Honorarrückforderung gegen den Arzt(11.8.2022) Hat eine Kassenärztliche Vereinigung für ein bestimmtes Quartal (hier wegen Überschreitung von Zeitprofilen) einen Horarrückforderungsbescheid erlassen - ohne sich dabei weitere Plausibilitätsprüfungen vorzubehalten - und erläßt sie dann nach weiterer Plausibilitätsprüfungen (dann wegen zu vieler gemeinsam mit einer Praxisgemeinschaft behandelter Patienten) einen weiteren Honorarrückforderungsbescheid, so ist dieser zweite Bescheid unwirksam, weil die KV ihr Prüfungsrecht durch den Erlass des ersten vorbehaltlosen Rückforderungsbescheides verbraucht hat .(Sozialgericht Marburg, Gerichtsbescheid vom 1. August 2022 – S 18 KA 52/16).

Der Fall:

Der Kläger ist als niedergelassener hausärztlicher Internist in eigener Praxis tätig.

Für die Quartale I 2006 bis I 2007 stellte die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Anfang 2008 bei einer Plausibilitätsprüfung eine Überschreitung der Zeitprofile fest. Mit anderen Worten stellte sie fest, dass der Arzt mehr Leistungen erbracht hatte als er an einem Arbeitstag beziehungsweise in einem Quartal erbringen kann. Die KV forderte deshalb rund 5.000 € von dem Arzt zurück, ohne sich aber weitere Plausibilitätsprüfungen vorzubehalten.

Der Arzt widersprach diesem Bescheid. 

Ende 2010 führte die kassenärztliche Vereinigung eine weitere Plausibilitätsprüfung für das Quartal IV 2005 bis IV 2007 bezüglich möglicher Patientenidentitäten durch. Mit anderen Worten prüfte die KV, ob der Arzt zu viele Patienten gemeinsam mit einer im selben Haus residierenden Praxisgemeinschaft behandelt habe. Die KV stellte Patientenidentitäten von jeweils rund 50 % in den Quartalen IV 2005 bis IV 2007 fest und forderte deshalb zuletzt rund 10.000 € von dem Arzt zurück.

Auch gegen diesen Bescheid legte der Arzt Widerspruch ein.

Die KV wies beide Widersprüche zurück.

Der Arzt klagte deshalb gegen die Honorarrückforderungen.

Die Entscheidung:

Das Sozialgericht stellte unter anderem fest, dass die Honorarrückforderung für das Quartal I 2006 bis I 2007 wegen patientenbezogener Implausibilität (zu viele gemeinsam behandelte Patienten) rechtswidrig sei und daher aufzuheben ist.

Zuersteinmal stellte das Gericht fest, dass im SGB V getroffenen Regeln zu Plausibilitätsprüfung (jetzt § 106d Absatz 2 SGB V) die zeitbezogene und auch die patientenbezogene Plausibilitätsprüfung erfassen. Des weiteren seien beide Prüfungen Teil eines einheitlichen, auf dasselbe Ziel gerichteten Verfahrens.

Die Kassenärztliche Vereinigung habe hier ihr Prüfungsrecht für eine weitere Plausibilitätsprüfung verbraucht.  Wenn die KV in dem zuvor ergangenen Honorarrückforderungsbescheid aufgrund einer Plausibilitätsprüfung weder einen neuen Vorläufigkeitsvorbehalt aufnimmt noch darauf hinweist, dass weitere Plausibilitätsprüfungen erfolgen werden, so verliere sie ihr Recht auf eine weitere Plausibilitätsprüfung. Denn einer weiteren Prüfung stehe dann der Grundsatz des Vertrauensschutzes entgegen, weil der Arzt rundsätzlich darauf vertrauen könne, dass das Verfahren der Plausibilitätsprüfung für die geprüften Quartale insgesamt abgeschlossen ist und keine weiteren Honorarrückforderungen aufgrund von Plausibilitätsprüfungen ergehen werden. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn sich die KV weitere Plausibilitätsprüfungen vorbehalte.

Praxisanmerkung:

Es steht zu befürchten, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen beziehungsweise ihre Prüfungsstellen nunmehr Honorarrückforderungsbescheide standardmäßig mit dem Vorbehalt möglicher weiterer Plausibilitätsprüfungen versehen, um ein solches negatives Ergebnis künftig zu vermeiden. 

Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass der Verbrauch der Prüfungsmöglichkeit aus Gründen des Vertrauensschutzes dem Arzt eine weitere Verteidigungsmöglichkeit bei Plausibilitätsprüfung an die Hand gibt.

Daneben sind folgende weitere Verteidigungsstrategien des Arztes zu prüfen:

  • Abgleich der von der KV vorgelegten Zahlen in den Tages- und Quartalsprofilen mit den eigenen Statistiken – stimmen die Zahlen der KV überhaupt?
  • Hat der Praxisinhaber einen (genehmigten) Assistenten beschäftigt?
  • Lag ein Fall des Job-Scharings vor?
  • Gab es Praxisschließungen in der Umgebung, die eine erhöhte Patientenzahl rechtfertigen?
  • Hat der Vertragsarzt andere Kollegen vertreten?
  • Handelt es sich um Notfallbehandlungen?

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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