Die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Dokumentation kann nur gelten, wenn und soweit der OP-Bericht zeitnah zur OP erstellt wird. Soweit dies nicht der Fall ist, nimmt die Dokumentation an der Indizwirkung nicht teil (Kammergericht, Urteil vom 10.01.2013 - 20 U 225/10 -).

Ein Arzt aus Berlin operierte den späteren Kläger und führte nach eigenen Angaben ein sog. Shaving durch. Das sah der mittlerweile an Schmerzen leidende Kläger anders - der Arzt habe kein Shaving durchgeführt, was er aber hätte tun sollen und müssen.

Der Arzt verwies auf seinen Operationsbericht. Da war die Durchführung des Shavings vermerkt. Der OP-Bericht datierte drei Tage nach der Operation. Soweit alles gut, könnte man meinen. Allerdings stellte sich heraus, dass der Bericht erst über ein Jahr nach der Operation erstellt wurde.

Das KG erkannte auf das Vorliegen eines Behandlungsfehlers und verurteilte den Arzt zur Zahlung von Schadensersatz, da er die Durchführung des Shavings nicht nachweisen konnte. Auf Grund des zeitlichen Abstandes zwischen OP und Erstellung des Berichts ging das Gericht davon aus, dass der Bericht keinen Beweiswert mehr hatte. In dem Tenor der Entscheidung führt das KG aus: „Eine richtige und vollständige Dokumentation einer OP gelingt, was in der Natur der Sache liegt, nur, wenn diese zeitnah erfasst und von dem Erinnerungsvermögen des Operateurs noch getragen ist. Dies trifft jedenfalls zu, wenn das Protokoll – was ideal wäre – während der OP diktiert, jedenfalls jedoch unmittelbar danach erstellt wird. Welche Zeitspanne im einzelnen Fall dafür noch genügt, kann hier dahinstehen. Der Beklagte hat nicht einmal ansatzweise dargelegt und plausibel vorgetragen, wann er den Bericht verfasste.“

Anmerkung:
Richter lieben das Papier - es ist so verbindlich. Nicht so wankelmütig und mit Erinnerungslücken behaftet wie Zeugen, die kein Richter wirklich mag. Das Gesetz gibt Urkunden vereinfacht gesagt großes Vertrauen mit auf den Weg. Nun hat das KG klar gemacht, dass das Vertrauen in eine Erklärung einer Seite (hier den OP-Bericht, mithin die bei der OP vorgenommenen Behandlungsschritte) aber nur gerechtfertigt ist, wenn der Bericht "frisch" ist. Er soll also Ereignisse wiedergeben, die sich noch im Gedächtnis des Arztes befinden. Wenn aber ein Arzt ein Protokoll erst über ein Jahr danach fertigt, ist doch klar, dass er dabei nicht diese bestimmte Operation mehr im Kopf gehabt haben kann, es sei denn, er verfügte über ein phänomenales Gedächtnis. Nein, stattdessen wird er den Bericht - mangels konkreter Erinnerung an den einzelnen Fall - wohl aus Versatzstücken anderer Berichte und aus Textbausteinen zusammengesetzt haben. Und das hat eben keinen Beweiswert.

Allen Ärzten ist daher mit Nachdruck zu empfehlen: Dokumentieren Sie zeitnah. Ansonsten können Sie sogar bei einer an sich richtig durchgeführten Behandlung des Schwarzen Peter haben und Schmerzensgeld zahlen müssen, weil Sie gar nicht mehr nachweisen können, wie Sie den Patienten überhaupt behandelt haben.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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