sie das nach ihrer Einschätzung im Hinblick auf die Endoskopien rechtswidrige Verhalten ihres Arbeitgebers zunächst gegenüber dem Arbeitgeber vorgebracht habe. Die Ärztin habe auch keine unwahren Dinge gegenüber der Ärztekammer bzw. der Fachgesellschaft behauptet. 

Praxisanmerkung:

Angestellte Ärzte können auf Pflichtverletzungen des Arbeitgebers (Klinik oder Arztpraxis) wie folgt reagieren:

Eine außerordentliche Kündigung gegen den angestellten Arzt ist nur in Ausnahmefällen möglich, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

Der Fall ist auch aus arzthaftungsrechtlicher Sicht interessant:

Die Ärztin hat ganz richtig erkannt, dass ihr auch selbst arzthaftungsrechtliche Konsequenzen drohen können, wenn sie die Zustände in der Praxis weiter durch ihre Arbeit unterstützt. Zu nennen sind hier insbesondere die fehlende Ausbildung des Hilfspersonals in der Endoskopie und in der damit verbundenen Anästhesie z.B. bei der alltäglichen Anwendung von Propofol. Dies kann zu fatalen Fehlern bei der Behandlung führen. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang das Verhalten eines der Senior-Ärzte, der sich auf die Beschwerden der Ärztin hin zwar zuerst widerwillig zu Überwachungsdiensten in der Anästhesie einteilen ließ. Dann aber war kaum oder schließlich gar nicht mehr im Operationssaal anwesend. Gleichwohl ließ er sich jeweils auf den Operationsberichten als anwesender Anästhesist vermerken. Dies ist eine Praxis, die auch in Kliniken gern genutzt wird, um Personalengpässe zu verstecken und haftungsrechtlich abzusichern.