Erleidet ein Kind bei seiner Geburt schicksalshaft einen Schaden, so haftet die Klinik, in der das Kind entbunden wurde, nicht für diese Schäden. Dieser schicksalshafte, nicht von der Klinik verschuldete Schaden ist von Schäden abzugrenzen, die bei der Geburt durch fehlerhaftes ärztliches Verhalten entstanden sind und für die die Klinik haften muss (BGH, Urteil vom 20. Mai 2014 - VI ZR 187/13 -).

Geburtsschäden gehören zu den einschneidensden Schäden in der Arzthaftung überhaupt, weil das Kind in der Regel sein Leben lang unter den massiven Folgen leidet und seine weitere Behandlung häufig immense Kosten verursacht. Oftmals klagen deshalb auch die Krankenversicherungen gegen die Klinikträger und Ärzte, um die weiteren Behandlungskostren ersetzt zu bekommen. Im vorliegenden Fall war es aber das Kind, das - vertreten durch seine Eltern - Schadensersatz eingeklagt hat.

Zum Fall:

Der Kläger erlitt im Zusammenhang mit seiner Geburt einen schweren Gesundheitsschaden. Deswegen nahm er den behandelnden Gynäkologen, die Hebamme, eine Kinderkrankenschwester und den Träger des Beleg-Krankenhauses auf Schadensersatz in Anspruch.

Im ersten Teil des Verfahrens erging zum Anspruchsgrund ein rechtskräftiges Grund- und Teilendurteil des Oberlandesgerichts (OLG München  - 24 U 671/11  - Urteil vom 28. März 2013). In diesem wurde festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche Schäden zu ersetzen, die dem Kläger "anlässlich und aufgrund der Behandlung durch die Beklagten nach seiner Geburt" entstanden sind und noch entstehen werden.

Im vorliegenden Verfahrensabschnitt ging es um die Höhe des dem Kläger zustehenden Schadensersatzes. Das Oberlandesgericht hat insoweit entschieden, dass sich aus dem vorangegangenen Grundurteil eine Bindungswirkung dahin ergebe, dass die Beklagten nur für die Schäden hafteten, die dem Kläger nach seiner Geburt entstanden seien. Insoweit sei der von den Beklagten verursachte Schadensanteil auf höchstens 20 % zu begrenzen.

Das Urteil:

Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Klägers zurückgewiesen und das Urteil des OLG München bestätigt. der BGH führt dazu aus: In dem Grundurteil ist mit Bindungswirkung nur festgestellt worden, dass die Beklagten als Gesamtschuldner für die Gesundheitsschäden haften, die auf nachgeburtlichen Pflichtversäumnissen der Beklagten beruhen, die für die Gesundheitsverletzung des Klägers mitursächlich geworden sind. Das Berufungsgericht hat die Haftung der Beklagten auf dieser Grundlage rechtsfehlerfrei auf einen Haftungsanteil von 20 % begrenzt.

Eine Mitursächlichkeit steht zwar haftungsrechtlich der Alleinursächlichkeit grundsätzlich in vollem Umfang gleich. Dies ist aber ausnahmsweise nicht der Fall, wenn feststeht, dass die Mitursächlichkeit nur zu einem abgrenzbaren Teil des Schadens geführt hat. Einen solchen abgrenzbaren Teil des Schadens hat das Berufungsgericht festgestellt. Die Beklagten haben danach den Nachweis erbracht, dass der größte Teil des Gesundheitsschadens nicht in dem Zeitraum entstanden ist, für den sie nach dem rechtskräftigen Grundurteil schadensersatzpflichtig sind, sondern zu diesem Zeitpunkt bereits vorhanden war. Während der Geburt war danach bereits ohne einen Behandlungsfehler ein irreparabler Gesundheitsschaden eingetreten, der durch Fehler bei der nachgeburtlichen Betreuung und Behandlung verstärkt wurde.

Den während der Geburt schicksalhaft eingetretenen Gesundheitsschaden hat das Berufungsgericht nach sachverständiger Beratung mit einem abgrenzbaren Anteil von mindestens 80 % angenommen und demgemäß den Haftungsanteil der Beklagten rechtsfehlerfrei auf maximal 20 % beschränkt. Das Berufungsgericht konnte sich neben der Schätzung der Sachverständigen auf weitere konkrete Anhaltspunkte zur "medizinischen Unterscheidung der Schadensanteile" stützen. Nach den Ausführungen der Sachverständigen wäre der Kläger auch bei der gebotenen unverzüglichen Verlegung nach der Geburt in die Kinderklinik auf jeden Fall ein Pflegefall gewesen und für den Arbeitsprozess nicht in Frage gekommen. Er wäre nicht in der Lage gewesen, ein selbständiges Leben zu führen. Die mentale Beeinträchtigung hätte in jedem Fall auch bestanden. Aufgrund dieser Umstände war die Annahme eines abgrenzbaren Teils des Gesundheitsschadens revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Anmerkung:

Da es außer einer Pressemitteilung des BGH derzeit noch keine weiteren Informationen über den Fall gibt, ist noch unklar, wieso die Schäden überwiegend von dem Sachverständigen als schicksalhaft angesehen wurden. Es könnte sich um eine auf einer genetischen Disposition beruhenden Vorschädigung des Kindes handeln. Interessant wird auch sein, warum der Sachverständige diesen so-oder-so-Schaden so klar von dem weiteren Schaden abgrenzen konnte.

Zum Thema:

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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