Krankenwagen mit Rettungssanitätern(29.3.2023) Klagt ein Patient über atemabhängige Brustschmerzen und Atembeschwerden, so muss ein Rettungssanitäter den Patienten einer ärztlichen Behandlung zuführen. Die primäre Aufgabe der Notfallrettung ist die Erstversorgung – und zwar nur soweit ein Notarzt noch nicht anwesend ist – und die Beförderung des Patienten. Führt der Sanitäter den Patienten nicht einem Arzt zu, sondern kommt er aus falsch verstandener Kompetenz zu dem Ergebnis, dass kein akuter Behandlungsbedarf vorliegt, so handelt er (grob) behandlungsfehlerhaft und ist, da er im ärztlichen Kompetenzbereich tätig wird, nach arzthaftungsrechtlichen Haftungsmaßstäben für den späteren Schlaganfall verantwortlich (Landgericht Berlin, Urteil vom 7.5.2015 - 86 O 218/13).

Tenor:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld In Höhe von 20.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 22.2.2013 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche nach Schluss der mündlichen Verhandlung entstehenden materiellen und immateriellen Schäden aufgrund der durch die verzögerte Behandlung infolge des Einsatzes der Rettungssanitäter der Berliner Feuerwehr am 1.9.2010 entstandenen Herzinsuffizienz zu ersetzen, soweit die Forderungen nicht auf Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 1/3 und der Beklagte 2/3 zu tragen.

6. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 %der aufgrund der Ziffer 1und 5 des Tenors zu vollstreckenden Beträge vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 %des zu vollstreckenden Betrags aufgrund der Ziffer 5 des Tenors abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schmerzensgeldansprüche des Klägers und die Feststellung zur Verpflichtung zum Ersatz weiterer materieller und immaterieller Schäden wegen einer behaupteten Amtspflichtverletzung bei einem Rettungseinsatz.

Am 1.9.2010 alarmierte der Kläger die Berliner Feuerwehr um 6.52 Uhr wegen Atembeschwerden und Schmerzen im Brustbereich. Die beiden Rettungssanitäter, die Zeugen &■■■■ und ■■■, die um 6.58 Uhr eintrafen, hielten im Einsatzbogen fest:

"Pat. klagt über Atem- und Bewegungsabhängigen Intercostalschmerz.

Pulmo bds. gut gelüftet und frei von RGs.

Pat. an Hausarzt verwiesen."

Nach der Feststellung der Pulsfrequenz, des Blutdrucks sowie der Sauerstoffsättigung ließen die Rettungssanitäter den Kläger in dessen Wohnung und empfahlen den Besuch bei der gegenüber wohnenden Hausärztin. 

Diese rief aus der Praxis einen Notarztwagen, mit dem der dort eingetroffene Kläger zwischen 10.00 Uhr und 11.00 Uhr in das ■■ Klinikum gebracht wurde. Dort wurde unter anderem ein akuter posterolateraler Infarkt bei koronarer Zweigefäßerkrankung diagnostiziert sowie peri-/postinterventionell ein Apoplex (Schlaganfall) des linken Mediastromgebietes mit motorischer Aphasie, rechtsseitiger, zentraler Facialisparese. 

In dem Bericht der Klinik vom 14.9.2010 ist festgehalten, dass der Kläger mit einem akuten posterolateralen Infarkt aufgenommen wurde und sich nach durchgeführten Re-Kanallsation, Thrombusaspiration, PTCA und Bare-metal-Stent-lmplantaion eine komplette motorische Aphasie zeigte.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Bericht vom 14.9.2010 im Anlagenband verwiesen,

Vom ■■ Klinikum wurde der Kläger am 14.9.2010 in die …klinik zur Frührehabilitation verlegt, wo er im Verlauf des Aufenthaltes ohne Hilfsmittel über längere Strecken gehen konnte und am 5.10.2010 entlassen wurde.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Bericht vom 5.10.2010 im Anlagenband Bezug genommen.

Zur weiterführenden Diagnostik suchte der Kläger das Facharztzentrum Innere Medizin im Ärztehaus auf, wo nach durchgeführten Belastungsuntersuchung der Verdacht auf eine koronare Belastungsinsuffizienz festgehalten wurde.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Bericht vom 27.12.2010 im Anlagenband verwiesen,

Vom 29.12.2010 bis 30.12.2010 war der Kläger erneut im ■■ Klinikum wegen einem seit vier Wochen bestehenden restosternalem Druck und Belastungsdyspnoe. Es erfolgte eine Drug-eluting-Stent-lmplantation mit komplikationslosem Verlauf.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Bericht vom 30.12. 2010 im Anlagenband.

Der Kläger war weiter am 2.2.2011 und 22.12. 2011 im Facharztzentrum Innere Medizin im Ärztehaus. Nach den dortigen Berichten war der Kläger Im Alltag beschwerdefrei und gut belastbar, klagte jedoch im Dezember 2011 trotz mittlerweile erfolgter Teilnahme am Koronarsport über eine deutliche Belastungsdyspnoe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berichte vom 2. 2. und 22.12.2011 im Anlagenband verwiesen.

Zwischenzeitlich war der Kläger vom 10. 5. bis 11.5.2011 im ■■ Klinikum, wo eine koronare Zweigefäßerkrankung ohne Progression ohne Indikation zur Intervention festgestellt wurde. Der Kläger wurde von dort aus bei subjektiven Wohlbefinden entlassen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Entlassungsbericht im Anlagenband verwiesen,

Vom 30.3.2012 bis 5.4.2012 wurde der Kläger im ■■ Klinikum behandelt, nach dem er am 30.3.2012 wegen Brustschmerzen mit einem Rettungswagen in dessen Rettungsstelle eingeliefert wurde. Die Untersuchungen zeigten eine Verschlechterung der Pumpfunktion und eine Hypokinesie lateral basal. Weitere Untersuchungen wurden empfohlen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Bericht vom 5.4.2012 im Anlagenband.

Der Kläger war vom 1.2. bis 2.6.2012 für ein Stress-MRT im ■■ Klinikum, das wegen der Platzangst des Klägers jedoch nicht durchgeführt werden konnte. Eine Medikamentenerweiterung wurde empfohlen. Insoweit wird auf den Entlassungsbericht vom 2.6.2012 im Anlagenband verwiesen.

Nach einem Gutachten des Privatdozenten Dr. vom 12.7.2013 leidet der Kläger an mittelgradig depressiven Störungen, einer Agoraphobie mit Panikstörung und einer paranoiden Persönlichkeitsstörung, zumindest seit 2010, wobei eine Behandlung bei einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie seit 2007 angeführt ist. Wegen der weiteren Einzelheiten des Gutachtens vom 12.7.2003 10 wird auf Blatt 60 ff d.Akten verwiesen.

Der Kläger behauptet, er habe beim Anruf bei der Berliner Feuerwehr ausdrücklich die Hinzuziehung eines Notarztes gefordert. Die Rettungssanitäter hätten wegen seiner geschilderten Symptome, insbesondere der angegebenen Herzbeschwerden, Atemnot und Brustkorbschmerzen auf eine schwerwiegende Erkrankung wie einen Herzinfarkt oder eine Lungenembolie schließen und einen Notarzt rufen müssen. Wegen der pflichtwidrigen Unterlassung habe sich seine Behandlung wegen des akuten Herzinfarktes und des Schlaganfalls um 2-3 Stunden verzögert. Wegen dieser fehlerhaften Entscheidung der Rettungsassistenten leide er seit dem 1.9.2010 ständig unter akuter Atemnot und heftigen Schmerzen im Brustbereich sowie schweren Angstzuständen. Die koronare Zweigefäßerkrankung habe sich seitdem chronifiziert. Infolge des Schlaganfall leide er dauerhaft an motorischer Aphasie. Auch eine mittelgradig depressive Störung in Verbindung mit einer Agoraphobie bestehe seit 2010 und sei Folge der verzögerten Behandlung.

Der Kläger ist der Ansicht, ein Schmerzensgeld von 30.000 € sei angemessen. 

Der Kläger beantragt.

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein In das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 30.000 €nebst Zinsen in

Höhe von fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 20.2.2013 zu zahlen,

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung entstehenden materielle und immaterielle Schäden aufgrund der fehlerhaften Behandlung durch die Rettungssanitäter der Berliner Feuerwehr am 1.9.2010 zu ersetzen,

Der Beklagte beantragt, 

soweit die Forderungen nicht auf Dritte übergegangen sind oder übergehen werden die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, die vom Kläger angegebenen Beschwerden, die atem- und bewegungsabhängigen Schmerzen zwischen den Rippen hätten nicht den Verdacht auf einen Herzinfarkt und damit einen Transport in die Klinik begründet. Die Beschwerden seien untypisch für einen Herzinfarkt, so dass die Rettungsassistenten nicht an einen solchen hätten denken müssen. Auf einen Infarkt hindeutende Symptome wie atmungsunabhängige Schmerzen im Brustbereich, ausstrahlende Schmerzen in den Arm- oder Oberarmbereich hätten die Rettungsassistenten abgeklärt und nicht festgestellt. Herzbeschwerden habe der Kläger nicht geäußert. Nach dem Vorbringen des Klägers habe der Herzinfarkt bereits stattgefunden, als die Alarmierung erfolgt sei, so dass die Rettungs¬ kräfte diesen nicht hätten verhindern können. Angstzustände habe der Kläger lange vor dem streitgegenständlichen Ereignis bereits seit dem Tod seines Sohnes gehabt. Wegen der Vielzahl von Risikofaktoren, die zum Herzinfarkt und oder Schlaganfall führen könnten, könnten diese auch unabhängig voneinander aufgetreten sein.

Das Gericht hat den Kläger persönlich gemäß §141 ZPO gehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 5.12.2013, Blatt 36 ff d. Akten verwiesen 

Das Gericht hat Beweis erhoben über den Rettungseinsatz am 1.9.2010 durch Vernehmung der Zeugen …und …. Wegen des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 5.12.2013, Blatt 38-42 der Akten, Bezug genommen.

Das Gericht hat weiter Beweis erhoben aufgrund des Beweisbeschlusses vom 5.5.2014 über die Folgen der verzögerten Behandlung des Klägers. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. ■■■ vom 15.12.2014, Blatt 123 ff. d. Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig.

Der Kläger hatte das für den Klageantrag zu erforderliche Feststellungsinteresse gemäß §256 ZPO ausreichend dargelegt.  

Die Folgen des erlittenen Herzinfarktes und des Schlaganfalls, die nach seinem Vorbringen auf eine Pflichtverletzung zurückzuführen sind, dauern noch an und lassen eine weitere Beeinträchtigung seiner Gesundheit und damit auch weitere Zuzahlungen zu Behandlungskosten möglich erscheinen.

Die Klage ist überwiegend begründet.

1. Dem Kläger steht ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 € gemäß §§ 839, 823, 253 BGB in Verbindung mit Art. 34 Grundgesetz zu, weil die Rettungssanitäter ihn trotz eines erlittenen Herzinfarktes nicht ins Krankenhaus brachten, obgleich sie dazu verpflichtet waren.

Die Rettungssanitäter waren durch die Berliner Feuerwehr mit dem Rettungseinsatz beauftragt. Der Rettungsdienst ist gemäß §§ 1, 2, 5 Rettungsdienstgesetz Berlin (im folgenden nur RDG) hoheitlich geregelt.

Die Sanitäter haben ihre aus § 2 Abs. 2 RDG folgende Pflicht verletzt. Sie waren danach verpflichtet, Leben oder die Gesundheit des Klägers als Notfallpatienten zu erhalten, ihn transportfähig zu machen und unter fachgerechter Betreuung in eine für die weitere Versorgung geeignete Einrichtung zu befördern. 

Der Kläger war auch ein Notfallpatient im Sinne von § 2 RDG. Notfallpatienten sind danach Personen, die sich in einem lebensbedrohlichen Zustand befinden oder bei denen schwere gesundheitliche Schäden zu befürchten sind, wenn sie nicht umgehend geeignete medizinische Hilfe erhalten. Der Kläger hatte beim Eintreffen der Rettungssanitäter bereits einen Herzinfarkt erlitten, so dass schwere gesundheitliche Schäden anstanden, wenn er nicht geeignete Hilfe erhielt.

Die Einschätzung der Beschwerden des Klägers als Intercostalschmerzen erfolgte deshalb pflichtwidrig und fahrlässig, well die Rettungssanitäter eine solche Diagnose aufgrund ihrer Ausbildung und Tätigkeit nicht hätten treffen können. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Rettungsassistenten die Schmerzen des Klägers unzutreffend beurteilten, obgleich sie dazu nicht berufen waren.

Der Zeuge …,einer der beiden Rettungssanitäter, gab zu seiner Vorgehensweise an, dass eine Person dann mitgenommen werde und ins Krankenhaus gebracht werde, wenn das gesamte Erscheinungsbild dafür spreche. Er gab weiter an, dass er bei der Angabe von stechenden Schmerzen im Brustbereich und dem beschriebenen Gefühl, dass ein breiter Gürtel um den Brustbereich zugezogen erwarte, sofort den Notarzt alarmieren würde, well dieser weitere Möglichkeiten zu Untersuchung habe. Bei derartigen Symptomen hätte er einen Notarzt angefordert. Sofern ein Intercostalschmerz ausgeführt sei. habe er diesen durch Abtasten festgestellt. Bei Schmerzen im Brustkorbbereich sei nicht automatisch und zwangsläufig von einem Infarkt auszugehen. vielmehr sei zur Feststellung des Verdachtes auf einen Herzinfarkt der Gesamteindruck mitentscheidend.

Der Zeuge … führte aus, dass atem- und bewegungsabhängige Schmerzen nach ihrer Erfahrung in der Regel nicht für einen Infarkt sprechen würden. Ein solcher könne zwar nicht ausgeschlossen werden, vielmehr sei bei einem Brustschmerz weiter zu differenzieren. Dabei sei durchaus ein Kriterium, ob die Schmerzen atem- und bewegungsabhängig oder atem- und bewegungsunabhängig auftreten würden. Atem- und bewegungsabhängige Schmerzen würden eher für andere Ursachen als für einen Infarkt sprechen, zum Beispiel für einen Nervenschmerz.

Unabhängig davon, wie der Kläger nun im einzelnen seine Schmerzen beschrieben hat, ob als atem- und bewegungsabhängige Schmerzen oder als Schmerzen im gesamten Brustkorb mit der Angabe, es würde sich ein breiter Gürtel um seinen Brustbereich zusammenziehen, stand den Rettungssanitätern keine Beurteilung als Intercostalschmerz zu. Ob es sich bei Schmerzen im Brustkorb um Nervenschmerzen handelt oder um Schmerzen infolge eines Infarktes oder aufgrund anderer Erkrankungen können allein dazu ausgebildete Ärzte feststellen. So hat auch der Sachverständige Dr. … in seinem Gutachten deutlich gemacht, dass eine akute Brustschmerzsymptomatik ärztlich abgeklärt werden müsse. Der Charakter von Beschwerden im Rahmen eines akuten Koronarsyndroms könne stark variieren und sich auch atypisch darstellen. Auch er hat in seinem Gutachten hervorgehoben, dass im Gesetz über den Rettungsdienst für das Land Berlin in § 2 erläutert werde, dass die Aufgabe der Notfallrettung sei, Leben oder die Gesundheit von Notfallpatienten zu erhalten, sie transportfähig zu machen und sie unter fachgerechter Betreuung in eine für die weitere Versorgung geeignete Einrichtung zu befördern. Ein akutes Brustschmerzsyndrom zähle nach seinen weiteren Ausführungen zu den lebensbedrohenden Akutkrankheiten und bedürfe einer medizinischen fachärztlichen Abklärung. Der Sachverständige führt auch weiter aus, das neben dem Brustschmerz zahlreiche weitere Symptome zu beachten sind, die auf einen Infarkt hinweisen können. Zur Abklärung sei die Überprüfung der Nitro-Sensitivität ebenso wie ein EKG erforderlich, beides sei im Falle des Klägers unterblieben. Wenn die Rettungssanitäter nicht einmal die erforderlichen Untersuchungen zur weiteren Klärung, ob eine Herzerkrankung oder sogar ein Infarkt vorliegt vornehmen können, abgesehen von der erforderlichen medizinischen Ausbildung, hätten sie den Kläger ohne weitere Prüfung umgehend in das nächste Krankenhaus bringen müssen.

Die Rettungssanitäter hätten zudem dem Kläger auch unabhängig von den Ausführungen des Sachverständigen und der Regelung in § 2 RDG nach ihrer eigenen Einschätzung ins Krankenhaus bringen oder einen Notarzt rufen müssen. Do gab der Zeuge … an, dass er bei beschriebenen Schmerzen in der Art, dass ein breiter Gürtel um den Brustbereich zugezogen werde, sofort einen Notarzt alarmieren würde. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger diese Beschreibung, wie er sie in seiner Anhörung wieder gegeben hat, auch gegenüber den Rettungssanitätern angegeben hat. Der Kläger gab in seiner Anhörung an, Schmerzen im Brustkorb und auch im Rücken gehabt zu haben. Auf die Nachfrage der Rettungssanitäter, wo die Schmerzen seien, habe er geschildert, dass diese im Bereich der Rippen seien, insbesondere in dem Dreieck zwischen Brustbein und Rippen. Er habe das Gefühl gehabt, als würde sich ein breiter Gürtel um seinen Brustbereich zusammenziehen und habe es auch so geschildert, ebenso wie die Atemnot, die er gehabt habe. Keinesfalls wird der Kläger angegeben haben, an Intercostalschmerzen gelitten zu haben. Weder hat der Kläger diesen Begriff verwandt, noch ist dieser so allgemein bekannt, dass davon ausgegangen werden kann, dass diese Bezeichnung gewählt wurde. Die Einstufung als Interkostalschmerz muss also durch die Rettungssanitäter erfolgt sein. Interkostalschmerzen sind Nervenschmerzen im Bereich der Zwischenrippennerven, die gürtelförmig im Brust- oder Rückenbereich aufgetreten. Wenn also die Rettungssanitäter In dem Protokoll Interkostalschmerzen vermerkt haben und nicht angeben können, aufgrund welcher Angaben des Patienten sie im übrigen auf diese geschlossen haben, bleibt nur die Angabe des Klägers, dass er das Gefühl ge¬ habt habe, dass sich um seinen Brustbereich ein breiten Gürtel zusammenziehe. Diese Schmerzbeschreibung lässt durchaus auf eine Intercostalneuralgie schließen, aber auch auf einen Infarkt. Die Rettungsassistenten waren jedoch nicht befugt, diese Unterscheidung zu treffen und haben unzutreffend einen Intercostalschmerz als Gegenanzeige eines Infarktes gewertet.

Die fahrlässige Verletzung der Pflicht der Rettungsassistenten des Beklagten, den Kläger ins nächste Krankenhaus zu befördern oder einen Notarzt zu rufen, führte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nach den Feststellungen des beauftragten Sachverständigen dazu, dass durch die verzögerte Einlieferung ins ■■ Klinikum um 2-3 Stunden Herzmuskelgewebe abgestorben ist und eine Narbe zurückblieb, so dass sich in der Folge trotz umfassender Bemühungen und auch der Teilnahme des Klägers an einem Herzsportgruppe eine Herzinsuffizienz herausbildete. Der Sachverständige führt in seinem Gutachten nach Untersuchung des Klägers und unter Berücksichtigung sämtlicher Befunderhebungen und Arzt- sowie Krankenhausberichte aus, dass beim akuten Koronarsyndrom die Beachtung des Zeitlimits bei der Akutbehandlung eine Rolle spiele, wobei eine Zeitlimit von 120 Minuten vorgegeben sei. Der Sachverständige führt insbesondere aus, dass die verspätete Einlieferung die Ausbildung einer Herzinsuffizienz mit den Symptomen Belastungsluftnot und Leistungsschwäche zur Folge hat. Die dadurch eingetretene relative Immobilität habe dann wiederum zu einer Gewichtszunahme des Klägers geführt, die wiederum die Symptome negativ beeinflusst habe. Nach seiner Auswertung auch des psychiatrischen Gutachtens vom 12.7.2013 hat sich eine chronisch depressive Verstimmung des Klägers durch die Befürchtung, einen erneuten Herzinfarkt zu erleiden, verstärkt.

Nach den Feststellungen des Sachverständigen sind jedoch die vom Kläger als weitere Folge behauptete koronare Zweigefäßerkrankung und auch der Schlaganfall sowie die Folgen des Schlaganfalls nicht auf die Überschreitung des Zeitlimits zurückzuführen. Der Sachverständige führt dazu aus, dass die Ursache des während der Herzkatheter Untersuchung erlittenen Schlaganfalls unklar ist und vielschichtig sei. Sowohl durch einen Herzinfarkt wie auch durch den Herzkatheter selber können Blutgerinnsel abgelöst werden und zu einem Schlaganfall führen. Die Auswertung der Unterlagen ließen die Ursache des Schlaganfalls nicht eindeutig erkennen. Der Sachverständige bezweifelt auch, dass dies nachträglich geklärt werden könne. Er führte weiter aus, dass die koronare Zweigefäßerkrankung beim Kläger unabhängig von der verzögerten Einlieferung vorgelegen haben könne, auch wenn diese vor dem 1.9.2010 noch nicht bekannt gewesen sei. Es hätten multiple Risikofaktoren bestanden. Der Kläger habe fünf der sechs klassischen Risikofaktoren für eine koronare Herzerkrankung aufgewiesen.

Erhebliche Einwendungen hat keine Partei gegen die Feststellungen des Sachverständigen erhoben. Dieser hat unter Auswertung aller ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und Ergebnisse nachvollziehbar und widerspruchsfrei seinen Feststellungen begründet. Allein der erneut angebotene Sachverständigenbeweis ohne Vorbringen neuer Tatsachen seitens des Klägers reicht nicht aus. um einen weiteren Sachverständigen zu beauftragen. Auch wenn der Kläger die Einschätzung des Sachverständigen, dass der Schlaganfall und die koronare Zweigefäßerkrankung nach seiner Ansicht auf die verzögerte Behandlung zurückzuführen seien, nicht teilt, müsste er habe schon weitere Tatsachen oder Umstände darlegen, die einen weiteren Sachverständigen zu einer anderen Beurteilung veranlassen könnte oder angeben, welche Umstände oder Erkenntnisse der beauftragte Sachverständige nicht berücksichtigt haben soll.

Für die infolge der Pflichtverletzung erlittenen Beeinträchtigungen und Schmerzen sowie Leiden steht dem Kläger ein Schmerzensgeld von 20.000 € zu. Dieser Betrag ist sowohl als Ausgleich für die erlittenen und noch andauernden Beeinträchtigungen wie auch zur Genugtuung für die Pflichtverletzung ausreichend. Neben den bereits angeführten und vom Sachverständigen festgestellten Folgen der verspäteten Behandlung, die eingetretene Herzinsuffizienz verbunden mit der Belastungsluftnot und Leistungsschwäche ist auch die psychische Beeinträchtigung des Klägers zu berücksichtigen, dessen Angst einen erneuten Herzinfarkt zu erleiden seine chronisch depressive Stimmung verstärkt hat.

Zum Ausgleich für diese Folgen hält das Gericht ein Schmerzensgeld von 20.000 € auch unter Berücksichtigung weiterer Entscheidungen anderer Gerichte für angemessen und ausreichend. So hat das OLG Frankfurt am Main am 12.1.2010 - 8 U6/09 - einem Kläger wegen einer traumatischen nicht schwerwiegenden Belastungsstörung durch eine psychische Verarbeitung eines als lebensbedrohlich erlebten seelischen Traumas infolge eines ärztlichen Behandlungsfehlers ein Schmerzensgeld von 15.000 € zugesprochen (vergleiche Schmerzensgeldtabelle Hacks-Wellner- Häcker, 2015, 33. Auflage, Randnummer 2605). Das Landgericht Köln hielt im Falle eines Herzinfarktes durch Dilatation nach Herzkatheteruntersuchung ein Schmerzensgeld für 20.000 € fürangemessen und führte dazu aus, dass bei dem Kläger bereits eine Schädigung bestanden habe, der zweite Herzinfarkt jedoch vermeidbar gewesen sei und für den Kläger ein besonders einschneidendes und dramatisches Erlebnis dargestellt habe, weil ein Infarkt auch in psychischer Hinsicht eine erhebliche fortwirkende Belastung sei (vergleiche Schmerzensgeldbeträge am angegebenen Ort, Rn. 2611).

Ein höheres Schmerzensgeld, wie in der vom Kläger angegebenen Höhe, ist nicht angemessen. Ein höheres Schmerzensgeld wurde in Fällen zugesprochen in denen noch schwerwiegendere Folgen eintraten. So hat dasLandgericht Lübeck am 23.1.2014 einSchmerzensgeld von 30.000 € für die völlige Unbrauchbarkeit der rechten Hand, andauernder Schmerzen ohne Aussicht auf Besserung infolge eines ärztlichen Behandlungsfehlers zugesprochen. Beim Kläger ist jedoch durch die Pflichtverletzung kein Körperteil oder Organ völlig unbrauchbar geworden, sondern es haben sich bedauerlicherweise die Folgen des Herzinfarktes verstärkt und sich eine bei rechtzeitiger Behandlung vermeidbare Herzinsuffizienz herausgebildet.

2. Der Feststellungsantrag des Klägers ist ebenfalls begründet.

Die vom Sachverständigen festgestellte Herzinsuffizienz ist eine erhebliche Dauerfolge, die ebenso wie die Atemnot des Klägers noch nicht abschließend beurteilt werden kann. Bei einer solch schwerwiegenden Folge besteht die Möglichkeit einer Verschlechterung, so dass sowohl weitere Behandlungen und damit verbundene Kosten, insbesondere Kosten des Klägers durch Zuzahlungen begründet sind, wie auch ein weiteres Schmerzensgeld im Falle der Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers infolge einer fortschreitenden Herzinsuffizienz.

3. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB. Der Kläger forderte den Beklagten mit Schreiben vom 29.1.2013 zur Zahlung bis zum 21.2.2013 auf.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nummer 11, 709, 711 ZPO.

Hinweis:

Gegen dieses Urteil hat der beklagte Träger des Rettungsdienstes Berufung eingelegt, die das Kammergericht am 19.5.2016 als unbegründet zurück gewiesen hat (Kammergericht, Urteil vom 19.5.2016 - 20 U 122/15). 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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