Ein Gericht verletzt das rechtliche Gehör der klagenden Patientin, wenn es einen Feststellungsantrag erstmals im Urteil mit der Begründung abweist, er beziehe sich dem Wortlaut nach nur auf Behandlungsfehler, nicht aber auf einen - vom Gericht bejahten - Aufklärungsfehler. Das Gericht hätte der Patientin vorher einen entsprechenden Hinweis geben müssen, um ihr so die Möglichkeit zu geben, ihren Antrag nachzubessern (BGH, Beschl. vom 06.07.10 - VI ZR 177/09 -).

Die Sache wird vom BGH zur neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurück verwiesen.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche sowie Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden geltend gemacht, die ihr aufgrund von ärztlichen Fehlern anlässlich einer Hysterektomie entstanden sind.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Leistungsklage wegen festgestellter Aufklärungsfehler dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, jedoch den Feststellungsantrag mit der Begründung abgewiesen, dieser beziehe sich entsprechend seinem Wortlaut nur auf (reine) Behandlungsfehler.

Da es gegen sein Urteil die Revision nicht zugelassen hat, möchte die Klägerin mit ihrer vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerde eine Zulassung der Revision durch das Revisionsgericht erreichen, um ihren Feststellungsantrag weiter zu verfolgen.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem es - ohne der Klägerin zuvor einen Hinweis nach § 139 ZPO auf die beabsichtigte Auslegung ihres Feststellungsantrags zu geben - diesen überraschend mit der formalen Begründung abgewiesen hat, er beziehe sich nur auf - nicht vorliegende - Behandlungsfehler im engeren Sinne und nicht auch auf - vorliegende - Aufklärungsfehler.

a) Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör (BVerfGE 84, 188, 189 f.). Das Gericht hat nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO insbesondere dahin zu wirken, dass die Parteien sachdienliche Anträge stellen. Das rechtliche Gehör vor Gericht zum Streitgegenstand einer Klage bezieht sich danach nicht allein auf den Sachverhalt und seinen Vortrag, sondern ebenso auf die sachdienliche Fassung der Klageanträge, mit denen eine Partei vor Gericht verhandelt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2009 - IX ZR 95/06 - NJW-RR 2010, 70). Will das Berufungsgericht einem solchen Antrag abweichend von einer nahe liegenden Auslegung eine engere Bedeutung beimessen, die zur Klageabweisung führt, so muss es die Partei auf die beabsichtigte Auslegung ihres Klageantrages hinweisen. Die betroffene Partei muss Gelegenheit erhalten, ihren Sachantrag klarzustellen und gegebenenfalls den Bedenken des erkennenden Gerichts anzupassen.

b) Der Klage- und Berufungsantrag der Klägerin unterliegt der uneingeschränkten Auslegung durch das Revisionsgericht. Danach konnte der Antrag der Klägerin ohne weiteres dahingehend verstanden werden, dass sie mit "Behandlungsfehlern" allgemein eine fehlerhafte Behandlung meinte, sei es nun aufgrund eines Behandlungsfehlers im engeren Sinne oder aufgrund einer fehlerhaften, weil rechtswidrigen Behandlung infolge eines Aufklärungsfehlers. Eine derartige Auslegung lag auch deshalb nahe, weil die Klage von vornherein sowohl auf Behandlungsfehler als auch auf Aufklärungsfehler gestützt war.

c) Unter diesen Umständen war es überraschend und verletzte den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, indem das Berufungsgericht den Feststellungsantrag mit der formalen Begründung abgewiesen hat, er beziehe sich nur auf - nicht vorliegende - Behandlungsfehler im engeren Sinne, ohne der Klägerin zuvor einen - zwingend erforderlichen - Hinweis nach § 139 ZPO auf die beabsichtigte Auslegung zu geben. Dann - so macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend - hätte die Klägerin (selbstverständlich) klargestellt, dass sich ihr Feststellungsbegehren generell auf eine Haftung der Beklagten erstrecken soll, sei es nun aufgrund eines Behandlungsfehlers oder aufgrund eines Aufklärungsfehlers.

Hinweis:

Der Feststellungsantrag dient als zweiter Antrag (nach dem Antrag auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld) dazu, dass der Patient auch künftige, jetzt noch nicht absehbare Schäden und Schmerzen zu ersetzt erhält, die sich aus der Behandlung (also aus dem Behandlungsfehler und/oder dem Aufklärungsfehler) ergeben.

Nun ist es an sich selbstverständlich, dass das Gericht den Feststellungsantrag bereits von sich aus in dem Sinne versteht, dass er die Folgen sowohl der Behandlungs- als auch der Aufklärungsfehler erfassen soll. Dann soll das Gericht den Patienten auf einen sprachlich ungenauen Antrag hinweisen, so dass der Patient den Antrag präzisieren kann. Da dies das Gericht im konkreten Fall nicht tat, verletzte es das rechtliche Gehör der Patientin. Dies hat der BGH zu Recht unterbunden.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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