(10.4.2008) Ein Arzt im vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst kann bei differentialdiagnostischen Anzeichen für eine coronare Herzerkrankung (hier: einen akuten Herzinfarkt) zur Befunderhebung (Ausschlussdiagnostik) und damit zur Einweisung des Patienten in ein Krankenhaus verpflichtet sein (BGH, Beschluss vom 16. 10. 2007 - VI ZR 229/ 06).

Der Sachverhalt:

Der beklagte Arzt untersuchte den 34 Jahre alten Kläger im Rahmen des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes in dessen Wohnung. Dieser litt an Durchfall, Erbrechen, Schwindel und Übelkeit. Die Ehefrau wies darauf hin, dass er auch über Schmerzen im Brustbereich geklagt hatte und in seiner Familie eine Herzinfarktgefährdung bestehe. Die Untersuchung des Patienten ergab bei bekanntem Hochdruck einen Blutdruck von 200 mmHg zu 130 mmHg. Der Arzt verabreichte ihm eine Tablette Gelonida sowie fünf Milligramm Nifedipin. Nach etwa 15 Minuten erbrach sich der Mann. Der Arzt spritzte daraufhin intramuskulär Dolantin. Er diagnostizierte bei seinem Patienten, der während seiner Anwesenheit zweimal wegen Durchfalls und Erbrechens die Toilette benutzte, einen grippalen Infekt, eine Interkostalneuralgie ud Diarrhö. Die Frage, ob er ins Krankenhaus wolle, verneinte der Patient. Später fand die Ehefrau ihn leblos auf dem Boden liegend. Ein herbeigerufener anderer Notarzt diagnostizierte einen Atem- und Kreislaufstillstand und reanimierte den Mann erfolgreich. Im Krankenhaus stellten die Ärzte dann einen akuten Hinterwandinfarkt fest. Wegen eines generalisierten hypoxischen Hirnschadens blieben Beeinträchtigungen zurück.

Der Kläger ist der Ansicht, der Beklagte habe die Möglichkeit eines Herzinfarkts abklären müssen. Dann wäre der Infarkt vermieden worden und der Hirnschaden nicht eingetreten oder deutlich geringer ausgefallen. Der Kläger verlangt vom Beklagten über den von dessen Haftpflichtversicherung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht bezahlten Betrag von 60. 000 DM hinaus ein weiteres angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 122. 710, 05 €, Verdienstausfall für Vergangenheit und Zukunft bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres sowie die Feststellung der Ersatzverpflichtung des Klägers für sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden, die aufgrund der fehlerhaften Behandlung entstanden seien.

Die Begründung:

Die Nichtzulassungsbeschwerde des klagenden Patienten hat Erfolg; sie führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.

(...) Insbesondere kann die Kausalität der Behandlung für den Schaden des Klägers nach den derzeitigen Feststellungen nicht verneint werden. Hätte der Beklagte die differentialdiagnostische Möglichkeit eines akuten Herzinfarkts als naheliegend berücksichtigen müssen, hätte er sie entweder selbst ausschließen oder den Kläger umgehend in ein Krankenhaus einweisen müssen, damit die für einen Ausschluss erforderlichen Befunde erhoben worden wären. Dann wären möglicherweise der Eintritt eines Herz- und Kreislaufstillstands oder doch die Folge einer hypoxischen Schädigung bei der zu unterstellenden ordnungsgemäßen Behandlung vermieden worden (vgl. Senat, BGHZ 159, 48, 56 f. m. w. N.).

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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