Geburtshilfe - Kind in Klinik mit Hebamme(18.11.2021) Sobald eine Geburt regelwidrig verläuft, muss die Hebamme einen Gynäkologen hinzuziehen. Dies ist ihre elementare Pflicht - verletzt sie diese Pflicht, so liegt ein grober Behandlungsfehler vor. Blutungen der werdenden Mutter sind insofern ein Alarmzeichen für einen regelwidrigen Zustand. Die Hebamme muss die Unterlage, auf der die Mutter sitzt oder liegt (Vorlage genannt), rechtzeitig auf Blutungen kontrollieren. Wann diese Kontrolle nicht mehr rechtzeitig ist, hat das Oberlandesgericht Rostock in seinem Urtel herausgearbeitet (OLG Rostock, Urteil vom 5. November 2021 – 5 U 119/13).

Zusammenfassung:

Berichtet die Kindesmutter bei ihrem Eintreffen in der Klinik der Hebamme, das sie zuhause Blutungen erlitten hat, so ist die Hebamme verpflichtet, unmittelbar nach dem Anlegen des CTG (das zeitlich Vorrang hat) die Vorlagen auf Blutungen zu kontrollieren und zu schauen, ob lediglich eine (nicht alarmierende) Zeichnungsblutung vorliegt oder ob eine weitergehende Blutung gegeben ist. Liegt dann eine weitergehende Blutung vor, so muss die Hebamme unmittelbar und ohne jeden zeitlichen Verzug einen Facharzt benachrichtigen.

Da die Hebamme dies hier nicht tat, sondern weitere zehn Minuten verstreichen ließ, liegt aus Sicht des OLG Celle ein grober Behandlungsfehler vor. Die Hebamme und die Klinik, für die die Hebamme tätig ist, sind dem klagenden Kind, das wegen Sauerstoffunterversorgung während der Geburt behindert ist, zur Zahlung von einem Schmerzensgeld von 300.000 € sowie zum Schadensersatz verpflichtet. 

Praxisanmerkung:

Oftmals betreut ein erfahrener Facharzt für Gynäkologie die gynäkologische Abteilung mehr oder minder alleine (Assistenzärzte werden regelmäßig nicht allein in den Kreißsaal geschickt), d.h. sie oder er ist allein für die Station und die Kreißsäle zuständig. Der Engpass verschärft sich dienstplanbedingt nach 17 Uhr und vor allem am Wochenende. Finden in der Klinik mehrere von Hebammen begleitete Geburten gleichzeitig statt, so kann der Facharzt nicht alle Geburten beaufsichtigen. Hebammen können also den Facharzt nicht bei jeder Auffälligkeit oder Schwierigkeit hinzuziehen. Daher sind Standards herausgearbeitet worden, wann die Hebamme spätestens den Facharzt hinzuziehen muss. Bei starken Blutungen der Gebärenden muss die Hebamme zuerst die Herztöne des KIndes per CTG feststellen, denn das Wohl des Kindes hat bei der Geburt Priorität. Danach muss sie sofort ärztliche Hilfe herbeirufen. 

Es wäre natürlich für alle Beteiligten der sicherste Weg, wenn die Personalsituation in den Geburtskliniken besser wäre. Dies schon deshalb, weil Fehler in der Geburtshilfe besonders schwerwiegende Folgen für Kind und Mutter haben. Gäbe es mehr Personal, stünden mehr Gynäkologen zur Verfügung und die Hebammen könnten schon früher und möglicherweise auch nur "sicherheitshalber" ärztliche Hilfe herbeirufen. So aber ist auch die besonders haftungssensible Geburtshilfe, wie auch die gesamte stationäre Behandlung - "auf Kante genäht" und wird dies voraussichtlich auch bleiben. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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