Verordnung durch den Arzt(15.2.2023) Ein Regress von über 260.000 €, der lediglich auf Grund fehlender Gegenzeichnung von Medikamentenverordnungen gegen einen ermächtigten Chefarzt angeordnet wird, verstößt gegen das auch im Öffentlichen Recht geltende Gebot von Treu und Glauben, wenn sich der Regress im Einzelfall als rechtsmißbräuchlich darstellt (Sozialgericht Mainz, Urteil vom 7. Dezember 2022 – S 3 KA 14/19).

Der Fall:

Ein Facharzt füt Gynäkologie und Geburtshilfe war in der Vergangenheit als Chefarzt einer Klinik ermächtigt, an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen. Er behandelte Tumorerkrankungen ambulant und stationär mittels Chemotherapeutika.

Die Prüfungsstelle führte auf Antrag einer Krankenkasse eine Wirtschaftlichkeitsprüfung der Verordnungen durch und monierte schließlich, dass der Chefarzt vielfach die Verordnungsblätter der Medikamente nicht persönlich gegengezeichnet und damit das Gebot der persönlichen Leistungserbringung (§ 15 Abs. 1 BMV-Ä) verletzt hätte.

Der Chefarzt wandte dahgegen u.a. ein, dass er seine Patienten ordnungsgemäß selbst behandelte, niemandem ein Schaden entstanden sei, er ein zertifiziertes digitales System zur Organisiation der komplexen Verordnung der Chemotherapeutika genutzt habe mit dem die Abläufe der Medikamentenverordnung verbessert worden seien und ein Regress letztendlich zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Krankenkasse auf Kosten des Chefarztes führen würde. 

Da der Widerspruch des Arztes gegen den angeordneten Regress von über 260.000 € erfolglos blieb, klagte er gegen den Regressbescheid vor dem Sozialgericht Mainz.

Die Entscheidung:

Das Sozialgericht Mainz gab der Klage des Arztes statt und hob den Regressbescheid ganz überwiegend auf.

Zwar stellte das Sozialgericht fest, dass der Chefarzt gegen das strikte Gebot der Unterzeichnung der Verordnung verstoßen habe. Dieses Gebot gelte in allen Fällen. Es stelle sicher, dass ein bestimmter Arzt für die Verordnung die Verantwortung übernimmt. Das Gebot persönlicher Leistungserbringung gelte auch für die Verordnungstätigkeit eines ermächtigten Krankenhausarztes. Mithin bejahte des Sozialgericht einen Regressanspruch. 

Das Gericht gab aber zu Bedenken, dass die Prüfungsstellen bei ihren Entscheidungen auch die Gebote von Treu und Glauben zu berücksichtigen hätten. Dieser allgemeine Grundsatz, der in § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches geregelt ist, gelte auch im Öffentlichen Recht.

Die Durchsetzung bestehender Regressansprüche könne sich nach Abwägung der widerstreitenden Interessen zwischen der antragstellenden Krankenkasse und dem in Anspruch genommenen Arzt im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich darstellen. So läge der Fall hier, weil sich die Durchsetzung des bestehenden Regressanspruchs der Krankenkasse in Höhe von 260.252,98 € betreffend die streitbefangenen Verordnungen ohne eigenhändige Unterschrift nach umfassender Interessenabwägung als ungehörig darstelle. 

Die Interessen der Krankenkasse bewertete das Gericht hier als weit geringer als die Interessen des Arztes. Denn der Arzt habe aus den Verordnung kein Einkommen erzielt. Er stehe außer Frage, dass der Arzt die Medikamente selbst verordnet habe. Sein Verstoß beschränke sich auf die der Arzneimittelanforderung nachgelagerte fehlende Gegenzeichnung der Verordnungsblätter. Eine verbotene Delegation von ärztlichen Leistungen an andere Personen könne hier ausgeschlossen werden. Überdies sei klar, dass die Krankenkasse die Kosten der Verordnung grundsätzlich tragen müsse, da diese eine sachdienliche Verordnung von Standard-Chemotherapeutika an die Patienten beträfe.

Praxisanmerkung:

Auch die Verwendung zertifizierter Software - Verordnungs – Systeme schützt den Arzt nicht vor Regressverfahren. Glücklicherweise konnte der Arzt hier einen Regress letztendlich vermeiden. Ein solcher Regress wäre, da ist dem Sozialgericht zuzustimmen, im Ergebnis unbefriedigend und treuwidrig gewesen, da an der persönlichen Leistungserbringung durch den Arzt letztlich kein Zweifel bestand. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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