Jungarzt in seiner Praxis(10.11.2021) Ein Vertragsarzt hat keinen Anspruch auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens, wenn er bisher noch keine nachbesetzungsfähige Praxis aufgebaut hat. Denn dann ist eine Nachbesetzung in einem überversorgten Gebiet aus Versorgungsgründen nicht erforderlich. Dabei ist es unbeachtlich, ob der Arzt wegen der Coronakrise die Praxis nicht aufbauen konnte oder ob er dies von vorneherein nicht beabsichtigte (Sozialgericht Marburg, Gerichtsbescheid vom 8.10.2021 – S 12 KA 77/21).

Der Fall:

Im vorliegenden Fall verzichtete der Arzt auf seine kürzlich erworbene Zulassung, um diese an ein MVZ abzugeben. Allerdings hatte er bis dahin kaum Patienten behandelt. Die Fallzahlen des Klägers lagen in den Quartalen IV/19 - I/21 bei insgesamt 15 Fällen. Die Fallzahlen der Fachgruppe beliefen sich dagegen z.B. im Quartal IV/19 auf 213 Fälle. Der Zulassungsausschuss lehnte eine Nachbesetzung ab, weil keine nachbesetzungsfähige Praxis bestehe. 

Die Entscheidung:

Die dagegen gerichtete Klage des Arztes wies das Sozialgericht Marburg als unbegründet zurück:

Der ausscheidende Vertragsarzt muss zum Zeitpunkt der Beendigung seiner Zulassung tatsächlich unter einer bestimmten Anschrift in nennenswertem Umfang (noch) vertragsärztlich tätig gewesen sein (vgl. § 95 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Das setzt den Besitz bzw. Mitbesitz von Praxisräumen, die Ankündigung von Sprechzeiten, die tatsächliche Entfaltung einer ärztlichen Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen sowie das Bestehen der für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im jeweiligen Fachgebiet erforderlichen Praxisinfrastruktur in apparativ-​technischer Hinsicht voraus. Der beklagte Zulassungsausschuss geht zutreffend davon aus, dass eine fortführungsfähige Praxis nicht bestanden hat. Der Kläger hat seit seiner Zulassung keine Praxis aufgebaut. Darauf weisen bereits die geringen Honorarumsätze und Fallzahlen hin. Der Kläger räumt dies letztlich selbst ein. Dabei ist es unerheblich, ob der Kläger nie beabsichtigt hat, den hälftigen Versorgungsauftrag tatsächlich auszufüllen, oder lediglich äußere Umstände wie die Coronakrise einen Praxisaufbau verhindert haben. Maßgeblich für ein Nachbesetzungsverfahren ist allein der Umstand, ob objektiv ein nennenswertes Praxissubstrat vorliegt.

Es liege auch keine Eigentumsverletzung des Klägers in der Ablehnung der Nachbesetzung. Denn ein Interesse an der Verwertung lediglich der Zulassung sei nicht geschützt, weshalb ein Wille bestehen muss, die Praxis zu veräußern, was aber nur bei einer vorhandenen Praxis möglich ist. Eigentumsrechtlich sei nur die Verwertung der Praxis als solche geschützt, nicht die damit verbundene öffentlich-​rechtliche Zulassung. Das Sozialgericht konnte schließlich auch keine Verletzung der Berufsfreiheit des klagenden Arztes erkennen.

Praxisanmerkung:

Nach erfolgter Zulassung ist der junge Vertragsarzt gut beraten, seine Praxis zügig aufzubauen und Patienten in nennenswerter Anzahl zu behandeln. Der Aufbau der Praxis an sich und die Installation der Telematik-Infarstruktur ist nicht ausreichend, um eine nachbesetzungsfähige Praxis zu begründen. Dem jungen Vertragsarzt ist sicherlich zuzugestehen, dass er in der Aufbauphase der Praxis noch nicht die Fallzahlen seiner Fachgruppe erreicht. Gleichwohl sollte er einen Patientenstamm aufgebaut haben, bevor er die Praxis im Wege der Nachbesetzung abgibt. Andernfalls fehlt es an einem nachbesetzungsfähigen Praxissubstrat. An dieser Pflicht zum Aufbau eines Patientenstammes ändert sich auch durch Beschränkungen, die mit der laufenden Coronakrise einhergehen, nichts.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
Witzlebenstraße 3 - 14057 Berlin - Tel: (030) 536 47 749
E-mail: mail@christmann-law.de


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