Wahlarztleistungen (18.5.2022) Nachdem der Bundesgerichtshof Honorarärzten die Abrechnung von Wahlleistungen im Jahr 2014 verboten hat, begannen die Kliniken, externe Ärzte in Teilzeit anzustellen und ihnen die Liquidationsrechte eines Wahlarztes einzuräumen. Das Amtsgericht Bielefeld hatte nun über eine private Abrechnung einer niedergelassenen Kassenärztin zu entscheiden, die 4 Stunden in einer Klinik angestellt war und der von der Klinik ein Liquidationsrecht eingeräumt worden war (AG Bielefeld, Urteil vom 20.5.2021 - 406 C 131/20). Das Gericht sprach der Ärztin das geforderte Wahlleistungsentgelt von rund 2.000 € zu. Die Entscheidung ist kritisch zu hinterfragen.

Problemstellung:

Die Kliniken leiden unter dem Ärztemangel und der Kostenlast. Sie können oft nicht genügend Ärzte anstellen, um die gewwünschten medizinischen Fachbereiche abzudecken und die entsprechenden medizinischen Leistungen anzubieten bzw. vorzuhalten. Daher greifen sie auf externe Ärzte zurück. Für externe Ärzte lohnt sich die Zusammenarbeit nur, wenn sie dafür entsprechend entlohnt werden. Den Kliniken fehlt aber das Geld, diese externen Ärzte angemessen zu bezahlen. Zuerst haben die Kliniken daher mit den externen Ärzten Honorararztverträge geschlossen, die es den externen Ärzten gestattete, die Klinikpatienten in der Klinik zu behandeln und dann privat mit den Klinikpatienten als Wahlarztleistungen (vulgo: Chefarztbehandlung) abzurechnen. Der Bundesgerichtshof hat dem im Jahr 2014 einen Riegel vorgeschoben (BGH, Urteil vom 16.10.2014 – III ZR 85/14). In Reaktion auf dieses Urteil stellen die Kliniken nun die Ärzte geringfügig an und räumen ihnen Liquidationsrechte ein, so dass diese dann mit den Patienten Wahlleistungsvereinbarungen schließen und nach GOÄ privat abrechnen können. 

Der Fall:

Im vorliegenden Fall ist eine Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie in eigener Praxis niedergelassen. Sie schloss mit der Klinik A einen Anstellungsvertrag. In diesem verpflichtet sie sich, vier Stunden in der Woche ärztlich in der Klinik tätig zu sein. Die Klinik räumte der Ärztin ein Recht zur privaten Liquidation ein. Leistungsfunktionen hat die Ärztin nicht inne. 

Die Ärztin (und spätere Klägerin) behandelte die Patientin (die spätere Beklagte) zuerst in ihrer Praxis. Die Klägerin stellte die Indikation für eine Operation. Diese sollte in der Klinik A durchgeführt werden. Die Klägerin legte der Beklagten eine Wahlleistungsvereinbarung zur Unterschrift vor, wonach diese für die Operation ein Entgelt nach GOÄ zu zahlen habe. Die Beklagte unterzeichnete diese Wahlleistungsvereinbarung und ließ sich in der Klinik A von der Klägerin operieren. Die Operation wurde beanstandungsfrei ausgeführt.

Die Beklagte verweigert nun die Bezahlung. Sie ist der Meinung, nur leitende Ärzte könnten Wahlleistungen abrechnen. Die Klägerin sei auch nicht in den stationären Ablauf der Klinik A eingebunden. Die ganze Konstruktion diene nur der Umgehung gesetzlicher Vorschriften. Überdies verstoße das Vorgehen gegen das Verbot der Zuweisung gegen Entgelt, § 31 MBO-Ä.  

Die Entscheidung:

Das Amtsgericht Bielefeld sprach der klagenden Ärztin das geforderte Entgelt nach § 630 a BGB zu. 

Die Anforderungen des § 17 Absatz 3 KHEntG seien erfüllt: Die Ärztin sei in der Klinik angestellt und habe von der Klinik ein Liquidationsrecht eingeräumt erhalten. Dieses Liquidationsrecht werde üblicherweise nur entsprechend qualifizierten Ärzten erteilt. Das Vertrauen der Patienten auf die besondere Erfahrung und Kompetenz des (Wahl-)Arztes werde dadurch geschützt, dass eben nur angestellte und beamtete Ärzte mit eingeräumten Liquidationsrecht als Wahlarzt tätig werden können. Weitergehende Anforderungen, wie etwa eine Mindeststundenzahl oder eine Leitungsfunktion, bestünden nicht.

Auch einen Verstoß gegen das Verbot der Zuweisung gegen Entgelt sieht das Amtsgericht nicht.

Praxisanmerkung:

Der Bundesgerichtshof hat 2014 klar gestellt: Der Patient schließt eine Wahlarztvereinbarung im Vertrauen auf die besonderen Erfahrungen und die herausgehobene medizinische Kompetenz des von ihm ausgewählten Arztes ("Chefarztbehandlung"), die er sich in Sorge um seine Gesundheit gegen Bezahlung einer gesonderten Vergütung sichern will. Dem Patienten geht es also darum, sich über den Facharztstandard hinaus, der bei der Erbringung allgemeiner Krankenhausleistungen ohnehin geschuldet ist, die Leistungen hochqualifizierter Spezialisten "hinzuzukaufen". Diese, ein zusätzliches Entgelt erst rechtfertigende herausgehobene ärztliche Qualifikation ("Chefarztstandard") kann nicht bei allen Honorarärzten von vornherein gleichsam "automatisch" angenommen werden. In diesem Zusammenhang wird in der Literatur zu Recht darauf hingewiesen, dass die Berechnung eines gesonderten Entgelts für wahlärztliche Leistungen grundsätzlich in Frage gestellt würde, wenn die Leistungen gewissermaßen "jeder" Honorararzt berechnen könnte, und zwar auch dann, wenn er nur den bei allgemeinen Krankenhausleistungen geforderten Facharztstandard leistet (BGH, Urteil vom 16.10.2014 – III ZR 85/14 m.w.N.).

Ob die Klägerin die vom BGH geforderte "herausgehobene ärztliche Qualifikation ("Chefarztstandard")" besitzt, prüft das Amtsgericht nicht. Es ist aber davon auszugehen, dass eine niedergelassene Orthopädin diese besondere Kompetenz aber gerade nicht besitzt. Denn es ist nichts dafür dargetan, dass die Klägerin etwa besondere Operationskenntnisse besitzt, Lehrtätigkeiten innehat, Fachbeiträge veröffentlicht, hohe jährliche Operationszahlen erbringt oder etwa medizinische Fachgremien leitet. Es ist also nicht erkennbar, inwiefern sie eine Leistung erbringt, die "über dem Facharztstandard liegt" (BGH a.a.O.). Das Amtsgericht läßt sich hier von der Einräumung des Liquidationsrechtes für die Klägerin blenden und versäumt zu prüfen, ob sich die Klägerin ein Liquidationsrecht durch besondere fachliche Leistungen und Kompetenzen verdient hat. Insofern ist die Entscheidung des AG Bielefeld bereits deshalb inhaltlich falsch. Die Klage hätte schon aus diesem Grund als unbegründet abgewiesen werden müssen.

Das Amtsgericht beschäftigt sich auch nicht mit der Frage, ob eine externe Ärztin, die sich lediglich verpflichtet, vier Stunden in der Woche in einer Klinik tätig zu sein, "angestellt" ist im Sinne des § 17 Absatz 3 KHEntG. Eine Anstellung ist dem Wortsinn nach eine feste und auskömmliche Beschäftigung. Regelmäßig ist die Anstellung die Haupttätigkeit eines Arbeitnehmers. Eine Anstellung erfordert dem Wortsinn nach auch ein Arbeitsverhältnis, das heißt eine weisungsgebundene Tätigkeit, bei der der Arbeitnehmer in den Ablauf des Betriebs des Arbeitgebers eingebunden ist. Die klagende Ärztin hat dagegen eine eigene Praxis. Sie hält sich laut ihrem Dienstvertrag lediglich vier Stunden pro Woche in der Klinik A auf. Wer nur vier Stunden die Woche anwesend ist, ist selbstverständlich in keinen Dienstplan und in keine stationären Arbeitsabläufe eingebunden. Man kann hier nicht von einer Arbeitnehmerin reden, vielmehr ist die Klägerin nach eigenem Gutdünken als eine Art freie Ärztin in der Klinik tätig, um dort den Operationssaal nach Absprache zu nutzen. Bei einer vierstündigen Tätigkeit kann man auch nicht von einer auskömmlichen Tätigkeit oder gar von einer Haupttätigkeit sprechen, zumal die Klägerin ja eine eigene Praxis besitzt, die ihre Hauptarbeitsleistung bindet. 

Die von der Klägerin und der mit ihr kooperierenden Klinik gewählte Konstruktion ist lediglich für die Behandlungsseite von Vorteil. Der gesetzlich versicherte Patient dagegen erhält lediglich eine Standardbehandlung, für die er aber aus eigener Tasche bezahlen muss. Dies ist mit dem von § 17 Abs. 3 Krankenhausentgeltgesetz gewollten Schutz des Patienten nicht vereinbar.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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