Ein Arzt darf auf der homepage seiner Praxis nicht gegenüber nichtärztlichem Publikum mit seinen Behandlungserfolgen bei der Behandlung des Kiss-Syndroms mittels manueller Therapie werben, weil dies angesichts der Umstrittenheit der Behandlungsmethode irreführend ist (Landgericht Dortmund, Urteil vom 15. Mai 2012 - 19 O 7/12 -).

Ein Arzt warb auf seiner Praxishomepage mit seinen Behandlungserfolgen bezüglich des sog. Kiss-Syndroms. Dabei handelt es sich um eine kindliche Haltungsstörung. Im konkreten Fall hatte er manuelle Therapie eingesetzt. Die manuelle Therapie ist zur Behandlung des Kiss-Syndroms wissenschaftlich umstritten. Studien, die die Wirksamkeit der manuellen Therapie zur Behandlung dieser Erkrankung belegen, gibt es nicht, weshalb diese Behandlungsform von der sog. evidenzbasierten Medizin (Schulmedizin) abgelehnt wird.
Ein „Verein gegen den unlauteren Wettbewerb“ mahnte die Werbung gegenüber dem Arzt ab. Zugleich forderte der Verein den Arzt auf, sich schriftlich zur Unterlassung weiterer solcher Werbung zu verpflichten. Dies lehnte der Arzt ab. Der Verein ließ diese Werbung im Eilverfahren mittels Einstweiliger Verfügung untersagen. Dagegen legte der Arzt Widerspruch ein, so dass das Landgericht über die Werbung entscheiden musste.

Das Landgericht führt in seiner Entscheidung aus:
Bei der Werbung handelt es sich um Werbung mit Verfahren bzw. Behandlungen von gesundheitlichen Problemen. In der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur ist für Werbung mit Angaben über Heilwirkungen anerkannt, dass die Bewerbung mit gesundheitsfördernden Wirkungen dann verboten ist, wenn diese Wirkungen wissenschaftlich umstritten sind. Auch ist eine Werbung mit gesundheitsfördernder Wirkung von Behandlungsmethoden dann unzulässig im Sinne des Wettbewerbsrechts, wenn der Werbende die wissenschaftliche Absicherung seiner Aussage nicht dartun kann.
Die erforderliche wissenschaftlich fundierte Studie hat der Verfügungsbeklagte (Arzt) für die von ihm beworbene Wirkung der manuellen Therapie bei Vorliegen der unter dem Begriff KISS-Syndrom bzw. KIDD-Syndrom zusammengefassten Symptome nicht vorgelegt. Das Existieren einer solchen Studie ist auch nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich.

Mit seinem Einwand, bei Säuglingen oder Kleinkindern, die mit der hier beworbenen Handlung der manuellen Therapie betroffen sind, könne eine solche umfassende Studie grundsätzlich nicht erstellt werden, was in der Natur der Sache liege, kann der Verfügungsbeklagte nicht gehört werden. Der Umstand, dass möglicherweise die Wirkung von Behandlungsmethoden und Arzneimitteln auf Säuglinge und Kinder besonders schwer im Rahmen von Studien nachgewiesen werden können, weil für solche Studien zu wenig Probanden aus diesem Bereich zur Verfügung stünden, kann nicht dazu führen, dass gerade für die besonders brisante Werbung mit Heilmitteln für Säuglinge und Kleinkinder weniger strenge Maßstäbe gelten als für die Heilmittelwerbung insgesamt.

Aus diesen Gründen sah das Landgericht die Werbung als irreführend an im Sinne von §§ 3 und 5 UWG, § 3 HWG. Es wies daher den Widerspruch des Arztes gegen die Einstweilige Verfügung zurück. Der Arzt muss das Werbeverbot daher achten, ansonsten muss er eine Strafe bezahlen.

Praxishinweis:
Geplante Werbemaßnahmen sollten vor einer Veröffentlichung rechtlich geprüft werden. Insbesondere das Heilmittelwerbegesetz (HWG) sieht eine Vielzahl von rechtlichen Grenzen für die Werbung des Arztes vor, die der Arzt selbst oft nicht voll erfassen kann. So sieht das HWG unter anderem vor, dass eine Werbung außerhalb der Fachkreise mit Behandlungserfolgen nur möglich ist, wenn diese in qualifizierter Weise wissenschaftlich belegt sind und die Belege auch zitiert werden, so dass der Patient dies erforderlichenfalls auch überprüfen kann.
In randomisierten Studien, die es zum Thema Kiss-Syndrom nur sehr vereinzelt gibt, konnte für die Manualtherapie keine überlegene Wirksamkeit nachgewiesen werden. Trotzdem werden von den Alternativmedizinern alternativmedizinische Behandlungstechniken wie z. B. die Manualtherapie, Feldenkrais-Methode, Osteopathie, Cranio-Sacral-Therapie oder auch Atlas-Therapie empfohlen. In Deutschland wird die Behandlung des KiSS-Syndroms in aller Regel nicht von den Krankenkassen übernommen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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