Augenarzt behandelt Patientin(27.7.2021) Gerade zum Ende des Quartals behandeln Kassenärzte gesetzlich versicherte Patienten wegen der bestehenden Budgetierung oft nur gegen geringes Entgelt. Mancher Arzt verfällt dann auf die Idee, die Kassenleistung als Privatleistung abzurechnen. Dass dies nicht erlaubt ist, belegt das Urteil des Sozialgerichts München, das eine Geldbuße von 2.500 EUR gegen einen Augenarzt bestätigte, der einer Kassenpatientin 40 EUR für eine allgemeine Behandlung in Rechnung gestellt hatte (SG München, Urteil vom 23.04.2021 - S 28 KA 116/18). 

Der Fall: 

Gegen Ende des 3. Quartals bat eine Kassenpatientin einen niedergelassenen Augenarzt um Behandlung eines geröteten und schmerzenden Auges. Die Sprechstundenhilfe fragte, ob die Patientin in diesem Quartal schon einen Arzt aufgesucht habe, was diese bejahte. Daraufhin sei ihr gesagt worden, dass sie die Behandlung bezahlen müsse, weil diese nicht mehr bei der Krankenkasse abgerechnet werden könne. Um eine Untersuchung und Behandlung zu erhalten, habe sie ein Formular "Einverständniserklärung" unterzeichnet und 40 € bezahlt. Sie wurde von dem Arzt behandelt. Dafür stellt er ihr eine Privatrechnung nach GOÄ über pauschal EUR 40,00. Des weiteren rechnete der Augenarzt für die Behandlung die Grundpauschale (GOP 06212 EBM) sowie einen kleinen chirurgischen Eingriff (GOP 02301 EBM) ab bei der KV ab.

Später forderte sie diesen Betrag erfolglos zurück: das Amtsgericht wies ihre Klage zurück, da die unterzeichnete Einverständniserklärung den notwendigen Rechtsgrund für den Zahlungsanspruch des Augenarztes darstelle. 

Die Patientin beschwerte sich bei der Kassenärztlichen Vereinigung, die letztlich eine Geldbuße von EUR 2.500 gegen den Arzt verhängte. Grund: Der Augenarzt habe gegen das Sachleistungsprinzip verstoßen, da er von einer Patientin eine private Liquidation von augenärztlichen Leistungen verlangt habe, die jedoch Inhalt der vertragsärztlichen Versorgung gewesen seien. Er habe die Leistungen auch unerlaubterweise doppelt abgerechnet - einmal über die Privatliquidation und ein anderes Mal bei der KV. 

Dagegen klagte der Augenarzt. Er habe nur Leistungen, die nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung seien, in Rechnung gestellt. Außerdem habe er an diesem Tag seine Kapazitätsgrenze erreicht. Er betreibe eine Terminspraxis und alle Termine für Kassenpatienten seien vergeben gewesen. Die Patientin hätte sich auch woanders behandeln lassen können, da kein Notfall vorlag.

Die Entscheidung:

Das Sozialgericht München bestätigte die Geldbuße. Der Arzt habe gegen das Sachleistungsprinzip verstoßen. 

Der Kläger sei verpflichtet gewesen, die Versicherte zu behandeln und dies als Kassenleistung. Gemäß § 13 Abs.7 Satz 3 BMV-Ä dürfe ein Vertragsarzt die Behandlung eines Versicherten nur in begründeten Fällen ablehnen. Kapazitätsmäßige Überlastung des Arztes könne zwar einen derartigen begründeten Ablehnungsgrund darstellen. Am Behandlungstag habe eine solche Belastung jedoch nicht vorgelegen. Andernfalls hätte der Kläger keine Zeit gehabt, bei der Versicherten an diesem Tage eine ausführliche privatärztliche Behandlung inkl. kleinchirurgischen Eingriff vorzunehmen.

Auch habe der Augenarzt gegen § 128 Abs. 5a SGB V verstoßen, weil er die Patientin zur Inanspruchnahme einer privatärztlichen Versorgung anstelle der ihnen zustehenden GKV-Leistung überredet habe.

Das eingeholte Einverständnis entlaste den Kläger nicht, weil er die Versicherte fehlerhaft über seine (tatsächlich bestehende) Behandlungspflicht informiert habe.

Der Augenarzt habe die Behandlung auch in unerlaubter weise abgerechnet, nämlich doppelt: Die Privatliquidation habe mangels Aufschlüsselung einzelner Leistungspositionen offensichtlich pauschal die gesamte Behandlung der Versicherten umfassen sollen. Daher sei die zusätzliche Abrechnung der GOP 06212 und 02301 EBM gegenüber der KV als unzulässige Doppelabrechnung einzustufen.

Praxisanmerkung:

Kassenpatienten wegen allgemeiner Behandlungsleistungen privat abzurechnen, ist ein wesentlicher Pflichtenverstoß des Arztes. Lediglich individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) oder Wunschleistungen können unter bestimmten und engen Voraussetzungen gesondert privat gegenüber Kassenpatienten abgerechnet werden. Im Krankenhaus können des weiteren Wahlleistungen (z.B. Chefarztbehandlung) privat abgerechnet werden.

Vom Arzt selbst formulierte formularmäßige Einverständniserklärungen des Patienten, seien sie auch noch so fantasievoll formuliert, ändern daran nichts. 

Die Entscheidung des Amtsgerichts, das dem Augenarzt das Honorar zusprach, ist kritisch zu sehen. Nicht überzeugend ist auch die Begründung des Amtsgerichts zu sehen: Der Augenarzt habe detailliert dargelegt, dass Leistungen erbracht worden seien, die über die Verpflichtung als Kassenarzt hinausgegangen seien - dabei sei das Amtsgericht nicht in der Lage, definitiv nachzuprüfen, ob die vom Augenarzt in der Auflistung erbrachten Leistungen alles kassenärztliche Leistungen seien oder nicht. Das Amtsgericht ist hier - vermutlich auch wegen des sehr geringen Streitwerts von nur 40 EUR den Weg des geringsten Widerstandes gegangen und hat sich tiefere Diskussionen erspart. Letztlich hat aber auch diese bedenkliche Einzelfallentscheidung des Amtsgerichts dem Augenarzt wenig geholfen, da das ihm auferlegte Bußgeld von 2.500 EUR das erhaltene Honorar von 40 EUR aufzehrt. Ob der Arzt diese Methode zur unerlaubten Privatabrechnung von Kassenpatienten auch in anderen Fällen oder gar systematisch über Jahre hinweg benutzt hat, um seine Einnahmen zu verbessern, ist allerdings nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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