Auch wenn eine elektronisch geführte Patientenakte eines Arztes nicht gegen nachträgliche Veränderungen gesichert ist, ist sie fähig, in einem Zivilprozess Beweis zu erbringen über die darin erfassten Handlungen des Arztes (OLG Naumburg, Urteil vom 26.01.2012 - 1 U 45/11 -).

Leitsätze:
1. Einer formell und materiell ordnungsgemäßen Dokumentation kann bis zum Beweis des Gegenteils Glauben geschenkt werden. Um die Vollständigkeit der Dokumentation zu er- schüttern, müssen konkret erkennbare Anhaltspunkte vorliegen, z. B. das Vorliegen nachträglicher Änderungen oder eine Fertigung erst mit langem zeitlichem Abstand.

2. Der Beweiswert einer ärztlichen Behandlungsdokumentation wird nicht dadurch gemin- dert, dass ein EDV-Programm verwendet wird, das nicht gegen nachträgliche Veränderbar- keit gesichert ist, wenn der Arzt plausibel darlegen kann, dass seine Eintragung richtig ist und sie aus medizinischen Gründen schlüssig erscheint. Es erscheint nachvollziehbar, dass der Arzt auf ein zwar seltenes, dafür aber mit weitreichenden Folgen für den Patienten ver- bundenes Risiko hinweist (hier: Wanddurchbruch bei Gastroskopie).

Sachverhalt:
Bei einer Magenspiegelung eines Patienten kam es zu einer Verletzung der Speiseröhre. Der Patient sah einen groben Behandlungsfehler. Überdies rügte er, dass über das Risiko eines Wanddurchbruches bei einer Magenspiegelung nicht aufgeklärt worden sei.

Der gerichtliche Sachverständige verneint einen groben Behandlungsfehler.
Der für die Aufklärung beweispflichtige Arzt berief sich zum Beleg der aus seiner Sicht erfolgten Aufklärung hingegen auf folgenden Vermerk in der von ihm elektronisch geführten Patientenkartei:

 „...Dennoch besteht ein Restrisiko mit der Möglichkeit eines Wanddurchbruchs..."

Diese „Dokumentation“ rügte der Patient als nicht ausreichend, da der Arzt den Eintrag auch im Nachhinein hätte erstellen können. Tatsächlich war die elektronische Dokumentation nicht gegen nachträgliche Veränderungen gesichert (etwa durch eine sog. elektronische Signatur).

Urteil:
Das OLG verneinte einen Aufklärungsfehler. Die Aufklärung über das Risiko des Wanddurchbruchs sei hinreichend dokumentiert.
Einer formell und materiell ordnungsgemäßen Dokumentation könne bis zum Beweis des Gegenteils Glauben geschenkt werden. „Um die Vollständigkeit der Dokumentation zu erschüttern, müssen konkret erkennbare Anhaltspunkte vorliegen, beispielsweise das Vorliegen nachträglicher Änderungen oder eine Fertigung erst mit langem zeitlichem Abstand. Der Beweiswert einer ärztlichen Behandlungsdokumentation wird nicht dadurch gemindert, dass ein EDV-Programm verwendet wird, das nicht gegen nachträgliche Veränderbarkeit gesichert ist, wenn der Arzt plausibel darlegen kann, dass seine Eintragung richtig ist und sie aus medizinischen Gründen schlüssig erscheint. Es erscheint nachvollziehbar, dass der Arzt auf ein zwar seltenes, dafür aber mit weitreichenden Folgen für den Patienten verbundenes Risiko hinweist (hier: Wanddurchbruch bei Gastroskopie).“

Anmerkung:
Das Urteil liegt auf der Linie der sonstigen Rechtsprechung: Ähnlich entschied das OLG Hamm (Aktenzeichen: 3 U 161/04, Urteil vom 26.01.2005): Die nachträglich veränderbare elektronische Dokumentation hat danach zwar nur den Beweiswert eines Augenscheinbeweises (und nicht den einer "Urkunde"). Der Arzt habe aber glaubhaft versichert, dass die Dokumentation nicht nachträglich verändert worden sei. Auch die im Prozess aufgetretenen Sachverständigen hätten die Dokumentation als medizinisch plausibel angesehen:
Daher hat das OLG auf der Grundlage der Behandlungsdokumentation des Arztes kein Diagnoseversäumnis feststellen können die Klage der Patienten abgewiesen.

Gegen diese Urteile spricht, dass sie dem Arzt, der sich einer für ihn bequemen und nicht beweissicheren Form der Aktenführung bedient, einen durch nichts gerechtfertigten prozessualen Vorteil verschafft. Denn der Arzt kann seine Akten technisch auch mittels elektronischer Signatur dokumentenecht führen (vgl. §§ 371a und 416a ZPO). Tut er dies nicht, müssen die Rechtsnachteile, die aus dieser Nachlässigkeit erwachsen, auch von ihm selbst getragen werden. Überdies verlöre die Justiz sonst auch eine der wesentlichen Stützen des Beweisrechts, nämlich das Vertrauen auf Urkunden. Die Praxis zeigt, dass Rechtsstreitigkeiten oftmals durch Urkunden entscheiden werden. Das Gericht benötigt auch im Zeitalter elektronischer Dokumentation eine verlässliche Beurteilungsggrundlage, um Verfahren rechtssicher und auch für den Bürger nachvollziehbar entscheiden zu können. 

Nach der Einführung des Patientenrechtegesetzes wird sich diese Rechtsprechung jedenfalls für künftige Fälle nicht halten lassen. In der Begründung zu dem neuen § 630f Absatz 1 Satz 2 BGB heißt es:
Ziel dieser Regelung ist es, "eine fälschungssichere Organisation der Dokumentation in Anlehnung an die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung, wie sie bereits im Handelsgesetzbuch sowie in der Abgabenordnung geregelt sind, sicherzustellen". Dies ist gerade nicht gewährleistet bei einer elektronischen Patientenakte, in die auch im Nachhinein Eintragungen vorgenommen werden könne, ohne dass dabei erkennbar wird, wann die Eintragung vorgenommen wurde. Eine "fälschungssichere" Dokumentation ist vielmehr nur bei elektronischen Akten möglich, die mit einer elektronischen Signatur geschützt sind, so wie es auch in §§ 371a und 416a ZPO für die elektronischen Dokumente geregelt ist.

Der für den Arzt sicherste Weg ist mithin die Verwendung einer Software, die veränderungssicher ist. Der Patient sollte, wenn er in einem Verfahren mit einer veränderbaren elektronischen Eintragung konfrontiert wird, umfangreich deren Echtheit und die Übereinstimmung zwischen Ausdruck und elektronischer Akte bestreiten und vortragen, dass die Eintragung nachträglich eingefügt wurde. Absichern kann er sich auch dadurch, dass er sich von einer dritten Person in die Klinik bei dem Aufklärungsgespräch begleiten lässt.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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