Ein dementer oder psychisch kranker Versicherter, der hinsichtlich Körperpflege, Nahrungsaufnahme und Mobilität noch weitgehend selbstständig ist, wird trotz des hohen Aufsichts- und Betreuungsbedarfs regelmäßig nicht in Pflegestufe 1 eingestuft und erhält daher kein Pflegegeld (LSG Hessen, Urt. vom 06.10.2009 - AZ. L 8 P 35/07 - ).

Im konkreten Fall leidet ein 62-jähriger Mann aus Wiesbaden unter anderem an paranoider Schizophrenie und einer Antriebsminderung bei schizoaffektiver Störung. Er wird von seiner Schwester versorgt, die auch seine gesetzliche Betreuerin ist. Der Zeitaufwand für die Grundpflege wurde auf 33 Minuten täglich bestimmt. Für die Pflegestufe 1 müssten jedoch nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI mindestens 45 Minuten auf die Grundpflege entfallen. Daher habe die Pflegeversicherung den Antrag auf Pflegegeld, § 37 SGB XI, zu Recht abgelehnt, so die Richter beider Instanzen.

Die Richter des Landessozialgerichts machten den Kläger allerdings darauf aufmerksam, dass durch das Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung vom Mai 2008 der Anspruch auf Erstattung von Betreuungskosten erweitert worden sei. Hiermit habe der Gesetzgeber auf die Kritik reagiert, dass dem Hilfebedarf geistig behinderter Menschen nicht hinreichend Rechnung getragen werde. Der Leistungsbetrag für Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (§§ 45 a, 45b SGB XI) könne nun auch von Personen mit Betreuungsbedarf beansprucht werden, die keinen erheblichen Pflegebedarf haben und deshalb Pflegestufe 1 nicht erreichen. Auch könnten nunmehr jährlich bis zu 2.400 Euro Betreuungskosten (früher maximal 460 Euro) erstattet werden.

Zugleich wiesen die Richter darauf hin, dass die vom Bundesministerium für Gesundheit beauftragten Experten nunmehr ein neues Begutachtungsinstrument entwickelt hätten, mit welchem der Hilfe- und Pflegebedarf von Menschen mit Demenz besser erfasst werden könne.

Anmerkung:
Maßgebend für den für die tägliche Pflege erforderlichen Zeitaufwand ist nicht die Zeit, die z.B. der Familienangehörige des Pflegebedürftigen konkret benötigt. Es kommt vielmehr auf einen abstrakten Maßstab an (BSG, Urt. vom 21.02.2002, - B 3 P 12/01 R -), also darauf, wie viel Zeit eine objektive Pflegekraft benötigt hätte. Dies ermittelt der MDK (Medizinische Dienst der Krankenkassen) auf Antrag des Pflegebedürftigen. Die Gerichte folgen regelmäßig diesen Gutachten. Gleichwohl kann der Pflegebedürftige auch ein eigenes Gegengutachten beauftragen und dem Gericht vorlegen. Das Gericht muss dieses Gutachten berücksichtigen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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