Puls Monitor im Krankenhaus(6.5.2022) Ein Aufklärungsfehler über Risiken führt dann nicht zu einer Arzthaftung, wenn sich der Fehler nicht ausgewirkt hat bzw. wenn sich gerade das Risiko verwirklicht hat, über das nicht aufgeklärt wurde (Oberlandesgericht Dresden, Beschluss vom 16. Februar 2022 – 4 U 1481/21).

Zusammenfassung:

Klärt ein Arzt den Patienten nicht über ein bestehendes Risiko (hier: Schädigung einer implantierten Spenderniere als mögliche Folge einer Herzoperation) nicht auf, so führt dies nur dann zu einer Arzthaftung wegen fehlerhafter Aufklärung, wenn sich eben dieses nicht besprochene Risiko einer operationsbedingten Schädigung verwirklicht hat (wofür der Patient die Beweislast trägt). Im vorliegenden Fall war dies zu verneinen, weil der Verlust der Niere laut medizinischen Sachverständigen nicht auf der Herzoperation beruhte, sondern schicksalshaft war, d.h. dem Umstand geschuldet, dass es sich bei der Spenderniere um eine bereits im Jahr 1987 implantierte Kadaver – Niere gehandelt hat.

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.

2. Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von drei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.

3. Der auf Dienstag, 01.03.2022 bestimmte Termin zur mündlichen Verhandlung wird aufgehoben.

4. Es ist beabsichtigt, den Gegenstandswert für das Berufungsverfahren auf 61.000,00 € festzusetzen.

Gründe

I.

Der Kläger verlangt aus übergegangenem Recht als Alleinerbe seiner nach Klageerhebung verstorbenen Ehefrau U...... U...... (im Folgenden: Frau U......) von der Beklagten Ersatz materieller und immaterieller Schäden wegen behaupteter Aufklärungs- und Behandlungsfehler im Hause der Beklagten.

Frau U...... befand sich im Zeitraum 2015/2016 mehrfach im Hause der Beklagten zur Behandlung wegen Vorhofflimmerns, wo zwischen dem 21. und 24.09.2015 ein LAA-​Verschluss mittels Implantierung eines Occluders vorgenommen wurde. Nach der Entlassung stellte sich bei der Patientin Atemnot ein, was zur erneuten Aufnahme im Haus der Beklagten am 27.10.2015 führte. Hierbei wurde ein hämorrhagischer Perikarderguss (Herzbeutelerguss) festgestellt und am Folgetag der als mutmaßliche Ursache identifizierte Occluder sowie das Herzvorhofohr operativ entfernt. Am 26.11.2015 wurde die Patientin in die Häuslichkeit entlassen. Danach befand Frau U...... sich wegen eines akuten Nierenversagens zwischen dem 10.01.2016 und dem 04.02.2016 im Elblandklinikum Radebeul.

Die Klägerseite hat der Beklagten Fehler beim Einsatz des Occluders, eine unterlassene Überprüfung des Sitzes dieses Filters mit anschließender Dislokation und Nichterkennung derselben, eine unzureichende Nierenversorgung beim Zweitaufenthalt und eine unzureichende Aufklärung sowohl über die Risiken des Eingriffs als auch über mögliche Behandlungsalternativen vorgeworfen.

Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens des Prof. S...... nebst dessen mündlicher Anhörung und Vernehmung des seinerzeit aufklärenden Arztes als Zeugen die Klage abgewiesen.

Es hat sowohl Behandlungs- als auch Aufklärungsfehler verneint.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Mit der Berufung verlangt der Kläger Schmerzensgeld in der ursprünglich geforderten Höhe, begehrt indessen weder künftige Zahlungen noch die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten und beschränkt die Rente wegen monatlich vermehrter Bedürfnisse auf den Zeitraum vom 01.01.2016 bis zum 31.12.2019.

Er rügt das landgerichtliche Urteil wie folgt:

Zu Unrecht habe das Landgericht Aufklärungsfehler verneint. Sowohl eine hinreichende Risikoaufklärung als auch eine hinreichende Aufklärung über die Behandlungsalternativen habe nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht stattgefunden. Aufgrund der Nierenschwäche der Patientin sei das ohnehin bereits hohe Risiko eines Perikardergusses um ein Vielfaches erhöht gewesen. Hierüber sei die Klägerin nicht aufgeklärt worden. Über tatsächlich bestehende Behandlungsalternativen sei Frau U...... nicht aufgeklärt worden. Die erfolgreiche Entfernung des Vorhofohrs im Nachgang belege, dass auch dies eine Behandlungsalternative gewesen wäre. Dem erstinstanzlich erhobenen Einwand der hypothetischen Einwilligung (Bl. 17) stellt der Kläger erstmalig in zweiter Instanz die Behauptung eines Entscheidungskonfliktes entgegen: Gerade angesichts der bestehenden erheblich erhöhten Risiken hätte sich Frau U...... bei ordnungsgemäßer Aufklärung gegen den Einsatz des Occluders entschieden (Bl. 117). Er bietet hierzu zum Beweis die informatorische Anhörung des Klägers und des Sohnes der Frau U...... an.

Der Kläger wiederholt seinen erstinstanzlichen Einwand, eine Indikation für den Eingriff sei angesichts der Nierengefährdung nicht gegeben gewesen. Auch sei der Sitz des Occluders nicht ordnungsgemäß gewesen. Dies sei auch nicht kontrolliert worden.

Falsch sei die Schlussfolgerung des Sachverständigen, das Nierenversagen stehe mit der Behandlung im Hause der Beklagten in keinem Zusammenhang. Hierfür bietet er zum Beweis die erneute Anhörung des Sachverständigen und die Einholung eines Obergutachtens an (Bl. 119).

Der Kläger beantragt,

1.

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein Schmerzensgeld, das in das Ermessen des Gerichts eingestellt wird, keineswegs aber den Betrag von 25.000,00 € unterschreiten sollte, nebst 5 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2.

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger seit dem 01.01.2016 bis zum 31.12.2019 monatlich vermehrte Bedürfnisse in Höhe von 750,00 €, insgesamt 36.000,00 € nebst 5 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3.

die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen.

hilfsweise:

die Sache wird zur weiteren Beweisaufnahme an das Landgericht Dresden zurückverwiesen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

II.

Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung des Klägers bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

1.

Zu Recht hat das Landgericht sachverständig gestützt Behandlungsfehler während und unmittelbar nach der Operation am 23.09.2015 verneint. Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten auf Seite 4 ausführlich die Einzelschritte des Eingriffes geschildert, wonach der Eingriff mit wenig Kontrastmittel erfolgte, eine Verschlussscheibe gewählt wurde, die einerseits benötigt wurde, um das Herzohr zu verschließen, andererseits geringgradig gewählt wurde, gerade um Perforationen zu vermeiden. Im Laufe des Eingriffs und danach wurde per Echokardiographiekontrolle sichergestellt, dass der Verschluss hinreichend war, die Position des Occluders stabil und Anhaltspunkte für eine Perforation nicht vorhanden waren. Auch Abends nach dem Eingriff seien eine Echokardiographiekontrolle nochmals vorgenommen und eine Perforation ausgeschlossen worden. Auch das klinische Bild habe keinerlei Anhaltspunkte für eine größere Perforation oder einen Erguss gezeigt. Ein kleinerer Reizerguss im Perikard werde nach Interventionen am Herzen indessen häufig beobachtet und sei unproblematisch. Dies hat der Sachverständige in seiner mündlichen Anhörung so auch nochmals bestätigt (Bl. 62 Rs., S. 4 des Protokolls). In der Berufungsbegründung hält der Kläger diesen Ausführungen des Sachverständigen lediglich entgegen, es sei nicht ersichtlich, dass der Sachverständige sich mit den Ultraschallbildern beschäftigt habe und ein Beleg für eine Fehlbehandlung sei, dass Frau U...... unmittelbar postoperativ über Schmerzen geklagt habe.

Der Vorwurf unzureichender Beschäftigung des Sachverständigen mit den Behandlungsunterlagen geht fehl, denn er ist unsubstantiiert und es zeigt sich auch kein Anhalt für diese Mutmaßung. Der Detailreichtum der Ausführungen des Sachverständigen belegt das Gegenteil.

2.

Gleiches gilt für die postoperative Kontrolle. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass am Abend des Eingriffes nochmals kontrolliert worden sei und kein Anhaltspunkt für eine Dislokation, eine Insuffizienz oder ein Perikarderguss bestanden habe. Die Entlassung am Folgetag sei standardgerecht erfolgt, da es Ziel bei einem solchen Eingriff sei, den Patienten schnellstmöglichst zu mobilisieren. Dem vom Kläger behaupteten „Zusammenbruch“ hat er „Schwindel der Klägerin beim Aufrichten“ entgegengesetzt (Bl. 41) und erläutert, dies sei mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Bettruhe nach dem Eingriff zurückzuführen. Dies wird auch durch die Pflegedokumentation bestätigt, in der es unter dem 24.09. heißt: „Patientin gibt Schwindel an „Bett gelegt“, RR-​stabil“ Für den gleichen Tag, eine Stunde vorher, ist vermerkt, dass die Patientin enttäuscht über die Entlassung sei und ihren Ehemann informiert habe. Es sei Hilfestellung beim Anziehen erfolgt.

Aus der Dokumentation ergibt sich keinerlei Hinweis auf einen vom Kläger so geschilderten „Zusammenbruch“ der Frau U....... Für eine postoperative Sorgfaltspflichtverletzung durch Entlassung in die Häuslichkeit gibt es keinen Anhalt.

3.

Ebenfalls zu Unrecht greift der Kläger die Feststellung des Landgerichts an, der Einsatz des Occluders sei trotz der Vorerkrankungen von Frau U...... nicht behandlungsfehlerhaft gewesen. Der Kläger will aus der Formulierung des Sachverständigen in seiner mündlichen Anhörung, die vorausgegangene Nierentransplantation sei „jedenfalls keine absolute Kontraindikation für den Eingriff“, ableiten, dass auch aus Sicht des Sachverständigen die Indikation fragwürdig gewesen sei. Dies trifft nicht zu. Im Kontext aller Ausführungen des Sachverständigen, insbesondere in seinem schriftlichen Gutachten zeigt sich, dass Frau U...... mehrere gravierende gesundheitliche Probleme hatte, die gegeneinander abzuwägen waren. So mag zwar richtig sein, dass die vorgeschädigte Niere den Eingriff riskanter machte, der Sachverständige hat aber nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund des Vorhofflimmerns der Patientin im Zusammenhang mit deren fortgeschrittenem Alter und dem Zustand nach Schlaganfall eine dringende Indikation für eine Langzeitantikoagulation bestanden habe (S. 3 des schriftlichen Gutachtens). Wegen der Nierenschwäche der Klägerin hätten aber weder die alten noch die neuen oralen Antikoagulantien ohne Blutungsgefahr für die Klägerin eingesetzt werden können. Der Eingriff sei vor diesem Hintergrund auch in Ansehung der hochgradigen Nierenproblematik indiziert gewesen, um das Risiko für einen erneuten Schlaganfall abzusenken. In der mündlichen Verhandlung hat er dann noch einmal ausgeführt, dass in Abwägung aller gesundheitlicher Risiken der Klägerin die Wahl eines Occluders aus seiner Sicht eine „sehr gute Lösung“ gewesen sei. Damit lag bei der Klägerin die Situation vor, dass keine Behandlungsalternative für Frau U...... mit einem geringeren Risiko verbunden gewesen wäre. Soweit der Kläger nun meint, die nachfolgende Operation im Oktober zeige, dass Frau U...... schließlich auch gut ohne den Occluder hätte auskommen können, weil dann das Vorhofohr einfach wegoperiert worden sei, so hat der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten erläutert, dass diese Herzvorhofohroperation mit einer Eröffnung des Brustkorbes unter Narkose einherging, weshalb ein solches Vorgehen heutzutage als „obsolet“ gelte (S. 7 unten des Gutachtens, Bl. 44). Für die Patientengruppe mit vermehrtem Schlaganfallrisiko bei gleichzeitig vermehrtem Blutungsrisiko (besonders Patienten mit über 75 Jahren Lebensalter, Diabetis mellitus, einem früheren Schlaganfallereignis, Bluthochdruck, weiblichem Geschlecht und Vorhofflimmern (so bei Frau U......) werde hier allein die interventionelle Schlaganfallprophylaxe mit Verschlusssystemen empfohlen.

4.

Auch der Vorwurf mangelnder Risikoaufklärung geht fehl.

Ob über eine Gefährdung der Niere ordnungsgemäß aufgeklärt worden ist, kann vorliegend dahinstehen, weil sich das Risiko einer Nierenschädigung nach den insoweit nicht angegriffenen Ausführungen des Gerichtssachverständigen Dr. S...... gerade nicht verwirklicht hat. Gemäß § 630 e Abs. 1 Satz 2 BGB hat der Behandelnde den Patienten unter anderem über die zu erwartenden Folgen und Risiken der Maßnahme aufzuklären. Bei den Risiken handelt es sich sowohl um allgemeine Risiken als auch um dem Eingriff spezifisch anhaftende Risiken. Über sie ist aufzuklären, soweit sie nach dem Erfahrungsstand zum Zeitpunkt der Behandlung bekannt sind und nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegen (Grüneberg/Weidenkaff, BGB, 81. Aufl., § 630 e Rz. 3 m. zahlr. w. Nachw.).

Nach den Ausführungen des Gerichtssachverständigen in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht ist zwar davon auszugehen, dass mit dem Eingriff auch eine Gefährdung der Niere einhergeht (“... eine Situation, die man berücksichtigen muss.“). Ein etwaiger diesbezüglicher Aufklärungsfehler führt aber nur dann zur Haftung für einen später eingetretenen Schaden, wenn der Patient, wenn auch nur mit dem Beweismaß des § 287 ZPO, den Nachweis führt, dass sich dasjenige Risiko, über das nicht aufgeklärt wurde auch verwirklicht hat, mithin der Schaden auf den nicht von der Einwilligung gedeckten und somit rechtswidrigen Teil einer Operation zurückzuführen ist (statt aller: Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl., Rz. A2113 m.w.N.). Ein solcher Nachweis ist dem Kläger nicht gelungen. Der Sachverständige Prof. S...... hat in seinem schriftlichen Gutachten (dort Seite 9, Bl. 46 d. A.) wörtlich ausgeführt: „Von einer Schädigung der Transplantatniere sowohl durch die Implantation als auch durch die Herzoperation kann deshalb nicht ausgegangen werden.“ ... „Der Krankheitsverlauf und insbesondere das Nierentransplantatversagen war nach der Behandlung am 27./28.10.2015 schicksalhaft und den vorliegenden Begleiterkrankungen sowie der Natur des Transplantates (Kadaverniere, Implantationsdatum 1987) geschuldet.“ Er hat dies auch im Einzelnen mit den postoperativen Nierenwerten begründet, die nach der Operation denjenigen vor der Operation entsprachen.

Dem hat der Kläger in zweiter Instanz nichts entgegengehalten.

Aus den gleichen Gründen kommt auch eine Haftung wegen behaupteter fehlerhafter Aufklärung über Behandlungsalternativen nicht in Betracht. Hinzu kommt allerdings, dass solche aufklärungspflichtigen Behandlungsalternativen vorliegend nicht bestanden.

Eine medikamentöse Therapie war gerade wegen der Vorerkrankungen von Frau U...... nicht möglich, wäre sie doch mit einer erhöhten und potentiell lebensbedrohlichen Blutungsgefahr für sie verbunden gewesen (S. 3 des Gutachtens Prof. S......). Eine sofortige Vorhofohrentfernung wäre ebenfalls mit erheblich größeren Risiken verbunden gewesen, denn hier hätte der ganze Brustkorb eröffnet werden müssen, während die Implantation des Occluders deutlich geringer invasiv möglich ist. Aus diesem Grunde hat der Sachverständige diese Methode auch als „obsolet“ bezeichnet (S. 7 des Gutachtens). Auf eine veraltete Behandlungsmethode muss der Arzt aber nicht hinweisen (Senatsbeschluss vom 28.01.2021 - 4 U 1775/20 Rz. 7 - juris).

Vor diesem Hintergrund kommt es auf den - vom Kläger erstmalig in zweiter Instanz - behaupteten Entscheidungskonflikt nicht an.

Angesichts all dessen rät der Senat zu einer Berufungsrücknahme, die zwei Gerichtsgebühren spart.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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