(10.9.2024) Aus einer Vorgabe der Strahlenschutzverordnung zur Mindestpersonalstärke beim Betrieb von Linearbeschleunigern ergibt sich kein Anspruch eines niedergelassenen Strahlentherapeuten auf Erteilung einer Sonderbedarfszulassung. Auch ergibt sich daraus kein Anspruch auf Schaffung einer Ausnahmeregel im Sinne eines speziellen qualifikationsbezogenen Sonderbedarfstatbestandes (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 15.5.2024 – L 5 KA 2346/22).
Der Fall: strahlentherapeutische Praxis will wachsen
In der Strahlentherapie oder Strahlenbehandlung wird der Körper eines Patienten mit ionisierender Strahlung (Elektronenstrahl oder Röntgenstrahlung) medizinisch behandelt, um Krankheiten zu heilen oder deren Fortschreiten zu verzögern (z.B. Krebs). Die Strahlung kann aus Geräten oder aus radioaktiven Präparaten stammen. Für die Bestrahlung von Patienten mit Linearbeschleunigern gilt zum Schutz der Patienten die Strahlenschutzverordnung. Aus Ziffer 2.1.2 dieser Strahlenschutzverordnung und ihrer Anlage zum Betrieb von Linearbeschleunigern zum Personalbedarf ergeben sich Vorgaben für die Zahl des behandelnden Personals bei bestimmten Zahl von Bestrahlungsserien.
Gestützt auf diese Vorgaben der Strahlenschutzverordnung und unter Berufung auf gestiegene Patientenzahlen machte der klagende Facharzt für Strahlentherapie, der eine eigene Strahlentherapiepraxis mit mittlerweile zwei Linearbeschleunigern und insgesamt drei Arztstellen betreibt, eine Sonderbedarfszulassung für die Anstellung eines weiteren Arztes geltend. Seine Praxis führe mehr als 350 Behandlungsserien im Jahr durch, weshalb die Praxis insgesamt vier ärztliche Vollzeitstellen benötige. Der Behandlungsbedarf sei erheblich und es könne ihm nicht zugemutet werden, nach Anschaffung und Inbetriebnahme des zweiten Linearbeschleunigers gegen die Strahlenschutzverordnung zu verstoßen und aufsichtsrechtliche Zwangsmaßnahmen oder Bußgelder zu riskieren.
Der Zulassungsausschuss führte eine Bedarfsanalyse durch, stellte eine deutliche Überversorgung in dem Planungsbereich fest und lehnte den Antrag auf Sonderbedarfszulassung als unbegründet ab. Der Bedarf sei gedeckt. Aus der Vorgabe der Strahlenschutzverordnung ergebe sich kein Anspruch auf eine Sonderbedarfszulassung.
Dagegen klagte der Facharzt für Strahlentherapie.
Das Sozialgericht stellte fest, dass die Bedarfsermittlung des Zulassungsauschusses nicht zu beanstanden sei. Im Überigen stimmte es mit dem Zulassungsausschuss überein, dass sich aus der Vorgabe der Strahlenschutzverordnung kein Anspruch auf eine Sonderbedarfszulassung ergebe.
Der Facharzt rief das Landessozialgericht Baden-Württemberg an.
Die Entscheidung: auf Strahlenschutzverordnung kommt es nicht an
Auch das Landessozialgericht konnte die Bedarfsermittlung des Zulassungsausschusses nicht beanstanden und die Entscheidung, keine Sonderbedarfszulassung zu erteilen, nachvollziehen. Wie man die Zahlen auch berechne, der betreffende Planungsbereich sei deutlich überversorgt. Mithin sei bestünde kein Sonderbedarf.
Auch die Vorgaben in Ziff. 2.1.2 der Richtlinie zur Strahlenschutzverordnung zur personellen Ausstattung könnten aus Sicht des Landessozialgerichts zu keinem anderen Ergebnis führen. Eine entsprechende Anwendung komme nicht in Betracht. Zunächst stehe es im Gestaltungsermessen des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), einzelne spezielle qualifikationsbezogene Sonderbedarfstatbestände zu regeln, wie er es im Bereich der Dialyseversorgung getan hat (s. § 37 Abs. 4 BedarfsplRL). Ein Anspruch auf entsprechende Normierung eines Sonderbedarfstatbestands aus Gründen der Qualitätssicherung nach der Strahlenschutzverordnung bestehe nicht. Es sei nicht ersichtlich, dass der GBA (im Sinne einer Ermessungsreduzierung auf Null) verpflichtet wäre, insoweit von seiner durch § 101 Abs. 1 Satz 1 SGB V eingeräumten Konkretisierungsbefugnis Gebrauch zu machen. Der GBA habe bei der ihm übertragenen Aufgabe der Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben zu beachten, dass die Ausnahmeregelungen nicht zu eng gefasst sein dürfen; denn es müsse gewährleistet werden, dass angeordnete Zulassungssperren nicht unverhältnismäßig die Berufsausübung beschränken oder die Verwertung der Arztpraxen hindern und dass die Versorgung der Versicherten sichergestellt bleibt. Dass zur Erreichung dieser Ziele, die Normierung eines Sonderbedarfstatbestandes erforderlich wäre, der Vorgaben der Richtlinie der Strahlenschutzverordnung () in Bezug auf den Arzt-Patienten-Schlüssel übernimmt, ergebe sich aus dem Vortrag des Klägers nicht und sei auch sonst nicht ersichtlich. Darüber hinaus stünde einer Implementierung der Richtlinie zur Strahlenschutzverordnung entgegen, dass es sich dabei (anders als bei den zwingenden Bestimmungen der Qualitätssicherungsvereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren gemäß § 135 Abs. 2 SGB V) um eine bloße Verwaltungsvorschrift handelt und die in Tabelle 1 zu Ziff. 2.1.2 enthaltenen Zahlen zum Personalbedarf bloße „Anhaltszahlen“ darstellten. Auch könne der in der Richtlinie genannte Personalbedarf durch nichtärztliches Fachpersonal erfüllt werden, so dass es gar nicht der Anstellung eines weiteren Arztes bedürfe. Durch die Einstellung von solchem Fachpersonal könne flexibel auf einen erhöhten Personalbedarf reagiert werden, wenn sich am Ende des Jahres eine Überschreitung der 350 Bestrahlungsserien abzeichnen sollte. Einen zwingenden Zusammenhang zwischen der Anzahl der ärztlichen Versorgungsaufträge in einer Praxis und den Bestrahlungsserien und/oder der Fallzahl pro Versorgungsauftrag gebe es demnach nicht. Überdies gelänge es auch dem konkurrierenden Medizinischen Versorgungszentrum, mit nur zwei Versorgungsaufträgen und damit sogar ungünstigeren personellen Bedingungen als in der klägerischen Praxis in den Quartalen 3/2022 und 4/2022 im Durchschnitt rund 495 Fälle (pro vollem Versorgungsauftrag) und damit mehr als die Praxis des Klägers zu behandeln. Darüber hinaus dürfte wohl – auch vor dem Hintergrund der bislang ausgebliebenen aufsichtsrechtlichen Maßnahmen – nicht davon auszugehen sein, dass der Kläger seit Februar 2017 Leistungen erbringt und abrechnet, die gegen zwingende Vorgaben der Strahlenschutzverordnung verstoßen.
Praxisanmerkung: maßgeblich ist der Versorgungsbedarf
Ob ein Versorgungsbedarf gedeckt ist, sprich die Patienten hinreichend medizinisch versorgt werden, oder ob im Einzelfall ausnahmsweise ein weiterer Bedarf besteht (Sonderbedarf) hängt in erster Linie von der ab. Auch wenn die Verhältniszahlen keinen ungedeckten Bedarf ergeben, kann sich ein solcher aber zum Beispiel an erheblichen Wartezeiten der Patienten zeigen. Ein anderes Indiz für einen Sonderbedarf ist es, wenn die bereits niedergelassenen Ärzte angeben, ausgelastet zu sein. Oder wenn Patienten in andere Bezirke der Kassenärztlichen Vereinigung ausweichen und sich dort behandeln lassen.
Zwar können technische Vorgaben auf einen Bedarf hinweisen - so verlangen zum Beispiel die nephrologischen Qualitätssicherungsvereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren bestimmte Personalzahlen. Ein zwingender Zusammenhang zwischen solchen Personalvorgaben und dem Versorgungsbedarf besteht aber nicht, wie das Urteil des Landessozialgerichts folgerichtig feststellt.
Es bliebt also dabei, dass die Geltendmachung eines Sonderbedarfs durch einen Arzt einzelfallbezogene Ausführungen zur örtlichen Versorgungssituation, zu Wartezeiten und fehlenden freien Kapazitäten oder auch zu Ausweichbewegungen von Patienten erfordert. Wie das Landessozialgericht zu Recht ausführt, trägt der Arzt, der einen Sonderbedarf geltend macht, die Beweislast für eben diesen besonderen Bedarf.
English version:
The Radiation Protection Ordinance's requirements regarding staffing levels do not justify a special need for a radiation therapy practice: Baden-Württemberg State Social Court 15-05-2024
(10.9.2024) A requirement of the Radiation Protection Ordinance regarding the minimum staffing levels when operating linear accelerators does not give a practicing radiation therapist the right to be granted a special needs permit. Nor does it give rise to the creation of an exception rule in the sense of a special qualification-related special needs requirement (Baden-Württemberg State Social Court, judgment of May 15, 2024 - L 5 KA 2346/22).
The case: radiation therapy practice wants to grow
In radiation therapy or radiation treatment, a patient's body is medically treated with ionizing radiation (electron beam or X-rays) in order to cure diseases or delay their progression (e.g. cancer). The radiation can come from devices or from radioactive preparations. The Radiation Protection Ordinance applies to the irradiation of patients with linear accelerators to protect the patients. Section 2.1.2 of this Radiation Protection Ordinance and its appendix on the operation of linear accelerators on personnel requirements provide specifications for the number of treating personnel for a certain number of radiation series.
Based on these specifications of the Radiation Protection Ordinance and citing increased patient numbers, the plaintiff, a specialist in radiation therapy, who now runs his own radiation therapy practice with two linear accelerators and a total of three doctor positions, claimed special needs approval for the employment of another doctor. His practice carries out more than 350 treatment series a year, which is why the practice requires a total of four full-time medical positions. The treatment requirement is considerable and he cannot be expected to violate the Radiation Protection Ordinance after purchasing and commissioning the second linear accelerator and risk regulatory coercive measures or fines.
The admissions committee carried out a needs analysis, found that there was a clear oversupply in the planning area and rejected the application for special needs approval as unfounded. The need was covered. The requirements of the radiation protection regulations did not give rise to a right to a special needs approval.
The specialist in radiotherapy appealed against this.
The social court found that there was no objection to the admissions committee's needs assessment. In other respects, it agreed with the admissions committee that the requirements of the radiation protection regulations did not give rise to a right to a special needs approval.
The specialist appealed to the Baden-Württemberg State Social Court.
The decision: the radiation protection regulations are not relevant
The State Social Court could not object to the admissions committee's needs assessment and could understand the decision not to grant a special needs approval. No matter how you calculate the figures, the planning area in question was clearly oversupplied. Therefore, there is no special need.
From the perspective of the State Social Court, the requirements in section 2.1.2 of the Radiation Protection Ordinance Directive on staffing could not lead to a different result. A corresponding application is not possible. First of all, it is within the discretion of the Federal Joint Committee (GBA) to regulate individual special qualification-related special needs, as it has done in the area of dialysis care (see Section 37 Paragraph 4 of the Radiation Protection Ordinance). There is no right to the corresponding standardization of a special need for reasons of quality assurance under the Radiation Protection Ordinance. It is not clear that the GBA (in the sense of a discretionary reduction to zero) is obliged to make use of its power to specify in this respect granted by Section 101 Paragraph 1 Sentence 1 of the Social Code Book V. In the task assigned to it of specifying the legal requirements, the GBA must ensure that the exceptions must not be too narrowly defined; because it must be ensured that the admission bans imposed do not disproportionately restrict the practice of the profession or prevent the use of medical practices and that the care of the insured is guaranteed. The fact that the standardisation of a special requirement would be necessary to achieve these goals, which takes over the requirements of the Radiation Protection Ordinance Directive () with regard to the doctor-patient ratio, does not follow from the plaintiff's statement and is not otherwise apparent.
Furthermore, the implementation of the Radiation Protection Ordinance Directive would be precluded by the fact that (unlike the mandatory provisions of the quality assurance agreement on blood purification procedures in accordance with Section 135 Paragraph 2 of the Social Code Book V) it is a mere administrative regulation and the figures on staff requirements contained in Table 1 under Section 2.1.2 are merely "indicative figures". The staff requirements specified in the directive can also be met by non-medical specialists, so that there is no need to employ another doctor. By employing such specialists, it is possible to react flexibly to an increased staff requirement if the number of 350 radiation treatment series is expected to be exceeded at the end of the year. There is therefore no mandatory connection between the number of medical care orders in a practice and the radiation treatment series and/or the number of cases per care order. In addition, the competing medical care center would also be able to treat an average of around 495 cases (per full care contract) in quarters 3/2022 and 4/2022, more than the plaintiff's practice, with only two care contracts and thus even more unfavorable personnel conditions than in the plaintiff's practice. In addition, it should not be assumed - also in view of the lack of supervisory measures to date - that the plaintiff has been providing and billing for services since February 2017 that violate mandatory requirements of the Radiation Protection Ordinance.
Practical note: the decisive factor is the need for care
Whether a need for care is covered, i.e. the patients are adequately cared for, or whether there is an exceptional further need in individual cases (special need) depends primarily on the. Even if the ratios do not show any unmet need, such a need can be evident, for example, in the considerable waiting times of the patients. Another indication of a special need is when the doctors already in practice say they are fully booked. Or when patients go to other districts of the Association of Statutory Health Insurance Physicians and receive treatment there.
Technical specifications can indicate a need - for example, the nephrological quality assurance agreement for blood purification procedures requires a certain number of staff. However, there is no mandatory connection between such staffing requirements and the need for care, as the ruling of the State Social Court rightly states.
It remains the case that the assertion of a special need by a doctor requires case-specific statements on the local care situation, waiting times and lack of free capacity or even on patients moving away. As the State Social Court rightly states, the doctor who asserts a special need bears the burden of proof for this special need.