Leistenbruchoperation(24.8.2021) Der behandelnde Arzt hat bei einer Leistenbruchoperation den Patienten mündlich darüber aufzuklären, dass durch den Eingriff im Bruchbereich verlaufende Nerven verletzt und dadurch Leistenschmerzen ausgelöst werden können, die in seltenen Fällen auch andauern können. Spricht der Arzt mit dem Patienten dagegen nur von möglichen „Sensibilitätsstörungen“ oder "Mißempfindungen", so ist dies nicht ausreichend für die Aufklärung über die Risiken einer Leistenbruchoperation (Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 20. Juli 2021 – 4 U 2901/19).

Der Fall:

Streitig war unter anderem, ob der behandlende Arzt die Klägerin vor einer Leistenbruchoperation über die damit verbundenen Risiken von Nervschädigungen korrekt aufgeklärt hatte. An einer eben solchen dauerhaften Nervschädigung litt die Klägerin nach der Operation und machte Arzthaftungsansprüche geltend.

Das Landgericht bejahte u.a. einen Behandlungsfehler und sprach der Klägerin Schmerzensgeld zu, einen Aufklärungsfehler verneinte das Gericht.

Die Klägerin ging in Berufung, machte u.a. einen Aufklärungsfehler geltend und verlangte weiteres Schmerzensgeld.

Die Entscheidung:

Das OLG bejahte einen Aufklärungsfehler: 

Eine Nervschädigung kann je nach betroffenem Nerv ein breites Spektrum möglicher Folgen von einer vorübergehenden Schmerzempfindung, einer kurzfristigen Lähmung oder einem Taubheitsgefühl bis hin zu chronischen, unbeherrschbaren Schmerzen oder andauernder Lähmung nach sich ziehen. Der bloße Hinweis auf „Nervschädigungen“ vermittelt dem Patienten als medizinischem Laien daher grundsätzlich keine allgemeine Vorstellung von den mit dem Eingriff verbundenen Gefahren.

Bei einer Leistenbruchoperation ist der Patient daher darüber aufzuklären, dass durch den Eingriff im Bruchbereich verlaufende Nerven verletzt und dadurch Leistenschmerzen ausgelöst werden können, die in seltenen Fällen andauern können. Dabei genügt die Erwähnung einer „Hautnervenverletzung“ nicht und es ist auch nicht ausreichend, wenn eine mündliche Erläuterung dahingehend erfolgt, dass „Nerven, die im zu operierenden Bereich liegen, verletzt oder durchtrennt werden können und das zu vorübergehenden oder dauernden Ausfällen führen kann“, da es insoweit an dem Hinweis auf die mögliche Schmerzhaftigkeit der Nervläsion fehlt.

Vorliegend ist zwar in dem der Klägerin übergebenen Bogen „Verschluss eines Leisten- oder Schenkelbruchs beim Erwachsenen“ unter anderem auf Folgendes hingewiesen worden: „Durchtrennungen oder Vernarbungen an Hautnerven können zu Taubheitsgefühl im Bereich der Operationsnarbe und zu vorübergehenden, selten auch bleibenden stärkeren Schmerzen in der Leistengegend oder am Damm führen. Durch die Verletzung von Muskelnerven kann es extrem selten zu einer Bauchwandlähmung, zu Empfindungsstörungen am Bein oder einer Beinlähmung kommen; eine weitere Behandlung, gegebenenfalls auch eine erneute Operation, kann dann erforderlich werden.“ Ausweislich des Bogens über das Aufklärungsgespräch (Anlage K8) hat der Beklagte zu 6) zwar ferner bei den allgemeinen Operationsrisiken auf Blutungen, Schmerzen etc. hingewiesen. Bei den spezifischen Risiken hat er jedoch lediglich „Sensibilitätsstörungen“ und dahinter ergänzend “Narbengebiet“ vermerkt. In seiner Anhörung hat er dazu erklärt, er habe aufgrund der in dem Bogen vermerkten handschriftlichen Eintragungen über Sensibilitätsstörungen aufgeklärt. Allerdings vermochte er nicht mehr anzugeben, wie weitgehend er dahingehend eine Aufklärung vorgenommen, insbesondere, ob er diese lediglich auf das Narbengebiet bezogen hat. Ergänzend hat nur er angeführt, er habe „in der Regel“ auch darauf hingewiesen, dass als Folge von entsprechenden Operationen „Missempfindungen entstehen können, die sich durch dumpfe Schmerzen äußern, welche das Bein runterziehen.“

Damit kann zwar dem schriftlichen Aufklärungsbogen, den die Klägerin nach eigenen Angaben gelesen hat, entnommen werden, dass sie auf bleibende Schmerzen im Leistenbereich oder Damm aufgrund von Verletzungen der „Hautnerven“ hingewiesen worden ist. Über eine Verletzung der tieferliegenden Nerven mit dauerhaften starken Schmerzen ist sie jedoch im Gespräch nicht aufgeklärt worden. Denn den Beklagten ist aufgrund der Anhörung des Beklagten zu 6) nicht der Nachweis gelungen, dass im Rahmen des Aufklärungsgespräches ein entsprechender Hinweis erfolgte. Vielmehr ergibt sich aus der Anhörung des Beklagten zu 6) unter Berücksichtigung der stichpunktartigen Vermerke im Aufklärungsbogen (Anlage K8) lediglich, dass dieser Sensibilitätsstörungen erwähnt hat, die jedoch von Nervenschmerzen nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. S...... ausdrücklich zu un

Im Ergebnis hat das OLG die Berufung der Klägerin aber nicht entsprochen, weil hier von einer hypothetischen Einwilligung der Klägerin ausgegangen werden müsse. Das heißt, die Klägerin hätte sich wohl auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung für die Operation entschieden. 

Praxisanmerkung:

Dass die streitgegenständlichen Risiken in dem Aufklärungsformular, das von der Klägerin unterzeichnet wurde, benannt waren, half den behandelnden Ärzten hier nicht. Der Fall verdeutlicht, dass die mündliche Aufklärung maßgeblich ist - Aufklärungsformulare können diese mündliche Aufklärung nur unterstützen. 

Operierende Ärzte sind daher gut beraten, den Patienten - wenn auch nur in groben Zügen - über die wesentlichen Risiken der Leistenbruchoperation mündlich aufzuklären und dies entsprechend handschriftlich in dem Aufklärungsbogen zu dokumentieren. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
Witzlebenstraße 3 - 14057 Berlin - Tel: (030) 536 47 749
E-mail: mail@christmann-law.de