Unterlaufen einem geburtshelfenden Arzt mehrere einfache Behandlungsfehler, die für sich genommen allenfalls einfache Fehler darstellen, so kann die Gesamtbetrachtung doch dazu führen, dass ein sog. grober Behandlungsfehler vorliegt mit der Folge umfangreicher Beweiserleichterungen für den Kläger (OLG Hamm, Urteil vom 16. Mai 2014 - 26 U 178/12).

Verzichtet der Arzt bei einem Geburtsvoprgang mit kritischen CTG-Werten nämlich auf eine mögliche Mikoblutuntersuchung, die zu einem aussagekräftigen pH-Wert geführt hätte, ist die Entbindung des Kindes schnellstmöglichst zu veranlassen. Wird bei pathologischen CTG-Werten gegen 17:40 Uhr die Geburt gleichwohl verzögert, kann dies als grober Behandlungsfehler zu bewerten sein. Denn ohne Erkenntnis über den pH-Wert war ein weiteres Zuwarten wegen der Gefahr der Schädigung des Kindes nicht mehr gerechtfertigt.

Der vergebliche Versuch der Förderung der Geburt durch die Anwendung eines Geburtshockers war dagegen über den hier gegebenen Zeitraum von 18:05 Uhr bis 18:30 Uhr fehlerhaft. Nach den Ausführungen des geburtshilflichen Sachverständigen wäre allenfalls ein einziger kurzfristiger Versuch akzeptabel gewesen.

Die Beklagten können sich auch nicht mit Erfolg unter Berufung auf das Privatgutachten Prof. Dr. L darauf berufen, dass die Herztöne ab 18:05 Uhr zeitweilig wieder im Normbereich gelegen haben und das CTG in der Schlussphase der Geburt zwischen 18:20 Uhr und 18:43 Uhr zwar auffällig, aber nicht hochpathologisch gewesen ist. Denn der geburtshilfliche Sachverständige hat plausibel darauf verwiesen, dass das Kind schon aufgrund der pathologischen Werte in der Zeit von 17:30 Uhr bis 18:00 Uhr geschädigt sein konnte. Deshalb hätte die von ihm geforderte Entscheidung zur Entbindung mittels Schnitt bereits gegen 17:50 Uhr getroffen werden müssen.

Nachdem es ab 18:20 Uhr wiederum zu einem Absinken der Herzfrequenz kam, wurde versucht, die Geburt im Kreißbett unter Kristellerhilfe herbeizuführen. Letztlich wurde das Kind gegen 18:43 Uhr nach einer Episiotomie spontan geboren. Bei dem Kind liegt eine hypoxischischämische Enzephalopathie mit gravierenden Beeinträchtigungen vor.

Es kann dahingestellt bleiben, ob hier schon einzelne der Behandlungsschritte als grobe Fehler zu werden sind. Jedenfalls aber ist bei der notwendigen Gesamtbetrachtung aller Umstände (dazu etwa BGH-Urteil vom 27.01.1998 - VI ZR 339/96 - Juris unter Rz.11) eine grobe Fehlerhaftigkeit anzunehmen.

Bei dem Kind hat eine durch das pathologische CTG vor 17:50 Uhr ausgewiesene Gefährdung vorgelegen. Ohne diese Gefährdung bei weiterem Unterlassen einer Schnittentbindung auszuschließen, ist noch nach 18:00 Uhr über ca. 25 Minuten erfolglos der Versuch des Vorantreibens der vaginalen Geburt auf einem Geburtshocker betrieben worden. Sodann ist ab 18:30 Uhr die Entwicklung des Kindes weiter unter Kristellerhilfe im Kreißbett unternommen worden, so dass erst um 18:43 Uhr entbunden worden ist. Auch wenn der Sachverständige die Dramatik der Entwicklung als ex ante nicht erkennbar, das Ergebnis als überraschend und das Abstellen auf die zeitweilig ab 18:05 Uhr verbesserten CTG-Werte jedenfalls für einen Anfänger als nur einfach fehlerhaft angesehen hat, verbleibt es doch andererseits dabei, dass der geburtshilfliche Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung durch den Senat das Unterlassen der Entbindung und die Durchführung völlig anderer Maßnahmen über einen Zeitraum von 18:00 Uhr bis 18:43 Uhr als nicht mehr nachvollziehbar bezeichnet hat.

Es steht auch fest, dass die Verzögerung zu Schäden geführt hat. Zugunsten des Klägers greift hinsichtlich des Primärschadens eine Beweislastumkehr, die nicht allein die unmittelbar herbeigeführte Erstschädigung erfasst, sondern auch die dadurch herbeigeführte gesundheitlichen Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung (vgl. etwa BGH-Urteil vom v. 02.07.2013 - VI ZR 554/12 -, Juris unter Rz.16). Das führt mangels Beweises mangelnder Kausalität dazu, dass die Beklagten zu 1) und 3) für die Aufwendungen des Klägers haften.

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Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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