Das Pflegeteam der Kinderklinik in München-Harlaching wirft dem Chefarzt vor, dass dessen Behandlungsmethoden zu Todesfällen geführt haben sollen. Hinter diesem Durchstechen steht ein schwieriges arbeitsrechtliches Problem - ab wann darf der Arbeitnehmer Dritte auf Mißstände hinweisen?

Zur Prüfung der schriftlichen Vorwürfe hat, wie die SZ berichtete, inzwischen der Leiter der Kinder-Uniklinik Lübeck, Egbert Herting, mit einer Untersuchun begonnen. Unter anderem wird dem Chefarzt in einer schriftlichen Stellungnahme des Pflegeteams vorgeworfen, einem Frühchen einen Einlauf verabreicht zu haben, wodurch es zu einer Darmperforation gekommen sei. Es sei auch zu Todesfällen gekommen. Die Staatsanwaltschaft sei informiert, wolle aber den Bericht von Herting abwarten.

Der Chefarzt gibt in einer Klinik die grundsätzliche Behandlungsweise vor. In Visiten wird der Behandlungsverlauf mit den behandelnden Stationsärzten abgesprochen. Der Chefarzt hat bezüglich des Ob und Wie der Behandlung ein arbeitsrechtliches Weisungsrecht.

Zugleich sind die Stationsärzte und Pfleger verpflichtet, diese Weisungen auszuführen. Das Weisungsrecht endet dort, wo die Ausführung der Weisung zu einem Verstoß gegen gesetzliche Gebote führt. Gibt nun der Chefarzt Weisungen, die aus Sicht des Personals die Gesundheit der Patienten gefährden, so steckt das Personal in einem Dilemma.

Das Pflegeteam kann ja dem Chefarzt nicht einfach sagen, was er aus Sicht des Teams falsch gemacht haben soll. Diese Vorwürfe würde der Chefarzt wohl bereits unter Hinweis auf seine besondere medizinische Expertise zurückweisen.

Und eine schlichte Offenbarung der Vorgänge, z.B. gegenüber der Staatsanwaltschaft, verstößt unter Umständen gegen die Verschwiegenheitsplicht des Arbeitnehmers sowie gegen die Verpflichtung zur Vertragstreue. Ein solches Durchstechen würde auch das Betriebsklima zerstören. Es kann auch zur Kündigung des sich offenbarenden Arbeitnehmers führen (allerdings wiegt die Gesundheit der Neugeborenen hier meines Erachtens nach höher als die arbeitsvertragliche Treuepflicht, so dass im Rahmen einer Interessenabwägung eine verhaltensbedingte Kündigung wegen Verstoßes gegen die Verschwiegenheitspflicht ausgeschlossen ist). Auch handelt es sich um medizinische Fachfragen, die schwierig zu klären sind. Ob nun also eine bestimmte Behandlung eines Patienten zu einer Gefährdung seiner Gesundheit führt, kann oft nur ein Sachverständiger beurteilen. Anders ist es nur bei offensichtlichen Fehlbehandlungen - wenn also beispielsweise gegen bekannte Behandlungsstandards verstoßen wird. 

Hinweis:

Wichtig ist es, das Fehlverhalten zuerst behutsam gegenüber dem Chafarzt anzusprechen. Bringt dies nichts, ist das Verhalten intern an die Klinikleitung zu melden, um einer eigenen strafrechtlichen und zivilrechtlichen Verantwortung zu entgehen. Idealerweise geschieht dies durch ein vor Zeugen geführtes Gespräch mit der Geschäftsleitung, über das im Anschluß ein Gesprächsprotokoll gefertigt wird.

Bleiben die Verstöße danach bestehen, können die Vorgänge der Leitung schriftlich angezeigt werden, verbunden mit der Bitte um sofortige Abhilfe. Bleibt es aber gleichwohl bei dem Fehlverhalten und ist die Gesundheit der Patienten dadurch gefährdet, so können die Mitarbeiter die Ausführung der Weisung ihres Vorgesetzten verweigern und dann auch nach außen aktiv werden und z.B. Strafanzeige erstatten. Dies stellt eine Selbsthilfe der Arbeitnehmer dar. Denn niemald ist verpflichtet, sich zur Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten strafbar zu machen. In jedem Fall sollten sich die betroffenen Pfleger bzw. Ärzte anwaltlich beraten lassen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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