Wann muss Orthopäde ein MRT des Knies machen?(19.7.2021) Der Orthopäde bewegt sich bei der Diagnostik von Knieverletzungen immer in einem Spannungsfeld zwischen Unter- und Überdiagnostik - führt er zu wenige Untersuchungen durch, droht ihm der Vorwurf des Befunderhebungsfehlers; führt er zu viele Untersuchungen durch (z.B. MRT-Untersuchungen), drohen Budgetüberschreitungen und der Vorwurf, unnötige Kosten zu verursachen und den Patienten unnötig zu belasten. Dabei ist zu beachten, dass die Rechtsprechung mit Ärzten, die vor einer Operation zu wenig Diagnostik durchführten, in der Regel hart ins Gericht gehen und den Arzt dann oft wegen eines sog. Befunderhebungsfehlers zur Arzthaftung verurteilen. Eine aktuelle Entscheidung des Oberlandesgericht Hamm (Urteil vom 08.06.2021 – 26 U 74/20) definiert den rechtlichen Rahmen für die Notwendigkeit einer MRT-Untersuchung. Das OLG Hamm verneinte im Ergebnis einen Befunderhebungsfehler des Orthopäden.

Der Fall: 

Im vorliegenden Fall stellte sich eine adipöse Frau mit Kniebeschwerden und Einklemmungsproblematik bei dem beklagten Orthopäden in einer Klinik vor. Dieser führte eine klinische Untersuchung, eine Röntgenuntersuchung und Ultraschalluntersuchungen des Knies durch. Ein MRT ließ er nicht erstellen. Nach mehreren Operationen besserte sich der Zustand des Knies. Schließlich verschlechterte sich der Zustand des Knies aber wieder. Zuletzt verklagte die Frau den Arzt und warf ihm dabei u.a. vor, er habe pflichtwidrig kein MRT vor der Operation durchgeführt. 

Die Entscheidung:

Ebenso wie die Vorinstanz wies das OLG Hamm die Klage der Frau als unbegründet zurück. 

Ein Befunderhebungsfehler liege entgegen der Auffassung der Klägerin nicht vor. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen war es medizinisch nicht geboten, vor Durchführung der Arthroskopie am 17.11.2015 eine MRT-Untersuchung zu veranlassen. Die im Vorfeld des Eingriffs unstreitig erfolgten Röntgenuntersuchungen, die sonographische Untersuchung und die klinischen Untersuchungen waren zur Beurteilung der Frage, ob eine Operation indiziert war, ausreichend.

Die körperliche Untersuchung beinhalte nach Angaben des Gerichtssachverständigen spezielle Tests, welche in Zusammenhang mit der Anamnese eine korrekte Diagnose einer Meniskusläsion in 88% medial und 92% lateral stellen kann. Eine Multicenter-Studie von Antinolfi et al., in dem der Stellenwert des MRT in Korrelation zu klinischen Untersuchungen bewertet worden sei, habe sogar zum Ergebnis geführt, dass eine klinische Untersuchung durch einen erfahrenen Kniechirurgen eine deutlich bessere Sensitivität von 91% versus 85%, eine bessere Spezifität von 87% versus 75% und eine höhere Genauigkeit von 90 versus 82% bezüglich der Diagnosesicherung bei Meniskusläsionen biete, und zwar sowohl für den medialen als auch für den lateralen Meniskus. Der Sachverständige hat diese Angaben sowohl vor dem Landgericht als auch vor dem Senat bestätigt und nochmals bekundet, dass bei einer klinischen Untersuchung durch einen erfahrenen Arzt eine höhere Treffersicherheit als durch eine MRT-Untersuchung erreicht werde.

Eine MRT-Untersuchung ist auch nicht geboten gewesen, um zu beurteilen, welche Anteile des verletzten Meniskus entfernt werden müssten. Diese Entscheidung kann der Behandler bei - aufgrund der Einklemmungsproblematik bereits - indizierter Operation ohne weiteres während der Arthroskopie treffen, so der Sachverständige.

Ein MRT sei dagegen geboten, wenn eine über eine Meniskusläsion hinausgehende Kniebinnenschädigung bestanden hätte, für die ggf. besondere Operationsgegebenheiten hätten geschaffen werden müssen und die daher nach AWMF-Leitlinien eine MRT-Untersuchung gerechtfertigt hätte. Zwar hatte die Frau vorgetragen, sie sei vor der Operation bei der Arbeit schwer auf das Knie gestürzt. Beweisen konnte sie dies aber nicht. Letztlich überzeugt es das Gericht, dass der beklagte Arzt vortrug, dass er einen solchen Arbeitsunfall als Durchgangsarzt und damit weit lukrativer hätte abrechnen können, was er aber nicht getan hatte.

Praxisanmerkung:

Die Entscheidung verdeutlicht, dass die Frage, ob ein MRT bei Knieverletzungen geboten ist, nicht schematisch beantwortet werden kann. Dem Arzt wird hier eine komplexe Einzelfallentscheidung abverlangt, die im Berufsalltag schon aus Zeitgründen oft schwierig sein wird.

In Anbetracht der - hier nicht eingetretenen - Gefahr, wegen zu wenig Diagnostik einen Befunderhebungsfehler zu begehen, ist es jedenfalls der für den Arzt sicherste Weg, wenn er "etwas genauer nachschaut" und doch ein MRT fertigt. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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