Hüfte Roentgen Prothese(24.3.2021) Das Gericht muss schon dann weiteren Beweis durch Einholung eines medizinischen Gutachtens erheben, wenn der klagende Patiient vorträgt, dass sich bei ihm durchaus Anzeichen für eine Metallose in Form von Pseudotumoren zeigten, er zudem ein Attest vorlegt, wonach der Patient die typischen Folgen eines Pseudotumors zeige und er schließlich die Einholung weiterer Fachgutachten durch das Gericht beantragte (Bundesgerichtshof, Beschluß vom 16.2.2021 - VI ZR 1104/20). Verlange man von dem Patienten, selbst entsprechende MRT-Untersuchungsergebnisses oder eines sonstigen belastbaren Befund vorzulegen, überspanne man dessen Beweispflichten und verletzte dessen rechtliches Gehör, so der BGH. 

Der Fall: 

2007 ließ sich die Klägerin eine sog. Durom-Oberflächenersatzprothese einsetzen. Ab dem Jahr 2014 ließ sie regelmäßig ihr Blut untersuchen, um Chrom- und Kobaltwerte zu ermitteln, denn sie hatte Beschwerden und vermutete einen erhöhten Metallabrieb der Prothese. Schließlich erhob sie Produkthaftungsklage gegen den Hersteller der Prothese und verlangte die gerichtliche Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für (künftige) materielle und immaterielle Schäden. 

Das Landgericht holte ein toxikologisches Gutachten ein. Dieses zeigte keine auffälligen Metallwerte. Die Klägerin übersandte dem Gericht daraufhin ein Attest, wonach die Klägerin die typischen Folgen eines Pseudotumors zeige. Sie trug weiter vor, dass es möglich sei, dass der Körper Metalldepots bilde, die nicht in Blutuntersuchungen zu erkennen seien. Unter Verweis auf die laut ärztlichem Attest bestehenden typischen Symptome eines Pseudotumors hat sie in einem weiteren Schriftsatz geltend gemacht, dass es unzulässig sei, bezüglich etwaiger orthopädischer Fragestellungen (ob ein Pseudotumor vorliege oder nicht) auf ein toxikologisches Gutachten abzustellen, weshalb Beweis durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens erhoben werden müsse. Das Landgericht wies dies zurück. 

Die Klägerin ging in Berufung.

Das Oberlandesgericht München wies die Berufung als unbegründet zurück. Dass sich bei der Klägerin lokale Gewebeneubildungen als Reaktion auf ungewöhnlich hohe Metallpartikelbelastungen (Metallosen) gebildet hätten, habe die Klägerin schon nicht substantiiert behauptet, etwa unter Darstellung eines entsprechenden MRT-Untersuchungsergebnisses oder eines sonstigen belastbaren Befundes.

Die Klägerin rief den Bundesgerichtshof an. Denn das OLG München überspanne die Anforderungen an den Vortrag eines Patienten. 

Die Entscheidung:

Der BGH gab der Klägerin Recht, hob das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur weiteren Verhandlung und Beweiserhebung nach München zurück. 

An den Vortrag des Patienten kann im Arzthaftungsrecht nur geringe Anforderungen gestellt werden, da der Patient medizinischer Laie ist. Dies ist ständige Rechtsprechung des BGH. Aber auch in einem Produkthaftungsverfahren, in dem es um medizinische Fragen wie hier die medizinischen Folgen von Metallabrieb im Körper geht, dürfen  nur maßvolle Anforderungen an den Vortrag des Klägers gestellt werden. Die Vorlage von MRTs oder ähnlichem Unterlagen könne von der Klägerin nicht verlangt werden. Die Klägerin sei auch nicht verpflichtet, sich zur ordnungsgemäßen Prozessführung Fachwissen anzueignen. Dies gelte sowohl für den klagebegründenden Sachvortrag als auch für Einwendungen gegen ein gerichtliches Gutachten.

Praxisanmerkung:

Die Entscheidung liegt auf der Rechtsprechungslinie und erweitert diese auf die medizinische Produkthaftung. Dies ist im Sinne einer gesteigerten Sachaufklärung zu begrüßen und kommt den Patienten entgegen. 

Der sicherste Weg für den Patienten ist und bleibt es aber, nach Möglichkeit selbst so viel wie möglich und so präzise wie möglich vorzutragen und insbesondere den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen möglichst detailliert und auch unter Beiügung von Attesten und Befunden entgegen zu treten.

Der beste Weg wäre es, dem Gerichtsgutachten mit einem Privatgutachten entgegen zu treten (Gegengutachten), denn mit dem Gegengutachten muss sich das Gericht auseinandersetzen. Ein Privatgutachten ist aber teuer. Patienten können aber in bestimmten Fällen auch die Kosten eines Privatgutachters nach einem Sieg vor Gericht von der Gegenseite erstattet verlangen: Die Kosten eines prozessbegleitend privat eingeholten Sachverständigengutachtens sind erstattungsfähig, wenn das Gutachten unmittelbar prozessbezogen ist und zudem die eigene Sachkunde der Partei nicht ausreicht, einen gebotenen Beweis anzutreten oder die Angriffe des Gegners sachkundig abzuwehren (OLG München Beschl. v. 15.10.2020 – 11 W 1457/20). Allerdings reicht es für ein solches Anzweifeln eines Gerichtsgutachtens nicht aus, dass eine Partei der medizinisch begründeten Auffassung des Sachverständigen lediglich ihre eigene Meinung entgegenstellt, vielmehr bedarf es konkreter Anhaltspunkte (OLG Dresden Beschl. v. 1.12.2020 – 4 U 1767/20).

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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