(27.9.2024) Wie umfassend ein Arzt Gesprächsleistungen wie zum Beispiel das problemorientierte ärztlichen Gespräch (GOP 03230 EBM) oder das Gespräch zur differentialdiagnostischen Klärung psychosomatischer Krankheitszustände (GOP 35100 EBM) dokumentieren muss, ist im Einheitlichen Bewertungsmaßstab nicht definiert und auch in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt. Dokumentiert aber der Arzt Gesprächsleistungen fehlerhaft, so kann er sich Honorarrückforderungen ausgesetzt sehen. Der folgende Beitrag gibt Hilfestellung.
Bei Plausibilitätsprüfungen oder einer Wirtschaftlichkeitsprüfungen ärztlicher Leistungen stehen immer wieder Gesprächsleistung im Fokus der Überprüfungen. Überschreiten die Behandlungszeiten die Aufgreifkriterien für eine Implausibilität, so sind die Ärzte im eigenen Interesse gehalten, die tatsächliche Erbringung der Gesprächsleistungen nachzuweisen. Dies kann regelmäßig nur mittels der eigenen Dokumentation der Behandlung erfolgen. Erfahrungsgemäß dokumentieren Ärzte die Gespräche aber nur rudimentär. Dies kann zu Honorarrückforderungen führen.
Wie weit reicht die Pflicht zur Dokumentation von Gesprächsleistungen?
Der Arzt hat zu dokumentieren (gemäß § 630f BGB): Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen.
Eine Gespräch zwischen Arzt und Patient ist einerseits ein Teil der Untersuchung und andererseits ein Teil der Therapie. Die durch ein Gespräch ausgelösten Veränderungen sind wiederum Teil der Wirkungen. Zu den gängigen Gesprächsleistungen laut EBM gehören u.a. die GOP: 03230, 04230, 14220, 16220, 22221, 21220, 22220, 23220, 35100, 35110.
Strenge Anforderung an die Dokumentation ärztlicher Leitungen stellen u.a. das Sozialgericht Stuttgart und das LSG Baden-Württemberg: Die Dokumentation der abgerechneten Leistungen dient auch dem Nachweis, dass der Leistungsinhalt abgerechneter Gebührennummern vom Vertragsarzt vollständig erbracht wurde. Zu einer entsprechenden Dokumentation ist der Vertragsarzt nach den §§ 57 Abs. 1 Bundesmantelvertrag – Ärzte bzw. 13 Abs. 7 Bundesmantelvertrag – Ärzte/Ersatzkassen verpflichtet. Auch der Honorarverteilungsmaßstab der Beklagten (HVM) fordert in § 2 Abs. 3, dass die zur Abrechnung gebrachten vertragsärztlichen Leistungen für jeden Tag der Inanspruchnahme durch ausreichende Aufzeichnungen belegt werden können. Die vollständige Dokumentation vertragsärztlich erbrachter Leistungen ist Voraussetzung für die Nachprüfung korrekter Diagnostik, korrekter Therapie und korrekter Abrechnung (vgl. LSG Baden-Württemberg, MedR 1994, 418 ff.). An die Dokumentationspflicht des Vertragsarztes sind daher hohe Anforderungen zu stellen. Die Anforderungen an die Dokumentation sind hierbei umso strenger, je weniger die Behandlungs- und Abrechnungsbefugnis auf der Hand liegt. (SG Stuttgart, Urteil vom 19. Juni 2002 – S 10 KA 2453/00 –, Rn. 51, juris).
Weniger streng sind das BSG und der Bundesgerichtshof: Nach der Rechtsprechung des BSG ist der Arzt seit jeher verpflichtet, die bei der Behandlung eines Patienten gemachten Feststellungen und durchgeführten Behandlungsmaßnahmen zu dokumentieren. Bereits nach § 57 Abs. 1 BMV-Ä hat der Vertragsarzt die Befunde, die Behandlungsmaßnahmen sowie die veranlassten Leistungen einschließlich des Tages der Behandlung „in geeigneter Weise zu dokumentieren" (vgl. BSG, Beschluss vom 07.09.2022 — B 6 KA 8/22B). Inhalt und Umfang der erforderlichen Dokumentation richten sich grundsätzlich nach den medizinischen Erfordernissen (BSG Urteil vom 15.7.2020 - B 6 KA 13/19 R, BGH Urteil vom 6.7.1999 - VI ZR 290/98). Zweck der Dokumentationspflicht ist die Sicherstellung wesentlicher medizinischer Daten und Fakten für den Behandlungsverlauf - die Dokumentationspflicht ist nach ihrem Zweck nicht auf die Sicherung von Beweisen für einen späteren Haftungsprozeß des Patienten gerichtet (BGH, wie vor). Erhobene Befunde müssen (nur) dann gesichert werden, wenn sie für das weitere Behandlungsgeschehen nach- und weiterbehandelnder Ärzte zur Verfügung stehen müssen (sog. Befundsicherungspflicht - BGH, NJW 1996, 1589; Oberlandesgericht Nürnberg, Urteil vom 20. April 2017 – 5 U 458/16). Welche Dokumentationserfordernisse hieraus konkret folgen, richtet sich nach der jeweiligen medizinischen Behandlung. Aus den medizinischen Erfordernissen kann damit die Notwendigkeit einer Dokumentationspflicht für die jeweilige Behandlung folgen, auch wenn die einschlägige Leistungslegende des EBM-Ä selbst keine weitergehenden Anforderungen diesbezüglich enthält (BSG, Beschlus vom 07.09.2022 - B 6 KA 8/22 B).
Als Zwischenergebnis ist also festzustellen, dass die Rechtsprechung nicht eindeutig festgelegt hat, wie weit die Dokumentationspflicht des Arztes reicht. Auch ist die Rechtsprechung nicht in einheitlich darin zu bestimmen, wie streng die Anforderungen sind. Schließlich hat die Rechtsprechung auch nicht in Einzelfällen definiert, wie weitgehend die Dokumentationspflichten für einzelnen Gesprächsleistungen (z.B. GOP 35100 oder 03230 EBM) sind.
Für den Arzt bleibt damit eine rechtliche Unsicherheit. Zugleich ist zu beachten, dass der Arzt diese Unsicherheit zwar dadaurch entschärfen könnte, indem er die Gespräche sehr ausführlich protokolliert. Dies ist aus zeitlichen Gründen aber kaum umsetzbar.
Dokumentation: So viel wie nötig, so wenig wie möglich
Erforderlich ist ein Kompromiss: der Arzt muss die Mindestanforderungen an die Dokumentationspflicht von Gesprächsleistungen so erfüllen, dass er die gesetzlichen Anforderungen sicher erfüllt, zugleich aber auch nicht unnötig zu viel dokumentiert.
Der Arzt geht dabei den für ihn sichersten Weg, wenn er auch die strengen Anforderungen der Rechtsprechung an die Dokumentation erfüllt (und sich so vor Honorarrückforderungen schützt). Wie sieht dies aber konkret aus?
In der Patientenakte sollten grundsätzlich der Grund für das ausführliche Gespräch sowie der wesentliche Inhalt des Gesprächs festgehalten werden. Der Grund ist dabei in der Regel die Diagnose, die Differentialdiagnose, die Verdachtsdiagnose oder die vom Patienten geklagten Beschwerden.
Beispiele:
Gesprächsleistung | Beschreibung laut EBM | Einzelfall | Dokumentation |
03230, 04230 | Problemorientiertes ärztliches Gespräch, das aufgrund von Art und Schwere der Erkrankung erforderlich ist |
Befall mit einer schweren Akne im Gesicht einer Verkäuferin von Kosmetikartikeln wird eine solche Tätigkeit für die Verkäuferin unmöglich machen
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16.5.2024, ICD L 70.0, Kosmetikverkäuferin, berichtet Probleme bei Arbeit wg. Akne, Bespr. Umstellung med. Therapie 9:14-9:26 |
14220 / 16220 / 21220 |
kinder- und jugendpsychiatrisches Gespräch, Beratung, Erörterung, Abklärung (Einzelbehandlung) unter Anwendung fachspezifischer Methodik mit Patient und/oder Bezugsperson, unter Berücksichtigung
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jugendlicher Patient berichtet über Hänseleien wegen Minderwuchs und Bauchschmerzen |
6.2.2024 ICD R 10.4 Pat klagt Ängste wegen Minderwuchs, Erläuterung der übl. Wachstumskurven, 11:10 - 11:21 |
35100 | Differentialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände | Patient berichtet über Schlafstörungen seit Streit am Arbeitsplatz, Schlafmittel erbrachten keine Besserung | 12.3.2023, ICD G47.0, Schlafstörungen wegen Streit mit Kollegen, Erörterung Wechsel Arbeitsplatz oder Versetzung, 10:24-10:31, 11.4.2023, Gespräch, Kollege wurde versetzt, Pat berichtet Besserung Schlafstörung |
Anmerkungen zu GOP 35100 EBM - Differentialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände:
12 PT-RL erfordert allgemein bei psychosomatischen Leistungen die schriftliche Dokumentation der diagnostischen Erhebungen und der wesentlichen Inhalte der psychotherapeutischen Interventionen (SG Marburg, Urteil vom 3. Mai 2023 – S 17 KA 527/20 –, Rn. 58, juris).
Speziell sollte bei Anwendung der EBM 35100sollte dokumentiert werden das Bestehen oder Nichtbestehen eines Zusammenhangs zwischen psychischen und körperliche (somatischen) Beschwerden (vgl AG Neu-Ulm, Urteil vom 26. Juni 2024 – 2 Ls 106 Js 10145/22 –, Rn. 12, juris).
Die mehrfache Abrechnung der GOP 35110 EBM (juris: EBM-Ä 2008) an einem Tag setzt voraus, dass mehrere zeitlich voneinander getrennte Sitzungen jeweils mit der Mindestdauer von 15 Minuten durchgeführt worden sind. Eine Sitzung mit einer Dauer von 45 Minuten berechtigt nicht zur dreifachen Abrechnung (SG Marburg, Urteil vom 14. Juni 2023 – S 11 KA 591/16 –, juris).