Krankenhausflur(26.2.2021) Führt das Pflegepersonal einer Intensivstation wichtige ärztliche Weisungen nicht aus, so haftet der Krankenhausträger für dieses Organisationsverschulden (Oberlandesgericht München, Teil-Grund- und Teil-Endurteil vom 06.08.2020 – 24 U 1360/19).

Der Fall:

Auf einer Intensivstation bestand die interne Anweisung, die zum Schutz der Patienten verlangte, dass vom Pflegpersonal erfasste EKG-Befunde vorne in der Behandlungsakte abgelegt werden sollen, so dass der behandelnde Arzt diese Befunde sogleich sehen kann. Zudem bestand die Anweisung, dass die Anfertigung des EKGs in der Behandlungsakte vermerkt werden soll.

Eine Krankenschwester legte von ihr gerade gefertigte EKG-Befunde einer 43jährigen Patientin aber entgegen dieser Weisung nicht vorne in die Behandlungsakte und sie vermerkte auch nicht, dass das EKG durchgeführt worden war. Dieses EKG zeigte einen reaktionspflichtigen Befund (deutlich verlängertes korrigiertes QT-Intervall der Klägerin von 0,62 Sekunden). Der behandelnde Oberarzt führte kurz darauf seine Visite durch, sah aber die auffälligen EKG-Befunde nicht. Die Befunde hätten aber ein sofortiges ärztliches Handeln und das Verbleiben der Klägerin auf der Intensivstation erforderlich gemacht. Sattdessen wurde die Klägerin auf die Normalstation verlegt, wo sie einen Herz-Kreislauf-Stillstand und schließlich eine Hirnschädigung erlitt.

Die Haftpflichtversicherung des Krankenhausträgers zahlte ein Schmerzensgeld von EUR 150.000 sowie Verdienstausfälle an die Kläger.

Die Patientin und ihr Ehemann verklagten den Klinikträger auf Zahlung weiteren Schadensersatzes und eines höheren Schmerzensgeldes 

Die verklagte Klinik sah sich nicht als verantwortlich. Eine Falschbehandlung habe es nicht gegeben. Das EKG stamme auch nicht von der Klägerin. Das EKG habe sich auch nicht in der Patientenakte befunden. Überdies bestritt sie u.a., dass der Hirnschaden durch dieses Verhalten verursacht worden sei.         

Das Landgericht Kempten verneinte einen ärztlichen Behandlungsfehler und wies die Klage als unbegründet ab. Es liege lediglich eine Pflichtverletzung des nichtärztlichen Personals vor, das das EKG nicht rechtzeitig in die Patientenakte gegeben habe. Dabei handele es sich um keinen Organisationsfehler, sondern um einen nach §§ 278, 831 BGB zuzurechnenden Fehler eines Gehilfen. Es sei der Klägerin nicht gelungen, diesen Fehler der Klinik zuzurechnen. Denn auch durch eine weitere intensivmedizinische Überwachung hätte das Auftreten eines Herz-Kreislauf-Stillstands nicht verhindert werden können. Ein zu einer Beweislastumkehr führender grober Fehler liege nicht vor, da es sich um einen Fehler handele, der in der klinischen Praxis vorkomme.

Die Kläger legten Berufung ein. 

Die Entscheidung:

Die Berufung der Patientin war überwiegend erfolgreich. 

Zwar verneinte auch das OLG einen Behandlungsfehler des Oberarztes. Auf Grundlage der ihm vorliegenden Informationen (zu denen der EKG-Befund nicht gehörte) ist die von ihm getroffene Entscheidung, die Patientin auf die Normalstation zu verlegen, nicht zu beanstanden.

Das Oberlandesgericht München bejahte aber ein grob fehlerhaftes Verhalten des Pflegepersonals.

Das nichtärztlichen Personal habe gegen die mündlich erteilte Weisung in doppelter Hinsicht verstoßen. Dieses fahrlässige Handeln der Krankenschwester sei dem Krankenhausträger auch nach § 278 BGB bzw. § 831 BGB zuzurechnen. Das OLG München kann - anders als das Landgericht - für das Verhalten des Pflegepersonals keinerlei Verständnis aufbringen. Es kommt daher auch zu dem Ergebnis, dass dieser grobe Verstoß zur Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität nach führt. Schon eine bloße Mitverursachung reiche aus, um einen Ursachenzusammenhang zu bejahen. Das OLG ging auch davon aus, dass bei unterbliebener zeitnaher Vorlage des EKGs in die Patientenakte die Grundsätze über den Befunderhebungsfehler entsprechend heranzuziehen seien.

Insgesamt muss der Krankenhausträger der Klägerin ein Schmerzensgeld von 225.000,00 € für die erlittene hypoxische Hirnschädigung zahlen, den erlittenen Verdienstausfall ersetzen und für alle künftigen Schäden aufkommen.

Praxisanmerkung:

Der Fall zeigt die Wichtigkeit der Erarbeitung und strikten Einhaltung standardisierter Prozeduren in einem Krankenhaus, insbesondere in der Intensivmedizin. Möglicherweise wäre es nicht zu dem Fehler gekommen, wenn die Weisung, EKG-Befunde vorne in die Akte zu legen und ihre Erhebung zu vermerken, dem Pflegepersonal nicht lediglich mündlich erteilt worden wäre. In solche Fällen ist - neben der konsequenten Einübung und Überwachung solcher standard operatin procedures - auch eine schriftliche Erfassung der Weisungen ratsam