(10.4.2008) Bei Anwendung einer Außenseitermethode ist grundsätzlich der Sorgfaltsmaßstab eines vorsichtigen Arztes entscheidend. Zum Umfang der Aufklärungspflicht des Arztes bei Anwendung einer solchen Methode (BGH, Urteil vom 22. Mai 2007 – VI ZR 35/06 – ).

Der Sachverhalt:

Die Klägerin litt unter einem Bandscheibenvorfall und ließ sich von dem Beklagten, einem niedergelassenen Orthopäden, mittels eines sog. Racz-Katheter behandeln. Bei dieser Behandlung wird über einen Epidural-Katheter eine Mischung aus einem Lokalanästhetikum, einem Corticoid, einem Enzym und einer Kochsalzlösung in den Bereich des betroffenen Segments gespritzt. In dem vor der Behandlung geführten Aufklärungsgespräch übergab der Beklagte der Klägerin ein vorgefertigtes Aufklärungsformular, in dem u.a. die „Möglichkeit einer Querschnittslähmung und einer Blasen- und Mastdarmstörung“ angeführt und handschriftlich unterstrichen war. Die Klägerin erhielt drei Infiltrationen mit dem Racz-Katheter. Bereits nach der ersten Infiltration traten starke Schmerzen und im weiteren Verlauf Taubheitsgefühle am Gesäß und dem linken Bein auf. In der Folgezeit entwickelte sich eine Blasen- und Mastdarmstörung. Die Klage und die Berufung der Klägerin waren erfolglos.

Die Entscheidung:

Der BGH stellte fest, dass die Revision erfolgreich ist und dass und verpflichtete den beklagten Arzt zur Leistung von Schadensersatz.

Zwar durfte der Beklagte grundsätzlich eine Außenseitermethode zur Behandlung wählen. Da aber bei eine solchen Methode in besonderem Maße mit bisher unbekannten Risiken und Nebenwirkungen zu rechnen ist, erfordert die verantwortungsvolle medizinische Abwägung einen besonders sorgfältigen Vergleich zwischen den zu erwartenden Vorteilen und ihren abzusehenden, zu vermutenden oder aufgetretenen Nachteilen. Diese Abwägung muss jeweils erneut vorgenommen werden, sobald neue Erkenntnisse über Risiken und Nebenwirkungen auftreten. Dies gilt insbesondere, wenn sich im Verlauf der Behandlung Komplikationen ergeben. Die Behandlung darf in einem solchen Fall nur dann fortgesetzt werden, wenn auszuschließen ist, dass die Komplikationen durch die Behandlung verursacht sind. Bei Anwendung einer Methode außerhalb des medizinischen Standards ist Maßstab für die erforderliche Sorgfalt der sog. „vorsichtige Arzt“.

Im übrigen verneinte der BGH eine wirksame Einwilligung der Klägerin in die Behandlung mit der Außenseitermethode. Zwar hatte der Beklagte die Klägerin über die schwerwiegenden Risiken eine Querschnittslähmung sowie einer Blasen- und Mastdarmstörung aufgeklärt. Allerdings erfordert die Anwendung einer Außenseitermethode auch die Aufklärung über das Für und Wider der Methode. Es müssen nicht nur die eigentlichen Risiken und die Gefahr des Mißerfolgs erläutert werden, sondern überdies, dass der geplante Eingriff noch nicht medizinischer Standard und seine Wirksamkeit statistisch noch nicht abgesichert ist. Erst dann ist der Patient wirklich in der Lage, die Risiken der Operation abzuschätzen.

Praxisanmerkung:

Ärzte sollten ihre Patienten gesondert darüber aufklären, wenn sie eine Außenseitermethode anwenden. Sie müssen dem Patienten dabei erklären, dass die Methode wissenschaftlich noch nicht anerkannt ist und dass ihre Risiken noch nicht im Einzelnen bekannt sind. Diese Aufklärung ist zu dokumentieren. Die Außenseitermethode sollte nur dann angewendet werden, wenn sie der Standardbehandlung ebenbürtig oder gar überlegen ist und einzelfallbezogene Gründe dafür sprechen, sie in diesem Fall einzusetzen. Auch diese Gründe sind gesondert zu dokumentieren.

Patienten sollten sich bewusst sein, dass Außenseitermethoden noch nicht erprobt sind. Sie sollten den sicheren Weg gehen und sich genau erklären lassen vom Arzt, warum gerade die Außenseitermethode angewendet werden soll. Im Zweifel ist die Standardbehandlung vorzuziehen. Ist sich der Patient dann immer noch unsicher, sollte er sich eien zweite ärztliche Meinung einholen. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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