Arzt klärt Patient über Operationsrisiken auf - hoffentlich rechtzeitig(15.12.2021) Der Arzt hat den Patienten über die Risiken einer Operation so rechtzeitig aufzuklären, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann. Daher ist eine Einwilligung des Patienten, die durch Unterzeichnung des Aufklärungsformulars unmittelbar nach dem Ende des Aufklärungsgesprächs erfolgt, im Regelfall unwirksam - folglich haftet die Behandlungsseite dem Patienten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 25. November 2021 – 5 U 63/20).

Der Fall:

Streitig war unter anderem, ob der Patient vor der medizinisch indizierten Operation seiner Nasennebenhöhlen von den behandelnden Klinikärzten über die Risiken dieser Behandlung ordnungsgemäß aufgeklärt worden war. Bei der Operation kam es zu einer Hirnhautverletzung, einer Verletzung der vorderen Hirnschlagader und zu einer Durchtrennung des Riechnervs mit schwerwiegenden Folgen für den Patienten.

Das Landgericht hat einen Aufklärungsfehler verneint und die Arzthaftungsklage des Patienten als unbegründet abgewiesen.

Der Patient ging in Berufung und wiederholte seinen Vorwurf: die Klinikärzte hätten ihm direkt nach dem Aufklärungsgespräch das Einwilligungsformular für die Operation zur Unterschrift vorgelegt. Ihm habe daher die Zeit gefehlt, die Reichweite der Folgen der Operation hinreichend zu überdenken. 

Die Entscheidung:

Das Oberlandesgericht Bremen gab der Berufung des Patienten in wesentlichen Teilen statt und stellte fest, dass die Klinikärzte den Patienten nicht ordnungsgemäß aufgeklärt haben, weil sie ihm keine hinreichende Bedenkzeit einräumten:

Die Einwilligung des Klägers, die dieser am 1.11.2013 mit Unterzeichnung des Aufklärungsbogens erteilte, sei unwirksam, weil der Kläger keinerlei Bedenkzeit zwischen Aufklärung über die Risiken des Eingriffs und der Entscheidung über die Einwilligung gemäß § 630e Abs. 2 Nr. 2 BGB hatte. Eine wohlüberlegte Entscheidung könne schon nach dem Wortlaut des § 630e Abs. 2 Nr. 2 BGB nur treffen, wer ausreichend Zeit zum Überlegen hat. Wenn ein Krankenhaus aus organisatorischen Gründen die Übung hat, den Patienten unmittelbar im Anschluss an die Aufklärung zur Unterschrift unter die Einwilligungserklärung zu bewegen, könne in einem solchen Fall nicht von einer wohl überlegten Entscheidung ausgegangen werden (Martis/Winkhart-Martis, MDR 2020, 1421, 1424; OLG Köln, Urteil vom 16. Januar 2019 – I-5 U 29/17 –, Rn. 21, juris). Diese Einwilligung würde vielmehr unter dem Eindruck einer großen Fülle von dem Patienten regelmäßig unbekannten und schwer verständlichen Informationen und in einer persönlich schwierigen Situation abgegeben (OLG Köln, a.a.O.).

So liege der Fall hier. Unstreitig habe der Kläger unmittelbar nach dem Aufklärungsgespräch am 1.11.2013 über die teils erheblichen Risiken, die mit der Operation verbunden sind, auf Bitten der Zeugin A. die Einverständniserklärung betreffend die streitgegenständliche Operation unterschrieben und damit nicht lediglich einen Nachweis über das stattgehabte Aufklärungsgespräch unterzeichnet, sondern seine Einwilligungserklärung zum streitgegenständlichen Eingriff erteilt. Unbeachtlich sei insoweit, ob die Zeugin den Kläger zur Unterschrift gedrängt hat oder ob der Kläger bereits drei Tage zuvor mit dem Zeugen Prof. Dr. N. über den Eingriff gesprochen hatte. Letzteres ist bereits deshalb unbeachtlich, da Prof. Dr. N. unstreitig keine Risikoaufklärung durchgeführt hatte. Entscheidend sei vielmehr, dass dem Kläger die bereits nach dem Wortlaut des § 630e Abs. 2 Nr. 2 BGB vorgesehene (Wohl-) Überlegungszeit nicht eingeräumt wurde. Daher ist die Einwilligung aus Sicht des OLG Bremen unwirksam.

Update:

Der BGH hat das Urteil des OLG Bremen am 20.12.2022 aufgehoben

Praxisanmerkung:

Die Entscheidung fügt sich in die herrschende Rechtsprechung ein. Es ist tatsächlich schwierig, die Vielzahl von Informationen, die ein Patient bei einem Aufklärungsgespräch erhält, sogleich zu verarbeiten und zu überdenken. Je schwerwiegender der Eingriff ist und je mehr Komplikationen zu berücksichtigen sind desto schwerer fällt es dem Patienten, die Fülle an Informationen zu erfassen. Deshalb ist eine hinreichende Bedenkzeit erforderlich. Feste Vorgaben für die Länge der Bedenkzeit gibt es allerdings nicht.

Es ist daher für die Klinik und die Behandlerseite der sicherste Weg, wenn der aufklärende Arzt das Aufklärungs- und Einwilligungsformular dem Patienten übergibt und ihm dann Zeit gibt, dieses Formular noch einmal durchzulesen und zu überdenken. Dabei gilt: Je schwerwiegender der Eingriff, desto mehr Zeit sollte dem Patienten eingeräumt werden. Dieses Vorgehen sollte als Standard Operating procedure installiert werden und sicherheitshalber als schriftliche Dienstanweisung an alle behandlenden Ärzte ausgegeben werden. 

Dem Patienten ist zu raten, immer auf eine Bedenkzeit zu bestehen und sich nicht drängen zu lassen. Des weiteren ist ihm zu raten, seine Unterschrift neben dem Datum auch mit einer Angabe der Uhrzeit zu versehen. Es ist auch hilfreich, wenn der Patient des weiteren die Dauer des Aufklärungsgespräches vermerkt. Es kommt nämlich durchaus vor, dass diese Gespräche doch recht kurz ausfallen - hat der Patient die Zeitdauer des Aufklärungsgespräöches vermerkt, kann er auch dessen Dauer beweisen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
Vertretung und Beratung im Medizinrecht und Arztrecht
Witzlebenstraße 3 - 14057 Berlin - Tel: (030) 536 47 749
E-mail: mail@christmann-law.de