(17.8.2021) Der vom Arzt zu führende Beweis für ein ausreichendes Aufklärungsgespräch - hier im Falle des Setzens eines Katheters zur Durchführung einer Immunadsorption - erfordert nicht dessen konkrete Erinnerung an das jeweilige Aufklärungsgespräch. Er kann auch durch den Nachweis einer "ständigen Übung" geführt werden (sog. Immer-So-Aufklärung), wenn die Angaben des Arztes hierzu schlüssig sind und durch die Dokumentation im Wesentlichen bestätigt werden (Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 29. Juni 2021 – 4 U 1388/20).
Der Fall:
Bei dem unter Multipler Sklerose leidenden Patienten wurde eine Immunadsorption (Verfahren zur Entfernung einzelner Blutbestandteile; in einem extrakorporalen Kreislauf werden aus dem Blut des Patienten mit Hilfe eines Adsorbers gezielt bestimmte lösliche Faktoren des Immunsystems entfernt) im Hause der Beklagten durchgeführt. Bevor dem Patienten ein Katheter gelegt wurde, führte der junge Arzt Dr. O ... ein Aufklärungsgespräch mit dem Patienten, dessen Inhalt streitig ist und der Patient unterzeichnete einen Aufklärungsbogen.
Der Arzt Dr. O... konnte sich an das konkrete Gespräch später nicht mehr erinnern und hat daher erläutert, wie er üblicherweise die Aufklärung gestaltet. Er lege das Vorgehen beim Anlegen eines Venenkatheters und die üblichen Risiken dar und beantworte Fragen, belehre sodann auf der Grundlage des Aufklärungsbogens und weise auf die dort angegebenen Risiken hin und zwar in ganzen Sätzen. Die Stichpunkte, die er dort handschriftlich eingetragen habe, trage er während des Gesprächsverlaufes ein. Wenn dort als Risiko „Blutung“ vermerkt sei, habe er darauf hingewiesen, dass bei dem Eingriff an einem venösen Blutgefäß gearbeitet werde und überall, wo venöse Blutgefäße liegen, sich auch arterielle befinden. Es bestehe daher grundsätzlich die Gefahr, dass diese verletzt werden und es zu Blutungen komme.
Das Legen eines zentralen Venenkatheters am Hals scheiterte. Schließlich legte Dr. O ... einen Katheter an der Leiste. Als dieser gezogen wurde, kam es zu einer pulsierenden Spritzblutung, die bald gestillt wurde. Es bildete sich auf der linken Seite ein Hämatom vom Oberschenkel bis zur Wade. Es entwickelte sich ein Aneurysma im Darmbein, das chirurgisch im Januar 2014 entfernt wurde. Der Patient klagte in der Folgezeit u.a. über Sensibilitätsstörungen im Bein und warf der beklagten Klnik Aufklärungs- und Behandlungsfehler vor.
Die Arzthaftungsklage des Patienten wurde vom Landgericht als unbegründet abgewiesen. Der Patient ging in Berufung.
Die Entscheidung:
Das OLG verneinte einen Aufklärungsfehler.
Dabei arbeitete das Gericht folgende Grundsätze für die Aufklärung bei der Verwendung von Kathetern heraus:
- Angesichts der Vielzahl von Informations- und Aufklärungsgesprächen, die Ärzte täglich durchführen, kann nicht erwartet werden, dass der Arzt sich an den Inhalt einzelner Gespräche erinnert.
- Ist die Darstellung des üblicherweise durchgeführtzen Aufklärungsgesprächs des Arztes in sich schlüssig, entspricht die Aufklärung seiner zum fraglichen Zeitpunkt praktizierten „ständigen Übung“ und werden seine Angaben durch die ärztliche Dokumentation im Wesentlichen bestätigt, so ist ihm in der Regel Glauben zu schenken und die Aufklärung als ordnungsgemäß erbracht anzusehen.
Der Arzt muss den Patienten nicht aufklären:
- darüber, dass die Platzierung am Schlüsselbein oder am Hals scheitern kann und dann der Katheter in der Leiste eingeführt wird
- über alle möglichen Zugangswege für die Anlage des Katheters, denn die Aufklärung muss nur „im Großen und Ganzen“ erfolgen
- über die unterschiedlichen Risiken bei der Anlage eines Cava-Katheters im Vergleich zu denen des hier eingesetzten Shaldon-Katheters
Das Gericht konnte auch keinen Behandlungsfehler erkennen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B... entsprach die Anlage des Zentralvenenkatheters (ZVK) auch ohne Ultraschallüberwachung dem Facharztstandard im Jahr 2013.
Praxisanmerkung:
Die Entscheidung betont erneut die eminente Wichtigkeit der Einführung und Beachtung von standard operating procedures durch den Arzt. Hält sich der junge Arzt an die vorgegebenen Prozeduren - hier also die Aufklärungsroutine mittels vorgegebener Aufklärungsbögen - so verhindert er eine Arzthaftung wegen Aufklärungsfehlern.
Patienten auf der anderen Seite kann nur geraten werden, Aufklärungsformulare nur dann zu unterschreiben, wenn sie sich auch wirklich aufgeklärt fühlen. Wer - wie in der klinischen Praxis durchaus häufig anzutreffen - dagegen in wenigen Minuten stichwortartig über das Ob und Wie der geplanten Behandlung unterrichtet und dann - ohne echte Gelegenheit gehabt zu haben, Fragen zu stellen - um Unterzeichnung des Formulars gebeten wird, kann seine Rechte schützen, indem er den Ablauf der Aufklärungsgesprächs auf dem Formular stichwortartig vermerkt: z.B. "Gesprächsdauer: 2 Minuten" "Arzt in Eile". Des weiteren sollte er neben dem Datum auch die Uhrzeit vermerken.